Raum für die Natur
Das kykladische Piperi House von Sigurd Larsen
Die Magie der Kykladen lässt kaum jemanden unberührt. Der Architekt Sigurd Larsen hat auf der Insel Kythnos ein Sommerhaus entworfen, das sich ganz monochrom auf lokale Bautraditionen beruft und M. C. Eschers Treppen-Phantasmen mit einem Augenzwinkern zum gestalterischen Moment macht. Die eigentliche Protagonistin ist aber wohl Gaia, die griechische Göttin der Natur, denn durch jedes Fenster wird das spektakuläre Panorama zu einem Teil des Interiors.
Wer sich auf einer Fähre einer der vielen Kykladeninseln nähert, erblickt in der Regel ein griechisches Klischee-Panorama: schroffe Felsen, karge Vegetation, dazwischen strahlend weiße Klötzchen mit blauen Fensterläden – typisch kykladische Häuschen. Dass es hier so aussieht und nicht etwa wie in Benidorm, Lloret de Mar oder Rimini, hat auch mit den Baugesetzen Griechenlands zu tun. Kaum ein anderes europäisches Land hat so strenge Gesetze und Vorschriften zum Schutz seiner natürlichen und gebauten Umwelt. Küstengebiete dürfen nur sehr eingeschränkt bebaut werden, Höhe, Formen und Farbgestaltung der Gebäude sind vielerorts festgelegt und die traditionelle Architektur wird gefördert.
Bauklötzchen in Reinweiß
Die Insel Kythnos liegt im Westen des Archipels, der sich südöstlich vom griechischen Festland erstreckt und Berühmtheiten wie Santorini, Mykonos, Tinos, Paros und Milos zu den Seinen zählt. Kythnos ist im Vergleich weniger touristisch entwickelt, was die Insel zu einem attraktiven Ort für diejenigen macht, die nach einem authentischen Griechenland-Erlebnis suchen. Der in Berlin arbeitende, aus Dänemark stammende Architekt Sigurd Larsen hat auf einer Halbinsel von Kythnos ein Haus gebaut, das einsam liegt, aber nicht ohne Kontext geplant wurde. „Das Haus ist von den Kykladendörfern inspiriert, die durch weiße Kuben gekennzeichnet sind und durch weiße Stufengassen zusammengehalten werden“, beschreibt der Architekt sein Projekt. Die traditionelle Bauweise der Kykladen ist eine einladende Vorlage für minimalistisch orientierte Bauherr*innen: Die Wohnhäuser setzen sich aus geometrischen Formen ohne dekorative Ornamente zusammen, wobei meist mehrere voneinander getrennte Raumwürfel ein Ensemble bilden und der Garten oder Hof zum Freiluft-Flur wird.
Treppauf und treppab
Ein weiteres prägnantes Element der kykladischen Architektur sind Treppen. Sie verbinden die Kuben über eine unebene Geländestruktur hinweg, führen auf Dachterrassen oder im Innenraum in kühle Lagergewölbe. Larsen hat die Treppe ins Zentrum seines Entwurfs gestellt. „Sowohl im Inneren als auch im Außenbereich vollführt die weiße Treppe eine spielerische Kreisbewegung durch alle Ebenen. Inspiriert von den Zeichnungen von M. C. Escher kann man sich über, unter und durch das Haus in einem unendlichen Kreis von Stufen bewegen“, erklärt er. Im Piperi getauften Haus gibt es treppauf und treppab viel zu entdecken: Es liegt am Hang, bietet einen 200-Grad-Blick aufs Meer – und natürlich führen auch zwei Treppen zu den Badestellen, die ostwärts zwischen Felsen liegen und im Südwesten sandigen Untergrund fürs Badetuch bieten.
Protagonist Panorama
Selbst im Innenraum spielt der Außenraum die Hauptrolle. Die durchgängig weißen Wände lassen die Fenster mit ihren spektakulären Ausblicken wie Gemälde aus der Wand hervortreten. Hoch über der Küste gelegen, setzt sich die Aussicht bei guter Wetterlage aus dem Blau des Meeres und dem Blau des Himmels zusammen, während exakt am Horizont die kleine, unbewohnte Insel Piperi den Übergang der beiden Elemente markiert. Das Leben im Haus ist asketisch. Es wurden nur wenige, ausgesuchte Holzmöbel platziert. Und – typisch griechisch – in die Architektur integrierte Alkoven, Sofa-Plattformen, Bettsockel sowie Regale übernehmen Wohnfunktionen.
Windstille Ruhezone
Der Fokus von Piperi liegt auf dem Naturerlebnis, was dem Haus manchmal auch die Aufgabe eines Fluchtortes überträgt. Mit der exponierten Lage kommen die Küstenwinde, wie etwa der für die Kykladen so typische, starke Meltemi. Damit sich die Bewohner*innen bei Wind dennoch draußen aufhalten können, wurden die Außenbereiche so zwischen den Kuben platziert, dass unabhängig von Stärke und Richtung des Windes ein windstiller Ort entsteht. Man könnte sich aber auch in die Badewanne zurückziehen, die direkt am Fenster platziert wurde und mit spektakulärer Aussicht punktet. Die Liebe zum Land, zur Natur und der lokalen Architektur ist dem Piperi House anzusehen, lässt sich aber auch den Worten entnehmen, mit denen Sigurd Larsen sein Projekt beschreibt: „Das Haus wirkt wie eine kristalline Skulptur, die aus einem einzigen Stück weißen Steins herausgeschnitten wurde, und die monolithischen Volumen bilden einen Kontrast zur trockenen Landschaft mit ihren verbrannten Braun- und Grüntönen.“ Architektur kann auch poetisch sein.