Postmoderner Burger-Tempel
Zurück in die Zeit der breiten Schulterpolster: das Burger-Restaurant PNY in Paris.
Was wäre passiert, wenn Hans Hollein, Mario Botta und Kazuo Shinohara ein gemeinsames Fast-Food-Restaurant eröffnet hätten? Eine Antwort darauf ist in der Pariser Rue du Faubourg Saint-Antoine zu finden. Das Burger-Restaurant PNY ist vollgespickt mit Zitaten aus der Zeit der breiten Schulterpolster.
Fast Food hat das Schmuddelimage längst hinter sich gelassen – erst Recht in Paris. Der hochdekorierte Sterne-Koch Alain Ducasse hat einen Imbissstand unweit des Eiffelturms eröffnet. Und der Pariser Gastronom Rudy Guénaire hat sich vorgenommen, nichts weniger als den besten Burger der Welt zu kreieren. Ob dieser Titel tatsächlich verdient ist, mag dahingestellt sein. Doch die Pariser stehen Schlange bei ihm. Fünf Restaurants der Kette PNY (der Kurzform von Paris-New York) hat Guénaire bereits eröffnet. In der Rue du Faubourg Saint-Antoine ist nun das sechste hinzugekommen – gestaltet vom belgischen Architekten Bernard Dubois.
Kein klassisches Diner
Einen Namen hat sich dieser mit puristischen und dennoch sinnlichen Boutique-Interieurs gemacht – von Aesop in Brüssel über Zadig & Voltaire in Paris bis hin zu A Bathing Ape in Los Angeles. Im 12. Pariser Arrondissement hat er nun seinen Einstand als Restaurant-Gestalter gegeben und sich dabei auf die Spuren mehrerer Vorbilder aus seiner Jugend begeben. „Für ein Burger-Restaurant wäre die naheliegendste Referenz ein typisches Diner aus den Sechzigerjahren gewesen. Doch stattdessen erkundet das Projekt die Postmoderne der Achtziger“, erklärt der Brüsseler Gestalter.
Das Restaurant gleicht einem Tunnel: vorn zur Straße der verglaste Eingang mit einer Bar. Dahinter ist der Raum in vier „Abteile“ gegliedert, um Weite in Intimität zu übersetzen. Verglaste Rückwände sorgen dafür, dass in den einzelnen Segmenten dennoch kein Gefühl von Enge aufkommt. Im hinteren Teil ist die Küche platziert, die durch eine Glasscheibe von den Gästen eingesehen werden kann. Mit der Unterteilung des Raums greift Bernard Dubois den Eingangsbereich eines Wohnkomplexes auf, den Mario Botta 1988 in der Tessiner Gemeinde Novazzano realisiert hat. Die aus Beton gegossenen Durchbrüche sind dort als präzise Kreisformen ausgeführt, die leicht in den Boden abgesenkt sind und damit eine Passage ohne unnötiges Füßeanheben ermöglichen.
Assoziationen zu Schiffen und Zügen
Doch Bernard Dubois beließ es nicht dabei. Anstelle des Kreises wählte er eine Form, die Hans Hollein für die Eingangstür des Kerzengeschäftes Retti 1965 am Wiener Kohlmarkt realisiert hat: ein schmales, aufragendes Rechteck, das am oberen Abschluss zu beiden Seiten von zwei Halbkreisen umklammert wird. Die Fassade ließ Hollein mit Aluminiumpaneelen verkleiden, einem in dieser Zeit vor allem in der Luft- und Raumfahrt verwendeten Material, das Aufbruch und Optimismus verkörperte. Im Pariser PNY-Restaurant kommt allerdings weder das schimmernde Leichtmetall noch roh belassener Beton zum Einsatz. Durch den Einsatz von Holz werden eher Assoziationen an historische Schiffsrümpfe oder Zugabteile erweckt.
Auch die eigens entworfenen Stühle und Barhocker folgen keinem Zufall, denn sie sind eine Referenz an den japanischen Architekten Kazuo Shinohara und seinen Miss Butterfly Chair aus dem Jahr 1985. Die Formensprache ist von Bernard Dubois jedoch vereinfacht worden. Das Untergestell wurde auf drei Beine reduziert, von denen das hintere die gepolsterte Rückenlehne trägt. Die Form – zwei miteinander verschmolzene Kreise – wirkt wie eine Rückkoppelung zu den von Hans Hollein inspirierten Durchbrüchen, womit die Möbel auf stimmige Weise mit dem Innenraum korrespondieren.
Gebrochene Gediegenheit
Es ist erstaunlich, dass die Zitatesammlung nicht in einen wüsten Eklektizismus abfällt, bei dem nichts zueinander passt. Im Gegenteil: Das Ensemble wirkt erstaunlich homogen. Das mag vor allem an Naturmaterialien wie den rotstichigen Holzpaneelen oder den dunkelgrauen Lederbezügen liegen. Auch die auf Kreis und Rechteck basierende Geometrie beruhigt die Augen statt sie zu verwirren. Der beinahe gediegene Raumeindruck wird lediglich vom rosafarbenen Laminatboden durchbrochen, der einen Hauch von Miami Vice einbringt und den Besuchern dieses postmodernen Burger-Tempels ein Lächeln auf die Lippen zaubert.
FOTOGRAFIE Romain Laprade
Romain Laprade
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