Minimal Macaron
Mit Schick, aber ohne Chichi: minimale Pâtisserie in Montréal.
Schwellenangst? Kennt man von Prada, Jil Sander oder Armani. Aber das bietet jetzt auch eine Pâtisserie. Denn Atelier Moderno und Anne Sophie Godeau arrangieren in Montréal zuckersüße und kunterbunte Macarons ebenso effektvoll wie Kaschmirmäntel und Seidenblusen: in einem unterkühlten, extrem minimalistischen Interior. Und greifen dabei tief in die Trickkiste, um zahlungswillige Leckermäuler anzulocken.
À la Folie steht in großen Schreibschrift-Lettern an der Fassade der Pâtisserie im Montréaler Stadtteil Mont-Royal. Und verrückt werden vor Lust auf Süßes könnte man beim Anblick der zur Schau gestellten Leckereien allemal – so verführerisch perfekt sehen sie aus. Von außen lockt die Pâtisserie mit einer breiten, grau gerahmten Fensterfront, die den Blick freigibt auf das minimalistische Innere.
Ordnung und Strenge
Den Architekten und Designern gelingt es, mit wenigen gestalterischen Kniffen den nur 60 Quadratmeter großen Raum größer wirken zu lassen, als er ist. Minimierung der Mittel lautet die Maxime: wenige Materialien, wenige Möbel, kein Chichi. So kommen die kunstvoll gestalteten Macarons, Trüffel und Törtchen besonders gut zur Geltung. Sie sind die eigentlichen Stars des Interiordesigns.
Auf grauem Betonfußboden stehen vor ebenfalls grau getünchten Ziegelsteinwänden maßgefertigte Vitrinen aus schwarzem Stahl. Deren grazile Beine, eine überaus geradlinige Gestaltung – die an Donald Judd erinnert – und geschickt eingebaute und nach außen nicht sichtbare Kühlelemente vervollständigen den Minimal Look. Wärme im unterkühlt anmutenden Interior schafft die helle Holzverkleidung der niedrigen Decke. Die schwarzen Pendelleuchten über dem Kassenbereich – entworfen von Ronan und Erwan Bouroullec für den italienischen Hersteller Flos – bringen kalkulierte Unordnung in das Interior. Ihnen gegenübergestellt wird eine schmale, langgestreckte LED-Leuchte, die, von der Decke abgehängt, den übrigen Raum erhellt.
Süß, aber nicht süß
Bei so viel gestalterischen Kalkül in der Farb-, Material- und Möbelwahl verwundert es nicht, dass auch die Präsentation der Süßigkeiten einer exakt festgelegten Choreografie folgt. Macarons, Trüffel und Törtchen sind – einem Kunstwerk ähnlich – nach Farben und Formen ordentlich unter den Glasabdeckungen aufgereiht. Das wirkt sehr aufgeräumt und bringt dennoch Abwechslung, schließlich wechselt das Sortiment jeden Tag. Die Pâtisserie wird übrigens direkt vor Ort hergestellt – im hinteren Bereich des Ladens, vom Verkaufsraum geschickt getrennt durch eine nicht ganz bis an die Decke reichende Wand. So lassen Geräusche und Düfte den Besucher erahnen, was ihn dann fein sortiert in den Vitrinen erwartet.
Schöner Schein
Die monochromen Flächen des Interiors geben eine edel-luxuriöse Bühne für die feinen Süßigkeiten. Durchaus schön anzusehen, wird in der Pâtisserie À la folie die Inszenierung von Lebensmitteln auf die Spitze getrieben und ähnelt nicht zufällig denen minimalistischer Modehäuser. Die Ware muss schließlich an den Mann gebracht werden und das möglichst hochpreisig. Und das funktioniert bei Produkten à la Folie nun mal am besten mit Versatzstücken, die für ein elitäres, distinguiertes Verständnis von Architektur und Design stehen.
FOTOGRAFIE Stéphane Groleau
Stéphane Groleau