MUT Design
Ein Interview mit den spanischen Designern über Tradition und Moderne

Es schien ein wenig, als gab es eine unsichtbare Barriere zwischen den Besuchern der imm cologne und der Wohninszenierung Das Haus in Messehalle 3. Museal distanziert präsentierte sich die Installation. Dabei durfte (fast) alles angetastet, jeder Raum betreten und erlebt werden. Wir trafen das Gestalterteam, das in diesem Jahr aus Valencia stammt: Alberto Sánchez, Eduardo Villalón und Pola Knabe alias MUT Design.
Auf der großen Designbühne ist MUT Design bisher noch eher ein Neuling. Erzählt bitte in wenigen Worten, wer ihr seid! Alberto: Begonnen hat alles auf dem Salone Satellite vor zehn Jahren. Dort präsentierten wir unter anderem unseren Hängesessel Nautica, der daraufhin von dem Hersteller Expormim in Produktion genommen und zu einem echten Erfolg wurde. Eduardo und ich gründeten also unser eigenes Studio und wir fingen an, mit ein paar spanischen Unternehmen zusammenzuarbeiten.
Pola: Alberto ist Produktdesigner, Eduardo kümmert sich hauptsächlich um Public Relations und Marketing. Außerdem passt er auf, dass wir gestalterisch nicht zu verrückt spielen. Und ich kam vor vier Jahren ins Studio, begann zunächst mit einem Praktikum und betreue nun neben meiner Arbeit als Produktdesignerin im Studio verschiedene Projekte als Artdirektorin.
Wie kann man sich euer Studio in Valencia vorstellen? Alberto: Unser Studio befindet sich in El Carmen, der Altstadt von Valencia – genau gegenüber des Mercado Central. Es ist wirklich schön. Klein, aber wir haben genug Platz, um Modelle anfertigen zu können. Ein Vorteil an der Altstadt ist, dass man auch einfach mal raus kann, um bei einem Bier den Kopf frei zu bekommen.
In zwei Jahren wird Valencia den Titel World Design Capital tragen. Wird die Stadt eine würdige Designhauptstadt sein? Pola: lacht Natürlich macht das Sinn, weil es sehr viel Möbelindustrie in der Region gibt. Da wir selbst aber gar nicht so in der Designszene unserer Stadt aktiv sind, hatten wir auch nicht erwartet, dass ausgerechnet Valencia zur Designhauptstadt 2022 gekürt würde. Unsere große Hoffnung ist jetzt natürlich, dass in dem Zusammenhang zahlreiche Projekte gestartet werden. Das wäre eine großartige Chance für uns.
Lasst uns über Das Haus sprechen. Ihr habt das Innere nach außen gekehrt und die Hülle nach innen gewandt. Pola: Mit der Idee versuchen wir, den spanischen Lifestyle zur reflektieren. Im Sommer, wenn es heiß ist, bleiben die Leute meist tagsüber drinnen und suchen die Abkühlung am Abend draußen. Dann schaffen sie ihre Stühle raus auf die Straße. Hier findet das eigentliche Leben statt.
Alberto: Wir nennen das „a la fresca“, wenn die Menschen hinaus an die frische Luft kommen. Die Grenzen verwischen, Gärten sind oft einfach die Erweiterung eines Hauses. Ganze Räume bis hin zum Bad werden nach draußen verlagert. Das Gleiche tun wir hier.
Gebt ihr in eurem Entwurf so nicht auch ein Stück Privatsphäre auf? Alberto: Nicht gänzlich. Wir haben vier Räume gestaltet, die als Orte des Zusammenkommens und -lebens gedacht sind: die Küche, den Wohnbereich, die Terrasse und selbst das Bad. In der Realität wären ringsum bewegliche Wände und Vorhänge zur Begrenzung denkbar. Darüber hinaus gibt es den Patio, einen Platz, zu dem man Zuflucht nehmen kann.
Eduardo: Dort kann man sich auf dem Felsen niederlassen und ein wenig vor sich hin träumen.
Aber ein Ort zum Schlafen ist das nicht. Alberto: Nein. Die einzige Schlafgelegenheit ist unsere Hängematte im Außenbereich.
Was darf in einem perfekten Zuhause nicht fehlen? Pola: In unserer Haus-Installation nutzen wir viele traditionelle Elemente und übersetzen sie zusammen mit zeitgenössischem Design in eine moderne Form. Wir zeigen, dass Tradition auch im Zusammenspiel mit neuen Möbeln funktioniert: Die Küche mit ihrer eingemauerten Kochstelle zeigt das gut. Traditionelles trifft auf Modernes.
Alberto: In der Vergangenheit finden sich viele praktische Lösungen. Nehmen wir etwa den encalado, einen weißen Putz aus Kalk und Wasser mit seiner unregelmäßigen Oberfläche. Er ist typisch für Spanien, weil er die Sonne reflektiert und damit für eine natürliche Kühlung der Häuser sorgt. In unserer Installation haben wir ihn mithilfe eines ähnlichen Auftrags angedeutet.
Ihr entwerft also gerne Objekte, die ihre Wirkung im traditionellen Kontext entfalten, statt darin wie Fremdkörper zu wirken?
Alberto: Ja, beziehungsweise lassen sich ja auch sehr traditionelle Materialen in Form und Muster neu interpretieren. Ich finde es auch toll, wenn Dinge bereits eine Vorgeschichte in sich tragen.
Neben einer ganzen Bandbreite an Produkten zeigt die Ausstellung vor allem auch einen sehr architektonischen Ansatz. Alberto: Es wäre doch langweilig, sein ganzes Leben nur Stühle zu gestalten. Wir versuchen unsere Möbelgestaltung mit Interior-Projekten zu kombinieren. Auch für architektonische Eingriffe sind wir offen.
Eduardo: Wir arbeiten durchaus multidisziplinär, fokussiert aber auf Möbeldesign.
Alberto: In Malta planen wir gerade das Interior für ein Hotel. Das Gestalten von Räumen hilft uns dabei, uns vorzustellen, wie die Produkte im Raum funktionieren und wirken.
Und was inspiriert euch? Ist die bildende Kunst wichtig für eure Arbeit?
Alberto: In unseren Entwürfen versuchen wir, die richtige Balance zwischen künstlerischem und kommerziellem Anspruch zu finden. Wie eben bei diesem Tisch (deutet auf den Pulpo-Tisch vor uns). Wir bevorzugen Briefings, die keinen allzu kommerziellen Ansatz verfolgen. Dadurch würden wir uns eingeschränkt fühlen. Oder wir verändern das Briefing einfach – wie etwa mit Diabla, die ursprünglich einen Klappstuhl von uns haben wollten. Am Ende haben wir ihnen mit Grill ein komplett anderes Produkt präsentiert und alle sind glücklich damit.
Wie oft werdet ihr auf die bei euch überproportional häufig auftretende Kreisform angesprochen? Alberto: (lacht) Ich weiß auch nicht genau wie das passiert ist. Aber ja, irgendwann haben wir selbst festgestellt, dass wir vom Kreis in gewisser Weise besessen sind. Als wir den Tisch für Pulpo gestaltet haben, sagten wir: „Okay, wir müssen aufhören, immer nur Kreise zu machen.“ Mittlerweile gehört der Kreis allerdings schon zu unserer Identität, weshalb nun auch Das Haus auf einer runden Grundform basiert. Der Kreis als Ausgangsform eröffnet einfach unendlich viele Möglichkeiten.
Pola: Selbst als wir uns ausdrücklich vornahmen, keine Kurven mehr zu benutzen, endeten die nächsten Skizzen in einer Ansammlung aus Kreisen und Ovalen. Es geht für uns einfach nicht ohne.
Habt ihr darüber hinaus eine idealistische Persönlichkeit, die sich in eurer Arbeit widerspiegelt? Umweltfragen stehen hoch im Kurs. Warum gestaltet ihr? Pola: Natürlich ist das große Thema Nachhaltigkeit immer irgendwo präsent. Aber in unserer Arbeit beschäftigen wir uns eher weniger damit. Vielmehr versuchen wir, häufiger einen Schritt zurückzutreten und zu überlegen, welche effektiven Lösungen bereits existieren.
Alberto: Eben genau wie mit dem encalado. Wir kombinieren am liebsten Traditionelles mit Zeitgenössischem.
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