Schwebende Gärten
Maggie’s Centre in Leeds nach Plänen von Thomas Heatherwick
Im Einklang mit der Natur: Das Maggie’s Centre im englischen Leeds lässt die Übergänge von Architektur, Landschaft und Garten verschwimmen. Kontemplation und Interaktion sind im Entwurf des Londoner Architekten Thomas Heatherwick keine Widersprüche. Sie greifen direkt Hand in Hand.
Es gibt Momente, die alles verändern. Maggie Keswick Jencks (1941-1995) hat dies am eigenen Leibe erfahren. Die Expertin für chinesische Gartenbaukunst war Ehefrau des Architekten und Theoretikers Charles Jencks. Zusammen plante das Paar in den späten Achtzigerjahren den 120 Hektar großen Garden of Cosmic Speculation im Süden von Schottland – bei dem die Gestaltung als Schlüssel zur Spiritualität verstanden wurde. Als Maggie Keswick Jencks an Krebs erkrankte, entwickelte sie das Konzept für eine Hilfsorganisation: Gute Architektur sollte der Erbauung krebskranker Menschen dienen. Nach ihrem Tod 1995 setzte Charles Jencks die Idee in die Realität um und gründete die Stiftung Maggie’s Centres.
Der erste Bau wurde 1996 in Edinburgh von Richard Murphy geplant. Später kamen Gebäude von Zaha Hadid, Snøhetta, Richard Rogers, Frank O. Gehry, Amanda Levete, Steven Holl, OMA, Norman Foster und anderen Architekten hinzu. Die Zentren sind kein Ersatz für die medizinische Behandlung. Sie sind Begegnungsstätten für Erkrankte und ihre Freunde und Familien, die stets in der Nähe von Krankenhäusern errichtet werden. 26 Zentren gibt es bislang in Großbritannien. Hinzu kommen drei weitere in Tokio, Hongkong und Barcelona. Jüngster Zugang ist das Maggie’s Centre im englischen Leeds – entworfen vom Londoner Architekten Thomas Heatherwick.
Mut zum Gefälle
Das Gebäude liegt auf dem Campus des St James’s Hospital, das von den Bewohnern der Stadt liebevoll Jimmy’s genannt wird. In dessen Abteilung zur Krebsbehandlung werden bereits Maßnahmen jenseits des Klinisch-Sterilen eingesetzt: Die Patienten können in einem Gebäudeflügel auf einem Piano spielen, zudem sind die Wände mit Gemälden aus der Sammlung der städtischen Galerie bestückt. Als Baugrund dient ein schmaler, halbkreisförmiger Streifen neben der Auffahrt, der einen Höhenunterschied von sechs Metern überwindet. „Das Gefälle würde typischerweise dazu ermutigen, das Gebäude einzugraben. Stattdessen haben wir entschieden, den ansteigenden Konturen des Baugrundes zu folgen“, erklärt Thomas Heatherwick.
Organischer Holzbau
Der Baukörper wurde daher in drei Pavillons unterteilt, die an überdimensional vergrößerte Steinpilze erinnern. Deren Hüte überlagern sich gegenseitig, sodass überdachte Zwischenräume entstehen. Sie bilden das Herzstück des Zentrums: eine öffentlich zugängliche Begegnungsstätte, die von viel Tageslicht durchflutet wird, das durch die großformatigen Fensterbänder zwischen den Pilzhüten ins Innere hineindrängt. Die gesamte Konstruktion wurde in der Schweiz produziert und vormontiert. Anschließend wurden die Segmente per LKW nach Leeds transportiert und dort auf einer Sockelplatte aus Beton zusammengefügt.
Der Grund für diese Bauweise liegt in einer möglichst effizienten Zeitplanung. Schließlich sollte die Auffahrt auf dem Krankenhausgelände so wenig wie möglich durch schweres, technisches Baugerät blockiert werden. Als Baumaterial dient aus Fichte produziertes Schichtholz, das die Eigenschaft besitzt, sich im Sommer auszudehnen und im Winter zusammenzuziehen. Die tragende Struktur ist somit nicht starr und steif. Sie folgt dem Wandel der Jahreszeiten und bringt damit eine lebendige Facette ein.
Einladende Geste
Die Eingangsfront ist aus transparentem Glas gearbeitet, um Neugierde zu wecken und gleichzeitig die Schwellenangst zu reduzieren. Die Tür ist seitlich platziert und wird von einem schmalen Vordach geschützt. Hier können Patienten und Besucher vor dem Eintreten kurz innehalten und sich dafür auf eine kleine Bank setzen. Auf einen konventionellen Empfangstresen wird verzichtet. Stattdessen ziehen entlang der Fenster platzierte Sessel sowie ein von Stühlen umringter Küchentisch die Blicke auf sich. Letzterer ist als verbindendes Element in allen Maggie’s Centres anzutreffen. Die Besucher können sich hier eine auf dem Tisch bereitstehende Tasse nehmen, Tee einschenken und mit anderen Personen ins Gespräch kommen. Eine Treppe führt hinauf zur Dachterrasse mit Aussicht auf die Flusstäler der Yorkshire Dales.
Urbanisierte Natur
Jeder der drei Schichtholzpilze ist mit kleinen Bäumen und Sträuchern bewachsen, die eine grüne Metaebene oberhalb der Architektur erschaffen. Deren Gestaltung wurde ebenso wie die der Außenanlagen vom Landschaftsarchitekten Balston Agius geplant, der auf exotische Gewächse verzichtete. Stattdessen werden lokal typische Pflanzen verwendet, die starken Winden und Regenfällen ebenso gewappnet sind wie ständigen Verschattungen. Der Clou hierbei: Die Natur ist keineswegs nur zum Bewundern da. Harken, Unkrautstecher und andere Gartenwerkzeuge liegen in Griffweite parat, sodass die Patienten die beruhigenden und regenerativen Aspekte der Gartenarbeit selbst erfahren können. Die leidenschaftliche Hobbygärtnerin Maggie Keswick Jencks wäre hierbei ganz in ihrem Element.
FOTOGRAFIE Hufton + Crow
Hufton + Crow
Projekt | Maggie's Leeds |
Ort | St James’s University Hospital, Alma Street, Leeds, LS9 7BE |
Typologie | Begegnungszentrum |
Architektur | Heatherwick Studio |
Entwurf | Thomas Heatherwick |
Gruppenleiter | Mat Cash |
Projektleiter | Neil Hubbard, Rebeca Ramos, Angel Tenorio |
Materialien | Beton, Fichten-Sperrholz, Glas |
Gartengestaltung | Balston Agius |