Kubus aus Kalkstein
Erweiterung des Kunsthauses Zürich von David Chipperfield Architects Berlin
Mit einem Wettbewerb im Jahre 2008 startete das Projekt – nun wurde der Erweiterungsbau des Zürcher Kunsthauses von David Chipperfield Architects eröffnet. Er macht aus dem Haus das größte Museum der Schweiz. Und verleiht der Stadt Zürich baulich etwas, das sie trotz Banken, Expats und Touristen bislang kaum hatte: internationales Flair.
Zürich mag von außen sehr weltgewandt wirken – baulich ist es trotz der großen Vorhaben der vergangenen Jahre eher schweizerisch-neutral geblieben. Gute, aber eben nicht herausragende Projekte wurden umgesetzt: Weder die unterirdische Erweiterung des Hauptbahnhofes noch der Prime Tower oder die Europaallee haben dafür gesorgt, dass in Zürich Architektur von Weltrang entsteht. Zu stark ist der Zwang, einen Konsens zu finden, mit dem alle leben können.
Unauffällige Kubatur
In gewisser Weise ist auch der Erweiterungsbau des Kunsthauses von David Chipperfield Architects keine Ausnahme. Er fügt zum bestehenden Jugendstilbau von 1910, der bis 1976 bereits um drei Anbauten ergänzt wurde, einen Solitär hinzu, der auf den ersten Blick gar nicht als Teil des Kunsthauses zu erkennen ist: Gelegen auf der Nordseite des Heimplatzes und damit durch Straße und Tramlinie von den bisherigen Kunsthaus-Bauten getrennt, wagt das Gebäude mit der hellen Travertinfassade zwar eine starke eigenständige Aussage, ist in seiner Kubatur aber trotzdem unauffällig. Die großzügigen Öffnungen sind diskret hinter Travertinrippen verborgen, so bleibt die Fassade ruhig und wirkt doch lebendig.
Gigantische Halle
Die eigentliche Sensation liegt im Inneren. Nach dem Betreten des Neubaus durch einen kleinen Eingangsraum gelangt man links in die zentrale Halle und erlebt eine Überraschung: In Zürich gibt es – außer vielleicht im Hauptbahnhof – keinen derart weiten Raum. Ist man auf dem Weg zum Kunsthaus gerade noch durch die enge Altstadt geschlendert, wirkt die drei Geschosse umfassende Halle noch gigantischer. „Wir wollten hier mit den Erfahrungen arbeiten, die Architektur ermöglicht“, sagte David Chipperfield bei der Pressekonferenz zur Eröffnung. Schließlich sei ein Museum kein Flughafen oder Büro, sondern vielmehr einer der wichtigsten gesellschaftlichen Orte der Gegenwart. Die inneren Wände sind aus hellem Sichtbeton gefertigt, die Böden mit Marmor belegt. Einen warmen Kontrast dazu bilden Messingelemente: Türen zu den Sammlungsbereichen, zum Festsaal und zum Museumsshop, Handläufe und Signaletik wurden aus diesem Material hergestellt.
Vorliebe für Tageslicht
In den Sammlungsräumen selbst beeindruckt die Tatsache, dass vielfach direktes Tageslicht durch raumhohe, schmale Verglasungen hineinfällt und Sichtbezüge nach außen möglich sind. „Ein Raum ohne Fenster ist ja kein Raum, sondern eine Abstellkammer“, betonte Chipperfield bei der Eröffnung – auch wenn er sich bewusst sei, dass der Gedanke an das sich ständig verändernde Tageslicht Museumsleute nervös mache. Die Verglasungen lassen sich bei Bedarf mit Rollos verschatten, in einigen Räumen im zweiten Geschoss gibt es zudem Oberlichter. „Die Beziehung von Mensch, Raum und Objekt entsteht einfach nur durch Licht. Seine Veränderungen sind es, die Emotionen schaffen“, argumentiert der Architekt. „Wenn es in natürlich belichteten Museumsräumen abends allmählich dunkel wird, mag ich persönlich das sehr.“
Maßgeschneiderte Lichtlösungen
Dem Tageslicht wurde – wo immer möglich – Vorrang gegeben. Die notwendige künstliche Beleuchtung sollte sich vorzugsweise im Hintergrund halten. Lediglich bei besonders empfindlichen Werken wie mittelalterlichen Marienfiguren kommt hauptsächlich Kunstlicht zum Einsatz. „Mir ist wichtig, dass man jeweils zuerst das Kunstwerk selbst wahrnimmt und dann erst das Licht, das es beleuchtet“, so David Chipperfield. Zumtobel sorgte für maßgeschneiderte Lösungen für diese Aufgabe, die der Architekt als extrem herausfordernd beschreibt: „Die Kombination von natürlichem und künstlichem Licht ist besonders im Obergeschoss auf herausragende Weise gelungen.“
Kontroverse, schweizerisch gelöst
Einen beachtlichen Teil der Räume füllen die Werke der Sammlung Bührle, die von jeher für Kontroversen rund um den Neubau sorgt. Denn er entstand insbesondere, um dieser insgesamt 203 Werke umfassenden Dauerleihgabe von Weltrang den gebührenden Raum zu geben. Doch die Herkunft der Gemälde und Plastiken, darunter van Goghs und Monets, Picassos und Renoirs, ist nicht jedem geheuer: Gesammelt hat sie der deutsche Industrielle Emil Bührle, der im Zweiten Weltkrieg in Zürich Waffen herstellte und sie allen verkaufte, die dafür zahlten. Mit dem verdienten Geld engagierte er sich schon während des Zweiten Weltkriegs für das Kunsthaus, finanzierte den Erweiterungsbau von 1958 mit – und kaufte in der Zeit bis 1945 für seine Privatsammlung Bilder von jüdischen Sammlern. Kritiker beklagen seit Jahren, dass die Geschichte der Sammlung im neuen Kunsthaus nicht genug in den Fokus gerückt werde – und die Stadt Zürich sie stattdessen eher unkritisch als Zugpferd für den Tourismus nutze. Lediglich im Eingangsbereich zur eigentlichen Sammlung Bührle gibt es einen Raum, der eine Einordnung versucht.
FOTOGRAFIE Noshe/Faruk Pinjo
Noshe/Faruk Pinjo