Der mit der Sonne kocht
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„Wenn du den Teller leer isst, scheint morgen die Sonne.“ predigen Eltern seit Generationen ihren Kindern. Mit seinem neuen Projekt Lapin Kulta Solar Kitchen Restaurant dreht der finnische Gastronom Anto Melasniemi den Spieß einfach um: Wenn die Sonne nicht scheint, bleibt der Teller leer. Oder es gibt eben Salat. Gemeinsam mit dem katalanischen Designer Martí Guixé und mit Unterstützung der urfinnischen Biermarke Lapin Kulta hat sich Anto Melasniemi zum Ziel gesetzt, alle seine Speisen allein mit der Kraft der Sonne zuzubereiten.
Glücklicherweise gilt das nicht für seine zwei Restaurants im nordischen Helsinki, sondern ausschließlich für seine mobile Solar Kitchen. Mit der zieht er dieses Jahr kreuz und quer durch Europa – der Sonne hinterher. Auftakt war Mailand: Während der Design Week im April gab es bei strahlendem Sonnenschein ein italienisches Menü.
Sonne im Herzen
Das Konzept des Kochens mit Solarenergie ist in sonnenreichen Ländern mittlerweile beinahe so etabliert wie die Stromgewinnung über Solarzellen. Dafür gibt es ganz unterschiedliche Varianten, die jedoch alle mit der Reflexion der Sonnenstrahlung arbeiten. Ein sehr einfach zu bauendes Gerät ist zum Beispiel der Solarofen, ein gut isolierter Kasten, der die Sonnenstrahlen durch eine Scheibe an der Oberseite einfängt und dank seiner schwarzen Innenfläche absorbiert und in Wärme umwandelt. Ein zusätzlicher, verstellbarer Reflektor wirft weitere Sonnenstrahlen in die Kochmulde und lässt die Temperatur dort bis auf 160°C ansteigen. So können viele Gerichte problemlos gegart und gebacken werden.
Mit dem Spiegel zum Spiegelei
Möchte man höhere Temperaturen erreichen, um Nahrungsmittel zu rösten oder zu braten, dann bietet sich die sogenannte Parabolspiegeltechnik an. Durch die konzentrierte Sonneneinstrahlung in der Mitte des Parabolspiegelkochers werden unter dem dort eingehängten Kochtopf zwischen 400°C und 800°C erreicht.
Im großen Maßstab angewandt, können mit diesem Prinzip sogar Kantinen oder Restaurants betrieben werden. Im indischen Auroville gibt es bereits seit 1997 eine Solar Kitchen, deren riesige „Solarschüssel“ auf dem Dach schon von Weitem sichtbar ist. Die in dem gigantischen Parabolspiegel produzierte Hitze wird zu Herstellung von Wasserdampf genutzt, der wiederum die Zubereitung von täglich bis zu 1000 Mahlzeiten ermöglicht – für die Bewohner der Kommune, umliegende Schulen und andere Gemeinden. Einziger Wermutstropfen: Die Sonne scheint nicht immer. Schon gar nicht dann, wenn der Hunger am größten ist. Deshalb funktioniert keine solarbetriebene Küche zuverlässig ohne den zusätzlichen Verbrauch von fossilen Brennstoffen. In Auroville spart man jedoch zwölf Liter Diesel pro Stunde, sobald die Sonne nach den kühleren Morgenstunden als alleinige Energiequelle dient. Die jährliche Einsparung an Brennstoff im Vergleich zu einer klassischen Küche ist also beachtlich.
Zwei Männer, ein Gedanke
Gerade das Element der Unberechenbarkeit beim Kochen mit reiner Sonnenergie hat wiederum die beiden Gründer des Lapin Kulta Solar Kitchen Restaurant gereizt. Schon eine einzige Quellwolke verzögert den Garprozess eines Gerichts, eine Ansammlung von Wolken bedeutet ein ernsthaftes Problem für den Koch, und bei Regen bleibt die Küche kalt. Gäste müssen sich spontan auf neue Situationen einstellen können – allerdings ohne zu hungern – Salat und andere garfreie Speisen stehen immer bereit.
Ein weiterer Effekt, der vor allem Anto Melasniemi begeistert, ist der andersartige Geschmack von sonnengegarter Nahrung. Die Hitze kommt durch die Parabolspiegeltechnik von allen Seiten und die Garzeiten sind entsprechend verändert und wenig kalkulierbar. Routine oder gar Langeweile scheinen ausgeschlossen, wenn man bis zu elf Parabolspiegelkocher nach der Sonne ausrichten und im Rhythmus des Wetters kochen muss.
Naturverbunden mit Sonnenbrille
Der Akt der Nahrungszubereitung ähnelt im Lapin Kulta Solar Kitchen Restaurant eher einer Street Performance als einem klassischen Gastronomiebetrieb, denn der Koch trägt dabei eine Sonnenbrille. Dieser Charakter wird noch verstärkt, wenn, wie zuletzt in Barcelona, das Restaurant einfach auf den Boden gemalt wird. Das entspricht voll und ganz der Philosophie des selbst ernannten „Ex-Designers“ Martí Guixé, den trotz seiner vielen Kooperationen mit großen Firmen wie Alessi, Camper oder Danese vor allem die Neugier auf neue Ideen und unkonventionelle Lösungen antreibt.
Auf zum Polarkreis
Ein bisschen Glück mit dem Wetter wird zumindest Anto Melasniemi jedoch benötigen, wenn er mit seinem Van voller Parbolspiegelkocher durch Europa tourt – nach Norden, der niemals untergehenden Mittsommersonne entgegen. Den Menschen am Polarkreis bleibt zu wünschen, dass sie bei ihm nicht nur Salat, sondern die Gelegenheit bekommen, die ganze Würze der Sonne zu verkosten. Denn auf eins ist Verlass: Der nordische Winter wird wieder lang und dunkel.
FOTOGRAFIE Imagekontainer/ Knoelke
Imagekontainer/ Knoelke
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