Küchenskulptur am Zürichberg
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Dort, wo die Stadt an der Limmat am schönsten (und natürlich auch am teuersten) ist, versteckt sich in einer auf dem ersten Blick unauffälligen Villa der Jahrhundertwende ein lichtdurchflutetes Apartment nebst Kochgelegenheit der ganz besonderen Art. Der in Zürich ansässige Architekt Gus Wüstemann baute hoch oben am Zürichberg eine Küche – fast ist man geneigt zu sagen eine Skulptur –, die frei im Raum schwebt.
Wüstemanns Arbeiten sind bekannt für seine skulptural anmutenden Einbauten. Diese präsentieren sich oftmals in weißen Farbnuancen und beherbergen innerhalb einer rechtwinkligen Formengebung Schränke, Tische, Sitze sowie Ablagen. Gleichzeitig separieren sie verschiedene Raumnutzungen wie Bad, Küche oder Schlafzimmer voneinander bzw. erschaffen diese Raumeinheiten überhaupt erst. Und genauso verhält es sich auch bei diesem Wohnbeispiel in Zürich.
So weiß wie Schnee
Blendend weiß – das ist die erste Impression, die einem in den Sinn kommt, wenn man die Wohnung betritt und die warme und dennoch klare Atmosphäre auf sich wirken lässt. Ursprünglich war hier eine Malschule untergebracht, deren Grundriss aus einem großen Raum mit umliegenden kleineren Räumen bestand. In den 1920er Jahren wurden dann zwei konventionelle Wohnungen eingebaut. Wüstemann machte diese Umbauten rückgängig, so dass die ursprüngliche Struktur wiederhergestellt wurde. Der Architekt hat jedoch das Raumkonzept weiterentwickelt, indem er den ehemaligen Flur mit den angrenzenden Räumen als Einheit mit dem ehemaligen Malatelier konzipierte. So erweiterte Wüstemann beispielsweise die ursprünglichen Türdurchgänge. Es entstand eine Wohnung, die durch die Kombination von moderner Inneneinrichtung und originalen Elementen aus der Entstehungszeit des Hauses, wie beispielsweise Rundbogenfenster und Schrankeinbauten, besticht. Einige tragende Wände, die aus statischen Gründen nicht entfernt werden konnten, durchschneiden dieses Raumkontinuum partiell.
Wie eine Skulptur
Wüstemann nutzt geschickt die von ihm entworfenen Einbauten, um den großen Raum in verschiedene Wohneinheiten zu separieren und dabei dennoch eine Einheit herzustellen. Und so bezeichnet er dieses Zürcher Projekt auch schlicht als „5 Sculptures“. Dadurch, dass die Räume durch in die „Skulpturen“ integrierte Glas- und Schiebetüren voneinander abgetrennt werden können, entstehen wahlweise vier von einander getrennte Räume oder beim Öffnen der Türen ein einziger großer Raum – je nachdem, wie man es gerade mag. Schön sind auch die Lichtschlitze, die in die Skulpturen integriert wurden und Objekt und Raum indirekt beleuchten.
La cucina è bella!
Die Idee der Skulptur im Raum wird besonders anschaulich an der Küche, die auf den ersten Blick fast gar nicht als solche erkennbar ist. Hier finden sich weder glänzende Fliesen noch kalte Edelstahloberflächen, aber eben auch kein unnötiger Schnickschnack: Die Küche hängt schlicht und einfach im Raum und gibt den Blick auf ein großes Rundbogenfenster und den Esstisch mit den Jean-Prouvé-Stühlen „Standard“ frei. Der französische Designer hatte diese bereits 1934 entworfen und noch heute werden sie vom Möbelhersteller Vitra produziert. Sie harmonieren perfekt mit den Weiß- und Beigetönen der Einrichtung, so auch mit dem Sessel „Ei“ von Arne Jacobsen, der gekonnt mit rauen Holztischen kombiniert wurde.
Im Wesentlichen besteht die Küche aus einem Block mit Waschbecken, der bis zum Boden reicht und mit Einbauschränken versehen ist – also insgesamt sehr praktisch ausgerichtet ist –, und aus einem weiteren Block, der in den Raum hineingehängt ist. Dadurch wird räumliche Weite evoziert, denn der Küchenblock mit Kochgelegenheit scheint im Raum zu schweben, wirkt dadurch luftig und fragil und ist zudem von beiden Seiten einsehbar und benutzbar. Bei Bedarf kann er auch als Durchreiche zum Esszimmer dienen. Und, was am allerschönsten ist: Der Koch kann sich jederzeit mit seinen Gästen unterhalten oder einfach den Blick ins Grüne schweifen lassen. Vielleicht entdeckt er sogar einen blauen Zipfel des Zürichsees.
FOTOGRAFIE Bruno Helbling, Zürich
Bruno Helbling, Zürich
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