Unperfekt in Bärgiswil
Mit Scheune, Schopf und Riegel: Fuhrimann Hächlers Hofensemble am Vierwaldstättersee.
Nichtperfektion zur Perfektion getrieben. In der Nähe von Luzern, auf halber Strecke zwischen Bern und Zürich, haben die Architekten Andreas Fuhrimann und Gabrielle Hächler ein ehemaliges Hofensemble umgebaut. Das Äußere verrät wenig über das, was sich innen versteckt: Fast wirkt es unfertig, ist es aber nicht. Der Hof Bärgiswil in der 2.000-Seelen-Ortschaft Merlischachen am Vierwaldstättersee verbindet demonstrativ traditionelle vernakuläre Bauweisen mit rohem Beton.
Wer die Architektur von Gabrielle Hächler und Andreas Fuhrimann kennt, kann ihre Bauten sofort identifizieren. Schroffer Sichtbeton wie bei dem Villenensemble bei Zürich, einfache Low-Budget-Bauten kombiniert mit einem High-End-Reichtum wie bei dem Gästehaus in Griechenland oder kompakte, skulpturale Volumina wie der Holzbau für den Zielturm am Rotsee bilden ihr architektonisches Statement. Die Materialpalette reicht dabei über günstiges Bauholz und rauen Beton bis hin zu exklusiven Baustoffen wie Terrazzo und Marmor. Eine ebensolche Collage verbirgt sich auch hinter den Fassaden im Hofensemble Bärgiswil in Merlischachen.
Mit Scheune und Schopf
Erst nach langer Suche konnten die Bauherren ein Hofensemble aus dem 19. Jahrhundert erwerben, bestehend aus einem Wohnhaus, einer Scheune und einem Schopf (Schuppen) auf einem Grundstück von 15.000 Quadratmeter in der Landwirtschaftszone in der Gemeinde Küssnacht am Vierwaldstättersee, erinnern sich die Schweizer Architekten. Hier sollte „eine landschaftsarchitektonische hochstehende Hofsituation inmitten einer aufzuwertenden Kulturlandschaft“ entstehen.
Mut zur Entscheidung
Fuhrimann Hächler vertreten als Architekten keine konservative Haltung – Bauen im Bestand bedeutet für sie immer Mut zur Entscheidung. Der Bestand aus den achtziger Jahren, aus Sicht der Architekten von „zweifelhafter architektonischer Qualität“, musste also dem Neubau weichen, den die Architekten wieder in der ursprünglichen Lage gegenüber des Schopfs platziert haben. Heute bilden die beiden Gebäude einen hofartigen Außenraum und zusammen mit dem angrenzenden Kräutergarten die Kerneinheit dieses modernen, traditionellen „Weilers“. Eine langgezogene Allee verbindet Wohnhaus und Scheune, die von den Architekten mit minimalen und zeitgemäßen Eingriffen saniert wurde. Vorfabrizierte containerähnliche Einbauten stapeln sich in dem großzügigen Innenraum der ehemaligen Scheune. Hier lagern die Bauherren nun unter anderem eine „Schwyzerörgeli“-Sammlung: Akkordeons der Schweizer Volksmusik.
Familienaufstellung
Das Haupthaus mit seinen rund 280 Quadratmeter Wohnfläche setzt sich deutlich von dem Scheunenbau ab, gleichzeitig bilden die Bauten eine Einheit. Es ist wie bei einer Familie: Alle haben dieselben Wurzeln und sind dennoch verschieden. Gabrielle Hächler und Andreas Fuhrimann haben das Äußere des Wohnhauses in für die Umgebung üblicher Riegelbauweise gestaltet, die sich aus Holzriegeln und gemauerten, verputzten Füllelementen zusammensetzt. „Die grafische Qualität der von den Riegeln gebildeten Muster hat uns schon lange fasziniert“, erzählen die Architekten. „Sie sind auffälliges Merkmal einer vernakulären, ländlichen Bautradition, die mit einer abstrakteren, zeitgenössischeren Ästhetik überlagert wird.“
Treppenschlucht
Durch einen weiteren Trick gliedert sich der Neubau wie ein alter Bekannter in seine Nachbarschaft ein. Doch auch hier brauchte es Mut, denn die Wahl der giebelartigen Dachform, die, wie die Architekten meinen, „auch das prägende Bergpanorama der Landschaft spiegelt“, muss mit den restlichen Entscheidungen harmonieren und diese gleichzeitig brechen. Basis für die Qualität der Wohnräume bilden auf optimale Aussicht und Besonnung ausgerichtete Grundrisse. Eine eigene Skulptur haben die Architekten mit der Gestaltung der Treppe geschaffen. Wie eine Schlucht in den Bergen bilden die Sichtbetonflächen eine Welt, aus der es – zumindest auf den ersten Blick – kein Entkommen gibt.
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FOTOGRAFIE Valentin Jeck
Valentin Jeck
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