Haus der Kontraste
Rundgang durch die sanierte Neue Nationalgalerie in Berlin

Unter dem Motto „So viel Mies wie möglich“ sanierten David Chipperfield Architects sechs Jahre lang die Neue Nationalgalerie in Berlin. Bei einem Rundgang kurz vor der Schlüsselübergabe tritt Mies van der Rohes Freude an gestalterischen Gegensätzen deutlich zu Tage. David Chipperfield hat sie in seinem Sinne weitergeführt.
Bevor sich die Neue Nationalgalerie in Berlin wieder mit Kunstwerken füllt, ermöglichten die Staatlichen Museen zu Berlin und die Stiftung Preußischer Kulturbesitz sowie das ausführende Büro David Chipperfield Architects einen Rundgang durch das Gebäude. Eröffnet 1968 und jahrzehntelang ein Besuchermagnet für Ausstellungen wie „Das MoMA in Berlin“, war eine Grundsanierung bitter nötig. Das zeigten beispielsweise die Schäden durch das Kondenswasser an der Glasfassade des transparenten Kunsttempels. „Mehrmals sind Gläser gebrochen, die dann durch geteilte Scheiben ersetzt wurden“, erklärt Daniel Wendler, Projektleiter und Partner bei David Chipperfield Architects Berlin. Lediglich vier Scheiben blieben bauzeitlich erhalten. In China fanden Wendler und sein Team einen Hersteller, der sie im Originalmaß herstellen konnte. Auf eine heute übliche Doppelverglasung verzichteten die Architekten. Dafür hätten die Originalstützen deutlich breiter gewählt werden müssen, die filigrane Wirkung wäre dahin.
Platz für Patina
Ludwig Mies van der Rohe, der den Gebäudetyp ursprünglich als Hauptsitz von Bacardi in Santiago de Kuba geplant hatte, sah die rundum verglaste Halle für soziale Begegnungen vor. Ein Vorhang sorgt auf Wunsch für Privatheit. Obwohl mehr als 10.000 Granitplatten ausgebaut, restauriert und wieder eingesetzt wurden, sind die Besucherspuren zum Teil noch sichtbar. Auch die mit Tinos-Marmor verkleideten Technikschächte, für die Mies’ Enkel das Material aussuchte, blieben originalgetreu erhalten. „Wir haben nicht versucht, das Haus auf neu zu trimmen“, unterstreicht Daniel Wendler. „Schäden an den Originalmaterialien wurden lediglich leicht kaschiert.“ Auch die Leuchtkörper blieben erhalten und auf energiesparende LEDs umgerüstet.
Effiziente Raumnutzung
Nach Mies van der Rohes Vorstellung soll die Kunst im Untergeschoss genossen werden. Seit der Sanierung ist es per Personenaufzug erreichbar, der geschickt in den Garderobenkomplex aus Brauneichefurnier integriert wurde. Das Holz bildet einen warmen Kontrast zu der Umgebung aus Glas und Stahl. Dieses Konzept führten David Chipperfield Architects in einem neuen Garderobenraum im Untergeschoss fort. Ein Ziel der Sanierung war es schließlich auch, Flächen effizienter zu nutzen. Bis zur Sanierung befand sich dort ein Depot.
Der Tresen ist aus dem gleichen Eichenfurnier wie die Garderoben im Obergeschoss, mit einer Platte aus schwarzem Granit. Die Stützen und Wände oberhalb der etwa zwei Meter hohen Holzverkleidung sowie die Kassettendecke blieben im Originalzustand aus Beton. Auch der Museumsshop ist auf die Fläche eines ehemaligen Bilderlagers umgezogen. Einbauten aus Holz und Stahl mit integrierter Beleuchtung setzen die Bücher in Szene. Im fensterlosen Museumscafé erlebt die Automatenbar aus den Sechzigerjahren ein Revival. Die Gestaltung des Raumes übernimmt der Künstler Jorge Pardo.
Auf leisen Sohlen
Obwohl es der Bauherr lieber pflegeleichter gehabt hätte, setzten sich der Denkmalschutz und die Architekten durch: Der für Museen unübliche Teppich blieb in den Ausstellungsräumen erhalten. Mit dem robusten Belag im Salz-Pfeffer-Design grenzen sie sich auch akustisch vom eher halligen Granitboden im Obergeschoss ab.
Die Ausstellungsräume öffnen sich zum ummauerten Skulpturengarten mit dem rechteckigen Wasserbecken. Künftig sollen dort wieder Kunstwerke ausgestellt werden. Seine ursprüngliche Bepflanzung stellte das Büro TOPOS Landschaftsarchitekten wieder her und reparierte Wurzelschäden an den Bodenplatten.
Wer den Museumsdirektor besuchen möchte, muss nach Mies’ Willen erst die vollständige Ausstellung durchqueren – sofern er nicht den Seiteneingang benutzt. Sein Büro befindet sich am südlichen Ende des Skulpturengartens. Teilweise sind die originalen Schreibtische von Ludwig Mies van der Rohe erhalten. Bücher und Akten lagern in den originalgetreuen Einbauten und auch die legendäre Raufasertapete blieb erhalten.
Mit der Sanierung der Neuen Nationalgalerie haben David Chipperfield Architects nach dem Neuen Museum in Berlin den baulichen Fortbestand eines weiteren Berliner Museumsbaus gesichert. Ihnen gelang dabei die Balance, als „the invisible architect“ zu agieren und zugleich das Gebäude an die aktuellen Nutzungsanforderungen anzupassen. Ende Mai können sich Besucher an Tagen der offenen Tür selbst davon überzeugen. Ab dem 22. August wird der Ausstellungsbetrieb wiederaufgenommen.
FOTOGRAFIE Simon Menges
Simon Menges
Projekt | Neue Nationalgalerie |
Bruttogrundfläche | 13.900 Quadratmeter |
Projektbeginn | 2012 |
Fertigstellung | 2021 |
Bauherr | Stiftung Preußischer Kulturbesitz vertreten durch das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung |
Nutzer | Nationalgalerie – Staatliche Museen zu Berlin |
Architekt | David Chipperfield Architects Berlin |
Projektleitung | Daniel Wendler und Michael Freytag |
Restaurierungsplanung | Pro Denkmal GmbH, Berlin |
Tragwerksplanung | GSE Ingenieurgesellschaft mbH Saar, Enseleit und Partner, Berlin |
Gebäudetechnik | Ingenieurgesellschaft W33 mbH mit Domann Beratende Ingenieure GmbH, Berlin |
Bauphysik | Müller-BBM GmbH, Berlin |
Akustik | Akustik-Ingenieurbüro Moll GmbH, Berlin |
Lichtplanung | Arup Deutschland GmbH, Berlin |
Landschaftsarchitekt | TOPOS Stadtplanung Landschaftsplanung Stadtforschung, Berlin |
Neue Nationalgalerie
www.smb.museumMehr Projekte
Skandinavisches Design für britische Küstenluft
Vestre möbliert Strandpromenaden von Roker und Seaburn

Urbaner Abschlag
Industriell geprägter Indoor-Golfplatz Muni in Montreal von Ivy Studio

Sommerverlosung
Zwei Nächte im Parkhotel Mondschein zu gewinnen

Holz und Stein im alpinen Dialog
Apartmenthaus Vera von atelier oï und CAS Architektur in Andermatt

Astrohütten im Alentejo
Tiny Houses von Madeiguincho unter Korkeichen und Kosmos

Der Fjord als Bühne
Sauna Trosten in Oslo von Estudio Herreros

Mehr als heiße Luft
Saunen inmitten der Natur

Hygge auf Tschechisch
Umbau des Cottage Two Sisters von Denisa Strmiskova Studio im Isergebirge

Die rosaroten Zwanziger
Umbau der Casa 1923 in Faro von PAr Plataforma de Arquitectura

Wohnmaschine Reloaded
Umbauprojekt Unit-15 in Basel von Katrin Greiling

URLAUB DAHEIM
Apartmenthotel in Pfronten von Stein + Buchholz Architekten

Ruf der Wildnis
Holzhäuser Territoire Charlevoix von Atelier L’Abri in Kanada

Zwischen Erbe und Erneuerung
JKMM Architects und Fyra haben Alvar Aaltos Haus der Kultur in Helsinki umgebaut

Tanzen mit OMA
Nachtclub Klymax auf Bali in Kooperation mit DJ Harvey

Blick in die Unendlichkeit
Ferienhaus von Block722 auf der griechischen Insel Syros

Disko unterm Fresko
Umbau einer Villa am Comer See durch J. Mayer H.

Rohbau unter Palmen
Das Boutiquehotel Nico im mexikanischen Surferort Sayulita von Hybrid und Palma

Urbanes Wohnzimmer
Teehaus Basao Panji in Xiamen von Building Narrative

Paradis in Ostende
Kuratiertes Kunst- und Designapartment

Alpine Kontraste
Moderne Chalets im Skigebiet Les Trois Vallées

Residenz in der Schwebe
Ein Wipfel-Nest von i29 in den Niederlanden

Skandinavien im Unterallgäu
Umbau eines Bauernhofs in moderne Ferienwohnungen

Locke lockt
(Apart-)Hotel von Grzywinski+Pons an der Spree in Berlin

Chalet mal anders
Minimalistisches Berghotel in Südtirol von Martin Gruber

Aufwachen im Schnee
Ferienhaus bei Oslo von Fjord Arkitekter

Infrastruktur fürs Glück
Bibliothek in Kirkkonummi von JKMM

Stille Ecke
Pretziadas La Residenza auf Sardinien

Utopie unter der Sonne
Atelier du Pont gestaltet das Hotel Son Blanc auf Menorca

Eine Ausstellung, die Stellung bezieht
Fotografiska Berlin im einstigen Tacheles von Studio Aisslinger

Alpenchic mit Sixties-Vibe
Das Hotel The Cōmodo in Bad Gastein
