Ins Glas gepflückt
Bayern in seiner schönsten Form! Eine Bar in München setzt auf Regionalität.

Matthew Bax ist Künstler. Er malt Gemälde, und er mixt Drinks, die er etwa Wolken Crusta, Thymian Topaz Fizz und Frühlingserwachen nennt. So ungewöhnlich die Namen, so extravagant die dazugehörige Bar. Das Architekturstudio Buero Wagner hat das gastronomische Konzept in ein ebenso ungewöhnliches Interiordesign umgesetzt, bei dem regionale Materialien auf lokale Handwerkskunst treffen.
Die Bar Gamsei liegt im Glockenbachviertel, dem Hotspot der Münchner Szenegänger. In der Buttermelcherstraße 9 wird Wacholderschnaps, Verjus und Lavendelhonig serviert. Der australische Bartender Matthew Bax mag es lokal. Deshalb gehen er und seine Mitarbeiter manchmal morgens in den Wald und suchen nach Beeren und Kräutern. Die tauchen dann – vermischt zu einem kunstvollen Drink – auf der Abendkarte aus handgeschöpftem Büttenpapier wieder auf. Passend dazu hat Buero Wagner ein kreatives Interiordesign entworfen, das das klassische Barkonzept mit Tresen und Barhockern kurzerhand über den Haufen wirft.
Einzig und allein
Hinter einer Fensterfront haben sich auf 40 Quadratmeter Fläche versammelt: zwei zentral positionierte Küchenarbeitsblöcke, die von zwei treppenartigen Tribünen gerahmt werden. Ein raumhoher, begehbarer Schrank aus offenen und geschlossenen Regalen. An traditionelles Fachwerk erinnernd, verstecken sich dahinter eine kleine Küche und die Gästetoilette. Rustikale Keramikflaschen mit selbstgebrannten Likören, Sirup und Essig hängen von der Decke und wechseln sich ab mit nackten Glühlampen, die den Raum zu später Stunde in atmosphärisches Licht tauchen. Während die Keramikerin Franziska Schmid-Burgk die Flaschen gefertigt hat, kümmerten sich lokale Handwerker um die Herstellung der Maßeinbauten aus geöltem Eichenholz, das übrigens auch aus der Umgebung stammt.
Der Perfektionismus und das ausgeprägte Stilbewusstsein von Matthew Bax macht auch vor den Mitarbeitern nicht Halt. Die Barkeeper tragen Schürzen aus Leder von Antonetty Werkstatt, die mit der Zeit noch schöner werden. Ebenso wie das Eichenholz und der Zapfhahn aus Gamshörnern, die dem Interior eine Prise Bayern einhauchen. Genau wie der Löffel Bierschaum, der den Gästen zu den Drinks serviert wird und der in Wahrheit Eis mit Hefegeschmack ist. Aber auch wer lieber echtes Bier mag, kommt im Gamsei auf seine Kosten. Jeden Abend wird ein kleines Holzfass angestochen. Es ist gefüllt mit dem Bier von Crew Republic. Die drei Hopfenliebhaber ringen dem Getreide ganz neue Geschmacksvarianten und -erlebnisse ab und passen deshalb genau zum Konzept der Bar.
Nicht von dieser Welt
Fabian A. Wagner von Buero Wagner hat zusammen mit dem Architekten Andreas Kreft von Studio Kreft ein Interior geschaffen, das die kleine Raumfläche geschickt nutzt und ästhetisch wunderbar füllt. Hier wird Bayern in seiner schönsten Form zelebriert: mit hochwertigen Materialien wie Eichenholz, Keramik und Leder, die verarbeitet wurden von kundigen Handwerkern aus der Region. Mit Drinks wie Lavender Drunk Bee und Mid-Life Crisis, die geschmacklich zwischen süß, sauer, trocken und würzig changieren. Kein Wunder eigentlich, dass bei all dieser charmanten Durchdachtheit selbst der Name der Bar eine tiefgründige Bedeutung hat. Das Gamsei nämlich soll schwer zu finden sein und unbeschreiblich gut schmecken. Es sei das Lieblingsessen des Wolpertingers, einem bayerischen Fabelwesen. Doch leider vermochte der Wolpertinger es nicht zu verhindern, dass die Pop-up-Bar vor Kurzem wieder schließen musste.
FOTOGRAFIE Jann Averwerser
Jann Averwerser
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