Rosa Wunderland
Ein exzentrisches Zebra in Uttar Pradesh
Kolonialgeschichte und eine Hommage an Wes Anderson: Im nordindischen Kanpur haben die Architekten des Studios Renesa eines der ältesten Gebäude in rosa Nuancen getaucht. Mit seiner konsequenten Symmetrie und einer begrenzten Farbpalette wurde der Bau aus der britischen Raj-Ära wiederbelebt – und zu einer architektonischen Ikone im Stadtbild.
Über die Wirkungen von Zebrastreifen kursieren verschiedene Theorien; eine lautet, dass die Streifen die Tiere vor anderen Tieren schützen. Bremsen und Stechfliegen scheinen das Muster zu meiden, vor Raubtieraugen soll es zu Flimmern führen und dadurch dem Jäger erschweren, seine Beute zu lokalisieren. Das pinke Zebra in Uttar Pradesh verfolgt eine entgegengesetzte Strategie. Als bonbonrosa und schwarz gestreiftes Bauwerk ist es ein Fabelwesen im urbanen Kontext – und zieht mit gestalterischer Absicht die Aufmerksamkeit von Passanten auf sich.
Pracht und Grandeur
Das extravagante Gebäude der Feast India Company ist kein Zuwachs im Stadtpanorama, sondern ein Relikt aus der Kolonialzeit. Bis 1947 war Kanpur britische Garnisonsstadt, was Spuren hinterlassen hat. Überall in der Millionenmetropole stehen architektonische Erinnerungsstücke an europäische Grandeur und Art Noveau, oft verfallen oder nur notdürftig renoviert. Die unkonventionelle Modernisierung des nördlich des Stadtzentrums gelegenen Gebäudes gibt der Geschichte einen zeitgenössischen Twist. Allein der Name ist schon eine Anspielung auf die alte britische Handelskompanie East India – bei Feast India wird heute gegessen.
Stringente Streifen und Rosé Galore
Eine Leidenschaft der Auftraggeber sind die Set-Designs des amerikanischen Regisseurs Wes Anderson – wie das Interieur des Grand Budapest Hotels oder das des Zugs aus dem Film The Darjeeling Limited. Sie zeichnen sich durch lebendige Muster, kräftige Farben und mutige Kontraste aus, zeigen Konsequenz bis ins Detail oder monochrome Farbpaletten – all das hat dem Regisseur den Titel „König der Symmetrie“ eingebracht. Das Restaurant, das aufgrund seiner eindeutigen Ästhetik auch unter „The Pink Zebra“ firmiert, ist eine eindeutige Hommage. Die Stringenz der bis ins Kleinste deklinierten Musterwelt lässt das Interieur beinahe surreal wirken, das Rosa der Böden und Wände scheint selbst das Licht pudrig einzufärben.
Das Auge isst mit
Im Kontext der chaotischen und hektischen Metropole wirkt der Bau wie ein UFO. Von der Straße zurückgesetzt, erhebt er sich hinter einer Backsteinmauer als Kunstwerk, Fremdkörper und Landmarke. Ein in die Mauer eingeschobenes Häuschen wird zur Schleuse zwischen Stadttraum und Restaurant. Von hier geht es in das fast 380 Quadratmeter große Gebäude, mit seinem Speisesaal, einem Café, langen Fluren und einer Terrasse. Bei der Gestaltung sind die Architekten scheinbar einem Grundsatz treu geblieben: Jedes eingesetzte Möbel oder Objekt ist entweder gestreift oder rosa – und trifft den Stil der Kolonialzeit. Jeder Winkel wurde einem grafischen Makeover unterzogen, vom Lüftungsrohr bis zum Treppenabsatz, von der Deckenverkleidung bis zum Fliesenboden. Das Ergebnis ist ein oft schwindelerregendes Dazzle-Design, das dem Gast einen Kurzurlaub in einer Fantasiewelt bietet, die treppauf und treppab bis in den letzten Winkel erforscht werden kann.
Extravagant bis ins Detail
Die kühne Modernisierung des alten Kolonialgebäudes ist selbstverständlich auch ein strategischer Akt des Brandings. Das gastronomische Konzept erhält durch den prominenten Auftritt eine starke Identität, die sich konsequent auch bei der grafischen Kommunikation, wie bei Visitenkarten, Tüten und Verpackungen zeigt. Im pinken Zebra zu essen, ist nicht nur ein kulinarisches Erlebnis, sondern auch ein visuelles, von dem sich die Gäste im besten Fall erzählen: von einem magischen Ort, gestaltet wie ein Filmset und als Fest für alle Sinne.
FOTOGRAFIE Saurabh Bhatia, Jaivardhan Bhatia
Saurabh Bhatia, Jaivardhan Bhatia