Das Hotelschatzkästchen
Das Château Royal in Berlin-Mitte
In Berlin hat ein neues Hotel eröffnet, dass gerade für ein Rauschen im digitalen Blätterwald sorgt. Wir haben uns mit der Architektin Irina Kromayer zu einem Rundgang getroffen – samt zeitgenössischer Kunst, Vintage-Objekten und speziell angefertigten Designerstücken. Unser Fazit: Auch wenn sich vieles im Hotelalltag erst noch beweisen muss, ist das Ambiente behaglich und dabei ziemlich berlinerisch.
Als wir im April mit Christian Haas in Porto unterwegs sind, halten wir an einem Geschäft, das so in Deutschland kaum noch zu finden ist: ein privat geführter Baumarkt en miniature, der die gesamte Tiefe eines Altstadthauses einnimmt. Der deutsche Designer, der seit einigen Jahren in Portugal lebt, schaut sich in den vollgestopften Regalen um und findet, was er sucht: alte Kleiderhaken aus massivem Messing, von denen er den gesamten Restbestand kauft. Und genau diese Haken sind nun in einigen Zimmern des im September eröffneten Château Royal zu finden. Eine kleine Anekdote, die verdeutlicht, wie die Macher des Hotels vorgegangen sind: ziemlich akribisch und detailversessen, den zusätzlichen Aufwand nicht scheuend. Und alles mit dem einen Ziel, sich unbedingt absetzen zu wollen im hart umkämpften Berliner Hotelmarkt, der nicht gerade arm ist an Unterkünften.
Klotzen, nicht kleckern
Und dass der Aufwand für die Eigentümer*innen (Stephan Landwehr, Moritz Estermann, Victoria Eliasdóttir und Familie Müller-Spreer) groß war, ist nicht zu übersehen. Finanziell, aber auch technisch. Das fängt beim Gebäude an, das genau genommen ein Konglomerat aus drei verschiedenen Gebäuden ist. An der Ecke Mittelstraße / Neustädtische Kirchstraße befindet sich unweit des Prachtboulevards Unter den Linden ein Altbau von 1850, daneben steht ein Gebäude von 1910, das flankiert wird von einem Anbau von David Chipperfield.
Man kann sich vorstellen, wie aufwendig es war, alle drei Gebäude gestalterisch zusammenzufassen. Nicht nur wurde das Haus von 1850 um mehrere Meter abgesenkt und beide Altbauten um einen zweistöckigen Dachaufbau ergänzt, der Möglichkeit einer größeren Zimmerzahl wegen. Einige Gebäudeteile stehen auch unter Denkmalschutz, darunter die Fassade und die Treppenhäuser. Sie bilden zusammen mit den Etagenfluren eine Einheit und sind gestalterisch sehr gelungen, was selten ist im Hoteldesign. Die für Berlin typischen Sisalteppiche, eine Metallrasterdecke, hinter der geschickt die Haustechnik verborgen ist, und an die Wände angebrachte Vitrinen mit kleinen Kunstwerken begleiten den Gast elegant auf sein Zimmer.
Berliner Flair
Die Architektin Irina Kromayer hat sich zusammen mit Etienne Descloux und Katariina Minits zum ersten Mal an das Interiordesign eines Hotels gewagt. Sie ließ sich nicht abschrecken von der Größe des Projekts, den architektonischen und hotel-spezifischen Herausforderungen. Gelernt habe sie viel, erzählt sie, würde im Nachhinein aber auch einiges anders machen – wie beispielsweise auf einige Gastzimmer verzichten und dafür mehr Abstellräume schaffen. Insgesamt wirkt Kromayer jedoch ziemlich zufrieden, als sie uns einige der insgesamt 93 Zimmer zeigt, die zwischen 17 und 76 Quadratmeter groß sind und verschiedene Kategorien umfassen.
Anders, aber ähnlich
Rund zwei Drittel der Zimmer sind bereits fertig eingerichtet, mit den restlichen Räumen ist sie noch beschäftigt. Hier hängen Grundrisse mit Anmerkungen an den Türen und man erahnt, was es bedeutet, wenn ein Hotel mitsamt seiner komplexen Logistik in einen Bestandsbau mit Höhenversprüngen untergebracht werden muss. Eine Folge davon: Die Zimmer haben unterschiedliche Grundrisse, was für den Gast durchaus reizvoll sein kann und sicherlich in Zukunft zu einigen Lieblingszimmer-Anfragen führen wird. Zwar wurde auch im Château Royal, wie in der Hotelplanung gemeinhin üblich, ein Standardmusterzimmer (Nr. 210) gebaut, doch dessen Einrichtung und Ausstattung auf einem recht einfachen Grundriss konnte nur grob auf die anderen Zimmer übertragen werden.
An diesem Raum zeigt sich das Interiorkonzept: Das Entree besteht aus einem offenen, maßgetischlerten (Kleider-)Schrank aus Eichenholz, der in ein geräumiges Badezimmer übergeht und den Eingangsbereich mit einem raumhohen Regal vom Schlafraum abtrennt – eine Idee, die sich Kromayer von den Einbauten vornehmer Berliner Altbauwohnungen abgeschaut hat, wie sie sagt. Hinter dem offenen Regal geht es eher konventionell zu mit Doppelbett, Nachtischen, Sesseln und Beistelltisch. Weil ein Fernseher in dieser Hotelkategorie nicht fehlen darf, aber nur selten wirklich schön ist, lässt ihn Kromayer kurzerhand in einer gepolsterten Sitzbank verschwinden.
Keine Stangenware
Die Architektin sagt, es sei ihr wichtig gewesen, so wenig wie möglich „aus dem Katalog zu bestellen“. Was sie damit meint: Man findet im Château Royal bis auf wenige Ausnahmen keine Möbel und Leuchten von großen Herstellern oder bekannten Designernamen. Stattdessen suchte das Kreativteam nach Vintage-Stücken, die einen persönlichen Touch ins Interior bringen. Sogar Restbestände von handbemalten französischen Tapeten und ein Konvolut von Orientteppichen habe man gekauft, erzählt Kromayer.
Ein großes Teppich-Exemplar liegt nun im Entree des Hotels, das gleichzeitig als Lobby fungiert und nahtlos ins Restaurant dóttir übergeht. Aber vor allem finden sich die Teppiche in den Zimmern wieder, wo sie zusammen mit den von Christian Haas für das Projekt entworfenen Sofas, Sesseln und Poufs kombiniert werden. Dazu gesellen sich Vintage-Beistelltische und andere Möbel, wobei sich zeigt, dass die Arrangements nicht immer gleich gut gelungen sind. Zuweilen wirken sie sehr additiv, was wahrscheinlich auch dem Umstand geschuldet ist, dass es so viele verschiedene Zimmer-Grundrisse gibt. Und dass es manchmal durchaus geschickter hätte sein können, auf bestehende Entwürfe „aus dem Katalog“ zurückzugreifen, zeigen die Leuchten von KL Keramik. Ihre Keramikkörper mit den darauf platzierten Lampenschirmen wirken unförmig und wollen nicht so recht passen zum ambitionierten Kunstkonzept, das das gesamte Hotel durchzieht. Es umfasst rund 100 Arbeiten von Künstler*innen wie Cosima von Bonim, John Bock und Thomas Demand, die teilweise speziell für den Ort angefertigt wurden.
Ungewollt unvollkommen
Es ist übrigens durchaus möglich, dass das Hotel die Möbelkollektion von Christian Haas irgendwann auch exklusiv verkauft. Zwar wäre diese Idee nicht neu in der Hotelbranche, würde in diesem Fall aber wahrscheinlich ziemlich gut funktionieren, jedenfalls was die gefälligen Sessel, Sofas und Poufs des deutschen Designers betrifft. Sein Entwurf ist kompakt, aber dennoch bequem. Nur bei der Qualität der Verarbeitung sollte noch nachgebessert werden, denn an einigen Stücken wellt sich der Bezugsstoff aus Mohair-Samt unschön an der Rückenlehne, was wegen der strengen geometrischen Form der Möbel sogleich ins Auge fällt. Die Polstermöbel werden in Portugal hergestellt, ebenso wie die Betten. Das sei billiger als die im Markt erhältliche Standardware, erzählt Kromayer. Auf Standardware indes setzt man im Barbereich, wo der Cappuccino in Tassen von Gmundner Keramik serviert wird, was nicht nur stilistisch etwas unglücklich wirkt. Auch im täglichen Hotelbetrieb dürfte das Geschirr nicht lange halten, denn Steingut ist extrem porös.
Ich hab noch einen Koffer in Berlin
Trotz einiger gestalterischer Unstimmigkeiten ist es ungewöhnlich, mit welcher Detailgetreue und Hingabe das Hotel ausgestattet wurde. Das betrifft auch die verwendeten Materialien, die nach ausgiebigen Recherchen von Kromayer und ihrem Team als typisch für die Berliner Gründerzeit und auch die Zwanzigerjahre ausgemacht wurden, darunter farbiger Marmor, Fischgrätparkett aus Eichenholz, Guss-Asphalt und handgefertigte Craquelé-Fliesen. Es sind vor allem die gelungenen öffentlichen Bereiche, mit denen das Hotel punktet und von denen die Macher hoffen, dass sie ein Publikumsmagnet auch für die Berliner werden. So locken an der Fassade angebrachte, handgefertigte Leuchten sowie eine verhüllte Bronzeskulptur von Alicja Kwade ins Innere, wo es viele handwerklich gefertigte Stücke zu entdecken gibt: Man sitzt an einem geschwungenen Bartresen mit einer in Frankreich gefertigten Platte aus Zinn, der hinterfangen wird von einer Fliesenwand aus Dallglas, die je nach Lichteinfall eine immer wieder andere atmosphärische Lichtstimmung erzeugt. Ebenso wie der gekachelte Kamin im schummrigen Loungezimmer, bei dessen Anblick man fast geneigt ist, sich die kalten Berliner Wintertage herbeizusehnen.
FOTOGRAFIE Felix Brüggemann Felix Brüggemann