Kulinarischer Knochenshop
Das Restaurant zu den 10.000 Gebeinen, gestaltet von Cadena & Asociados.

Ein schwerer Knochen baumelt an quietschenden Ketten vor dem Eingang, die Wände des Gebäudes sind mit einfachen, an Höhlenmalereien erinnernden Strichzeichnungen versehen. Eigentlich möchte man sich von solchen Entrées lieber fernhalten – hinter der schweren Holztüre im mexikanischen Guadalajara befindet sich jedoch eine gefeierte Konzeptküche. Gestaltet hat Hueso, den „Knochen“ das Designstudio Cadena+Asociados.
Das Interieur darf als monothematisch gelten. Die hohen Wände des über zwei Etagen reichenden Restaurants sind von den Bodenleisten bis zur Decke mit Gerippen und Gebeinen gepflastert. Das Ausmaß der ausgestellten Sammlung hat nahezu darwineske Züge. Auf Ranches und in der Wüste trugen die Architekten über sechs Monate die Knochengerüste von Kühen, Schweinen, Ziegen und Vögeln zusammen. Die über 10.000 Tierknochen und Pflanzenskelette bedecken jetzt jeden Zentimeter aller vertikalen Flächen. Was keinen Platz mehr gefunden hat, liegt dekorativ auf den Tischen oder wird in verglasten Sideboards ausgestellt; selbst im Waschraum hängt ein Schädel mit großen Hörnern. Er ist so weiß wie alle anderen Relikte, und das aschfahle Farbspektrum lässt die Versammlung wirken, als hätte die grelle Wüstensonne sie ausgeblichen.
Naturkunde-Dinner
Makaber, gruselig, unappetitlich – könnte man denken. Doch den ausgestellten sterblichen Überresten zum Trotz trifft keine dieser Vokabeln auf das Restaurant Hueso zu. Vielmehr erinnert es, so ganz in Weiß und lichtdurchflutet, an die entschleunigte Stimmung einer simplen, mit Schwemmgut gefüllten Strandhütte. Das üppige Setzkasten-Interieur steht im Kontrast zur Architektur des aus den 1940ern stammenden Gebäudes. Bis zum letzten Jahr war es noch ein unscheinbares Reihenhaus in einer schmalen, von Bäumen gesäumten Straße im Viertel Lafayette. Etwas zurückgesetzt, ist es quer zur Straße positioniert und empfängt den Besucher auf einem gepflasterten Vorplatz. Der Umbau lässt sich nun schon an der neuen, weithin sichtbaren Fassade ablesen: Cadena+Asociados haben den Bau komplett in glänzende Fliesen gekleidet. Die Fliesen und das Geschirr wurden von José Noé Suro, seines Zeichens Kunstsammler und Eigentümer der in der Stadt ansässigen Keramikfabrik Cerámica Suro, entworfen und von Hand gefertigt. Die schmalen Strichzeichnungen auf weißem Grund erinnern an Stickstiche und bilden neben der Tür den zarten Schriftzug Hueso, der sich erst bei genauem Hinsehen offenbart.
Modischer Rundumschlag
Innen wurde erst einmal aus- statt angezogen. Im Zuge der Entkernung baute man die Wände bis auf die rohe Mauerstruktur zurück. Dann zogen die Knochen und Möbel ein, die offene Struktur blieb dabei erhalten. Ein langer Tisch aus antikem und aufgearbeitetem Holz steht mitten im Raum und überwindet ohne Unterbrechung der Fläche sogar einige Stufen. Er führt geradewegs auf den weißen Hof, wo sich entlang derselben Achse ein kürzerer Tisch anschließt. Nebenan steht ein Baumstumpf. „Der Baum starb schon vor vielen Jahren, aber es scheint fast so, als wäre er hier zurückgeblieben, um seine toten Mitbewohner zu begrüßen“, meinen die Designer. Parallel zum Tisch ist die Küche untergebracht und nur durch einen Tresen vom Gastraum getrennt. Jeder Handgriff kann von den am Tisch wartenden Gästen nachvollzogen werden – für den Fall, dass die visuellen Reize des opulenten Konzeptes mal nicht genug Ablenkung bieten.
FOTOGRAFIE Jaime Navarro
Jaime Navarro
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