Kater in Katar: Bibliothek von OMA
Die neue Qatar National Library von Rem Koolhaas ist ein Glanzstück architektonischen Staatsmarketings. Was sie kann und woran es ihr fehlt.
Er ist der meist diskutierte Architekt unserer Zeit und hat wie kaum ein anderer Planer und Denker die Diskussion um Funktion, Organisation und Gestalt von Städten und Gebäuden geprägt. Rem Koolhaas und seine Ideenschmieden OMA/AMO haben mit ihrer Architektur immer wieder die Grenzen von Konventionen verschoben, Bauherren vor den Kopf gestoßen und zeitgemäße Typologien, gerade für die Kulturlandschaft, entwickelt. Dass die Häuser des holländischen Büros mittlerweile vielfach zur positiven Außendarstellung von (Staats-)Institutionen genutzt werden, zeigt die gerade eröffnete Qatar National Library.
Er sieht aus wie ein echter Koolhaas – und doch ist etwas anders. Der gefaltete Bibliotheksneubau am Rande der Wüstenmetropole Doha hat nichts von der Radikalität und Wildheit früherer Bauten, von dem gebauten Chaos der Seattle Public Library oder der essentiellen Kraft des Educatoriums in Utrecht. Die Qatar National Library ist einfach nur ein weiteres, formschönes Spektakel, das mit viel finanziellem Aufwand und vermeintlich formaler Kühnheit nach Aufmerksamkeit schreit.
Dass der Funke nicht überspringen will, liegt nicht an der architektonischen Idee, die ganz in der Tradition Koolhaas'scher Raum-Zirkulations-Gebilde steht. Nach wie vor definiert das Programm die Form: Der Bibliotheksraum ist ein einziges, großes und begehbares Bücherregal-Panorama. Doch diese Maschine erzeugt beim Betrachter keine Phantasie – auch ist sie kein wilder Ritt durch eine Typologie. „Der Innenraum ist so groß, dass er fast städtebaulich ist: Er könnte eine ganze Bevölkerung und eine ganze Population von Büchern enthalten“, schwärmt Rem Koolhaas. Doch statt als urbane Miniansiedlung zu funktionieren, wirkt das Projekt gezähmt und inhaltlich entleert.
Die Bibliothek liegt am Rande der Stadt, mit mehr Sand als Beton um sich herum. Wo sollen die Menschen herkommen, die dieses Gebäude mit Leben erfüllen? Auch das Innere wirkt seltsam kühl. Was bei den hohen Temperaturen in Katar auch als Vorteil gedeutet werden könnte, erzeugt aus architektonischer Sicht eine beinahe klinische Atmosphäre: als ob man gerade durch ein Flughafenterminal mit ein paar Bücherregalen als Dekoration schreiten würde. Da helfen auch die Unmengen an Marmor nichts.
Natürlich ist der Bücherbau im Herzen Dohas neuer Education City mehr als nur eine marketinggerecht in Szene gesetzte Gebäudehülse – die in dem Haus untergebrachte Heritage Library beherbergt bedeutende historische, islamische Texte. Aber die Art und Weise, wie hier Wissen präsentiert und dessen Austausch angeregt werden soll, scheint fragwürdig und stellt auch die Argumentation von Koolhaas' Idee von Architektur in Frage. Ist hier wirklich das Programm und das Streben nach einer Essenz der Architektur das definierende Moment – oder doch der Wille nach Repräsentation und einer ikonografischen Formensprache? Exzess, Chaos und Kollisionen, Grundelemente früherer OMA-Architekturen, sucht man in der Qatar National Library leider vergeblich.
FOTOGRAFIE Iwan Baan, Hans Werlemann, Delfino Sisto Legnani & Marco Cappelletti / Courtesy of OMA
Iwan Baan, Hans Werlemann, Delfino Sisto Legnani & Marco Cappelletti / Courtesy of OMA