Text ist auch Design: Ein Gespräch zum bf-Preis
Über den Braun-Feldweg-Preis
Am vergangenen Donnerstag wurde in Berlin der Braun-Feldweg-Preis für designkritische Texte verliehen. Seit 2004 gibt es diese außergewöhnliche Auszeichnung, die als Preis, der eine theoretisch reflektierende und keine direkt gestalterische Auseinandersetzung honoriert, einzigartig ist. Wir trafen mit dem Designprofessor Egon Chemaitis und dem Journalisten Thomas Edelmann zwei Mitglieder der Jury sowie Benita Braun-Feldweg, Enkelin des namensgebenden Designers und Ausloberin des Preises, zum Gespräch über Schreiben als Gestaltungsaufgabe.
Warum ist ein Preis für Designkritik - und damit eine theoretische Auseinandersetzung innerhalb eines vordergründig praktischen Fachs – neben all den „Formpreisen“ wichtig? Benita Braun-Feldweg: Für alle gestaltenden Berufe gilt: Wenn man machen möchte, muss man reflektieren. Wir arbeiten in Gesellschaft. Wenn wir nicht denken, sind wir im Grunde Erfüllungsgehilfen anderer Ideen – und das bringt uns nicht weiter.
Egon Chemaitis: Auch Schreiben ist Gestalten. Genau wie ein Entwurf auf seine Funktion und Form untersucht wird, bevor er produziert wird, stellt sich auch der Schreiber wichtige Fragen: Sind meine Wahrnehmung und Auffassung richtig? Werde ich verstanden? Das sind auch die essenziellen Attribute, die wir in einem Text suchen: Die eigene Beobachtung, Wahrnehmung, die Reflexion dessen, was man sieht – und das in Beziehung zu setzen. Auch dieser Prozess ist ein gestaltender Entwurfsprozess.
Für die Jury heisst das jede Menge Lektüre – beziehungsweise ein Schatz an Themen... Benita Braun Feldweg: (lacht) …den man erstmal heben muss!
Thomas Edelmann: Ein solcher Preis ist natürlich anders als ein reiner Gestaltungswettbewerb, wo vordergründig das Objekt bewertet wird – und man vielleicht 5000 Entwürfe vorliegen hat. Hier haben wir Manuskripte, mit denen ich arbeite, mal etwas anstreiche oder etwas zum Vergleich hervorhole. Man flucht, wenn die Pakete ankommen, aber wir haben alle ein Lächeln auf dem Gesicht, wenn wir fertig sind.
Bei all den Texten, die die Jury auf den Tisch bekommt: Welche Themen bewegen Designer heute? Benita Braun-Feldweg: Es gibt ein Thema, das immer wieder rund die Hälfte der Arbeiten einnimmt: Und das ist die Frage nach dem Sinn. Diesen Typus von Arbeiten haben wir immer.
Wie hat sich das Design und der Blick darauf in seiner Geschichte verändert? Benita Braun-Feldweg: In der Übergangszeit vom Kunsthandwerk zum Design musste sich die Profession erst einmal definieren. Und wenn man Anfang der Siebzigerjahre das Telefonbuch aufgeschlagen hat, dann gab es dort zwei Designer: Wilhelm Braun-Feldweg und seinen ersten Schüler. In der heutigen Hochschullandschaft hingegen muss man genau hinschauen, was wo und wie unter Design gelehrt wird. Die Ideen von dem, was Design sein könnte, sind geradezu explodiert. Und genau deswegen ist die Reflexion immer wieder wichtig: Um was geht es?
Der letzte bf-Preis wurde 2016 vergeben, davor 2012. Warum so unregelmäßig? Benita Braun-Feldweg: Das ist den finanziellen Parametern geschuldet. Dass der Preis dieses Jahr wieder ausgelobt werden konnte, hat vor allem mit den „Freunden des bf-Preises“ zu tun. Hinter diesen Unterstützern verbergen sich Mentoren, die eigeninitiativ finanzielle Mittel beigetragen und eingeworben haben. Auf lange Sicht ist es unbedingt nötig, dass Sponsoren den Preis wirtschaftlich so stabilisieren, dass er alle zwei Jahre ausgelobt werden kann. Seit 2004 sind die Anforderungen auch komplexer geworden: Wir müssen die Hochschulen kontaktieren und den Preis kommunizieren, wir haben Lektorat, Grafik, Kommunikation und Fotografen. Trotz aller Ehrenämter: Wenn man Kultur machen möchte, dann braucht man auch Geld. Und das ist zum Thema Schreiben im Design eine Herkulesaufgabe. Und es liegt auch an den zeitlichen Kapazitäten: Bis zu sieben Juroren müssen alle Arbeiten lesen. Dieses Jahr waren es 43.
„Von 43 auf 3 in 25.000 Sekunden“ - so hat Thomas Edelmann hat die finale Jurysitzung in seiner Laudatio zusammengefasst. Wie läuft die Abstimmung? Thomas Edelmann: Es gibt keine Routine. Die kann es auch nicht geben, weil jede Arbeit neu ist. Wir haben über all die Jahre nie einen Weg gefunden, die Sitzungen abzukürzen. Weil jeder Juror eigene Maßstäbe und Präferenzen hat. Es gibt auch Fälle, in denen wir uns einig sind, dass eine Arbeit nichts für den Preis ist – aber wir wollen trotzdem mal gemeinsam darüber reden. Es ist ein Diskutieren, Abwägen, Ringen, Streiten und immer wieder auch ein Umkehren. Manchmal vermittelt ein anderer Juror auch Aspekte, die man selbst völlig übersehen hat. Und umgekehrt: Eine Arbeit, die man selbst fantastisch findet, wird von anderen nicht sonderlich favorisiert.
Egon Chemaitis: Es gab aber durchaus Jahre, in denen wir uns leichter getan haben, als in diesem. Wir versuchen immer argumentativ zum Ziel zu kommen. Dieses Mal hatten wir am Schluss noch drei sehr starke Arbeiten vorliegen – und trotz aller Diskussionen war in letzter Instanz eine Abstimmung nötig.
Wieso habt ihr Euch am Ende für die Arbeit von Laura Linsig entschieden? Thomas Edelmann: Es gab ein ganzes Feld von Arbeiten, die sich mit Identität auseinandersetzen. Das ist politisch virulent, ob mit populistischer Ausprägung oder historisierenden Darstellungen. Was Laura Linsig in ihrer Arbeit gut zeigt, ist, dass Identität nichts ist, was einfach festgelegt ist. Auf einer anderen Ebene ist das Thema Identität eben auch Design. Dieser Erkenntnisprozess, mit seinen historischen Argumenten, am Gegenstand Textil, in einer wenig vertrauten aber nie exotisch mystifizierten Umgebung wie Thailand: Das war in der Kombination sehr außergewöhnlich.
Zur ausgezeichneten Arbeit 2019
Es ist eine enge Beziehung, die Laura Linsig zu Thailand hat. In den letzten neun Jahren besuchte sie das Land immer wieder, lernte Kultur, Tradition, Politik und Gesellschaft kennen und begann sich die Frage zu stellen, welchen Einfluss all diese Faktoren auf die nationale Designidentität haben. Durch ihr Studienfach „Conceptual Textile Design“ spielt Textil die Hauptrolle in ihrer Forschung, die sich immer wieder auf praktische und persönliche Erfahrungen beruft. Kunsthandwerker und Designer vermitteln ihr die Vielschichtigkeit, die gerade das thailändische Textil charakterisiert: Es ist ein Träger von Botschaften, der dazu gemacht ist, in seiner Mehrdimensionalität Identität zu stiften. Ihr Buch „Beyond Thainess“ ist ein Einblick, ein Rückblick und ein Ausblick und die persönlichen Anekdoten münden in der Reflexion und Analyse. Wie etwa lässt sich die Konfrontation mit dem Fremden und die Weiterentwicklung des Überlieferten nutzen, um regionale Strategien zu entwickeln und Designtraditionen zu beleben? Wie wirken sich der Austausch von Erfahrungen und die gegenseitige Einflussnahme aus? Das scheinbar ferne und vermeintlich exotische Beispiel Thailand wird am Ende exemplarisch für regionalisierte Gestaltung in allen Teilen der Welt.
Der Text ist als Buch beim Schweizer Niggli-Verlag unter dem Titel „Beyond Thainess“ und mit einem Vorwort des bf-preis-Mentors 2019 Mateo Kries erschienen.