Ein Haus für alle
Wie eine indische Garage von Abin Chaudhuri die Nachbarschaft einlädt
Die Geschichte des Gallery House in Indien ist voll unerwarteter Wendungen. Sie erzählt davon, wie – dank der Initiative des Architekten Abin Chaudhuri und dem Mut des Bauherren – aus einem privaten Parkhaus erst ein kollektiver Mehrzweckraum und dann ein konsequenter Kulturort für das ganze Viertel wurde.
Eigentlich war das Gallery House im (für indische Verhältnisse mit seinen knapp 100.000 Einwohner*innen) kleinen Bansberia als eine großzügige Garage geplant. Der Besitzer des Grundstückes wohnt direkt vis-à-vis – und hatte sich dort kürzlich vom Abin Design Studio aus Kalkutta ein spektakuläres Haus aus verwittertem Stahl planen lassen. Weil der Raum auf der zusätzlichen Parzelle aber weit mehr Nutzungsmöglichkeiten als ausschließlich das Parken und den Witterungsschutz für Fahrzeuge bot, trat der Architekt Abin Chaudhuri mit einer mutigen Idee an seinen Auftraggeber heran: Über der Garage im Erdgeschoss könnten offene Räume entstehen, die als Treffpunkt und Kommunikationsort funktionieren – und die den Bauherren in die Lage versetzen, der lokalen Gemeinschaft etwas zurückzugeben.
Villa mit sozialem Anbau
Schon das Wohngebäude beeindruckt durch seine spektakuläre Materialwahl: Straßenseitig ist der Block komplett mit lehmrotem Cortenstahl belegt, der Garten verbirgt sich hinter einer Mauer aus cremeweißem Travertin. Das Gallery House folgt ebenso dem Thema des konsequenten Materialeinsatzes, geht es aber lokal an. Als Inspiration diente Abin Chaudhuri die wichtigste Sehenswürdigkeit der westbengalischen Stadt: der Ananta-Vasudeva-Tempel aus dem Jahr 1679. Er ist aus Ziegelsteinen erbaut und komplett mit dekorativen Terrakotta-Tafeln verkleidet, die dem formal einfachen Bau Struktur und Narrativ mitgeben.
Offenheit statt Gated Community
Auf 330 Quadratmetern wurde die Garage cum Galerie angelegt. Im Erdgeschoss ist die Stellfläche für Fahrzeuge, im Obergeschoss der Mehrzweckraum für die Gemeinschaft. Konstruktiv ist Chaudhuri von einem Quader mit weich gerundeten Kanten ausgegangen, der Licht, Luft und Stadt durch überlegt platzierte Einschnitte und Aussparungen hereinholt. Die Garage erhielt ein Vordach, das sie wie eine Höhle verschattet, während eine helle Treppe und ein weiter Türbogen die soziale Ausrichtung des Obergeschosses auch mit einer architektonischen Geste kommunizieren. „Das Design erstreckt sich sowohl visuell als auch physisch in die Straße hinein“, erklärt Chaudhuri.
Resteverwertung in der Ziegelproduktion
In Zusammenarbeit mit einem Keramikkünstler sammelte der Architekt Keramikblöcke, die aufgrund von Unregelmäßigkeiten bei der industriellen Fertigung ausgemustert worden waren. Die Backsteine aus Terrakotta hingegen stammen von einem Feld am Ufer des nahegelegenen Flusses Hugli, auf dem die Ziegel traditionell hergestellt werden. Aus beiden Elementen entstand ein Patchwork, dessen Muster für die Region typisch und im lokalen Handwerk eine tradierte Bauweise ist. „Das exponierte Ziegelmauerwerk mit seinen Inlays aus Keramikelementen definiert den Charakter des Gebäudes, indem es die Inspiration durch einen zeitgenössischen Ausdruck ergänzt“, erläutert Chaudhuri.
Konsequent kommunal und mit funktionalen Konsequenzen
Schon während des Bauprozesses nahm die Geschichte des Gebäudes eine weitere unerwartete Wendung: Der Bauherr entschied sich, seine Garage aufzugeben. Stattdessen wollte er nun auch das Erdgeschoss allen zugänglich machen – und ließ dort einen Gemeindesaal einrichten. Im Obergeschoss ist er jetzt nur noch ein Mitnutzer: Der Mehrzweckraum ist tagsüber ein Yogastudio oder ein Klassenzimmer für Nachhilfestunden, nachts dient er dem Personal als Schlafraum. Als neuer Kulturort hat dieses Gemeindehaus auch schon Spuren im lokalen Event-Kalender hinterlassen. Jedes Jahr wird eine festliche Prozession durch die verwinkelten Straßen des Viertels ziehen, mit dem Gallery House als Ausgangsort. Zu diesem Anlass wird die Kultur auch in die Stadt gespült – und die gemeinschaftliche Idee des Hauses über die roten Mauern der Fassade hinaus kommuniziert.
FOTOGRAFIE Edmund Sumner
Edmund Sumner