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Harte Schale. Weicher Kern.

Die Kapelle Allerheiligen im Herzen Brasiliens zeigt scharfe Kanten – kann aber auch anders...

von Markus Hieke, 09.10.2013

Gegensätze ziehen sich an. Ausgerechnet minimalistisch, mit scharfen Kanten und einer Fassade aus Beton soll sich die Kapelle Allerheiligen dem Glauben und der einzigartig vielfältigen Natur im Herzen von Minas Gerais hingeben. Und es funktioniert – in einem außergewöhnlichen Geschenk des Brasilianischen Architekten Gustavo Penna an eine langjährig befreundete Farmerfamilie.

Minas Gerais – der Name des Bundesstaates im Südosten Brasiliens geht zurück auf sein reichhaltiges Rohstoffvorkommen. Gold und Diamanten begründeten die hier verankerte Bergbautradition. Fruchtbarer, rostfarbener Boden, steinige Hügel und eine saftige Vegetation entlang ausgedehnter Flusstäler und ihrer zahlreichen Ausläufer charakterisieren das Land.

Kein Kreuz
Inmitten dieser Landschaft thront die Kapelle Allerheiligen auf der Fazenda Gurita, einer kleinen Farm nahe des Ortes Martinho Campos. Nur unweit davon erstrecken sich die Ufer des mächtigen São Francisco Flusses. Als Hommage an die einzigartige Natur ersann der Architekt Gustavo Penna die Kapelle zum Geschenk an die befreundete Familie Dias dos Santos. Zwischen Palmen und Sträuchern entspringt das Gebäude einem quaderförmigen Taufstein, dessen reines Wasser über ein schmales, blau gefliestes Becken zum Fuße der sich emporhebenden Kapelle führt. Die Fassade zeichnet ein massives Kreuz, das sich tief wie breit nach hinten erstreckt. Für ein Kreuz Christi will das Verhältnis vom Balken zum Pfahl nicht recht stimmen. Breiter als hoch. Extrem dicke Linien. Zudem eine harte Schale aus Sichtbeton, deren Muster eher an einen Bunker als an ein Gotteshaus erinnert. Äußerlich wirkt das Haus mit seinen scharfen Kanten schon fast bedrohlich.

Doch wagt man einen Schritt ins Innere, so ändert sich diese Ansicht prompt. Eine Haut aus Glas umgibt den Raum; lediglich durchbrochen von den zwei senkrechten Beinen des Kreuzes. Je nach Tageszeit entsteht ein Spiel aus kürzeren Lichtern oder längeren Schatten, die durch die großen Fensterfronten hineinfallen. „Die Transparenz und Verknüpfung zur Natur, zum Himmel, zu den Tieren und den Pflanzen“, so der Architekt, „wird durch die Glaswand erzielt“. So bleibt der Blick auf alles Irdische bestehen, während die Gedanken sich dem Himmlischen zuwenden.

Aus dem ersten äußeren Eindruck entwickelt sich ein Gefühl von Geborgenheit. Ein weicher Kern ruht drinnen. Dafür sorgt nicht zuletzt eine Vertäfelung an Wand, Decke und dem Mittelstreifen des Bodens, für die Gustavo Penna das beheimatete Holz der Peroba do Campo verwendet hat. Beigefarbener Travertin vereint, als Fundament des 160 Quadratmeter großen Grundrisses, alle Materialien miteinander. Die geometrische Härte des Baus und das saftige Grün der umgebenden Natur bilden hingegen einen harten Kontrast zueinander. Symbole des Glaubens
Den Bezug zwischen Himmel und Erde sucht das Andachtshaus symbolisch durch die vertikale Linie des Kreuzes. Die schmale Längsachse beschreibt ein Dachfenster, bedeckt von Holzlamellen. Ein leichter Windhauch weht den Duft der Natur ins Innere. Steht die Sonne im Zenit, so strahlt sie auf das Bildnis Jesus Christus, welches von Gustavo Penna im Schwung von nur einer Linie entworfen wurde. Einem Engel gleich schwebt die Holzskulptur an der schmalen Südwestwand der Kapelle und hebt sich damit als einziges Element von der minimalistischen Form des Baus ab. Es hält dort die Symbole des Glaubens beieinander: die horizontale Linie als Sinnbild für ein Leben Seite an Seite, die Taufe als Akt der Einführung in das spirituelle Bewusstsein, der Fluss als Bild für den Entwicklungsweg und das Kreuz als Zeichen der Selbstreflexion, mit dem Ziel der inneren Vollkommenheit.

Am Ende des Tages schwindet das Gefühl der Bedrohlichkeit. Idyllisch fügt sich die Kapelle in die Landschaft und strahlt, sanft beleuchtet, als Schmuckstück einer kleinen Farm ehrfürchtig in die große Welt hinaus.

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Projektarchitekten

Gustavo Penna Arquiteto & Associados

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