Wo es um die Wurst geht
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Wiener heißen sie überall auf der Welt, nur in Wien selbst nennen sie sich erstaunlicherweise Frankfurter – gemeint sind die leckeren Würstchen. Nach wie vor beliebt ist dieses Fast Food, das der Frankfurter Metzger Johann Lahner 1805 zum ersten Mal paarweise herstellte. Das war in Wien. Und genau dort, am Albertinaplatz Ecke Hanuschgasse im 1. Bezirk, ist für das Gastronomieunternehmen Bitzinger ein Würstchenstand entstanden, der Nachahmer finden könnte. So modern huldigt er dem Würstchen, dass selbst hippe Nachtschwärmer den Stand belagern. Entworfen hat ihn das Architekturbüro Schuberth und Schuberth und wurde dafür gleich für den österreichischen Staatspreis Design, Kategorie „Räumliche Gestaltung“, nominiert.
Das hat seinen Grund, ist der Würstchenstand doch ungewöhnlich in Form- und Materialwahl und hat so gar nichts zu tun mit dem nüchternen, gestalterisch anspruchslosen Stadtmobiliar, das einem allenthalben begegnet. Schuberth und Schuberth haben den Würstchenstand nämlich nicht nur als ästhetisch anspruchsvollen Treffpunkt gestaltet, sondern der Institution Würstelstand „liebevolle Wertschätzung und Respekt gezollt“, wie sie selbst sagen. Das zeigt sich daran, wie gut durchdacht kleine Details und Materialien sind. Aber auch am trapezförmigen Grundriss, der auf die komplexen stadträumlichen Bezüge des Albertinaplatzes reagiert. Während die Stirnseite der Würstchenbude parallel zur Stirnseite der Albertina ausgerichtet ist, schließt die Flucht der Ausgabeseite an den Albrechtsbrunnen an.
Wie die Ecke ohne Stütze auskommt
Klein ist er naturgemäß, der Würstchenstand. Bestehend aus einer Stahlkonstruktion, beträgt seine Nutzfläche lediglich 9,11 Quadratmeter. Da musste das Geschwisterpaar Schuberth und Schuberth, das sich 2005 mit einem eigenen Architekturbüro selbständig machte, gut planen. Galt es doch neben den Zubereitungs- und Ausgabeflächen auch solche zum Ausstellen der Produkte zu schaffen. Einen gestalterischen Clou dachten sich Schuberth und Schuberth für eine Ecke an der Ausgabefront aus: Sie ist ohne Stütze ausgeführt und gibt dem Pavillon eine fast schwebende Anmutung. Wer hier hungrig vorbeikommt und etwas bestellt, kann den Zubereitungs- und Präsentationsbereich direkt einsehen. 4,90 Meter lang, 3,90 Meter breit und 3,20 Meter hoch ist der Pavillon, dessen Fassade mit mustergewalzten Edelstahlblechen verkleidet ist. Sie brechen das Licht auf ganz besondere Weise und so entstehen – je nach Tageszeit und Wetterverhältnissen – immer wieder neue Stimmungen. Neben den um die Ecke geführten, gefalzten Verkleidungen und Fassadenblechen sind die rahmenlosen Glasscheiben besonders schön gelungen. Und auch die getrennte Müll-Entsorgung könnte Schule machen, denn alle Mülleimer wurden in die Gebäudehülle integriert.
Nicht nur diese gestalterisch durchdachten Details bringen eine Prise Modernität in das Gesamtkonzept, sondern auch das kulinarische Programm: Bitzinger verkauft nämlich nicht nur Klassiker wie Käsekrainer, Waldviertler, Frankfurter, Burenwurst und Würstel mit Saft, sondern auch Weißwurst, Gulaschsuppe, Sauerkraut, Fassbier, Flaschenweine und sogar Sekt.
Wie aus Wollfäden ein Neonschriftzug wurde
In Auftrag gegeben vom Gastronomieunternehmen Bitzinger, wurde der neue Würstchenstand in Wien-Floridsdorf vorgefertigt, mit dem Kran an seinen Bestimmungsort gebracht und dort montiert. Das alte achteckige Straßenmöbel musste einem Baukörper mit einfachem Volumen weichen. Grafische Elemente ergänzen das stringente Erscheinungsbild: Da ist zum einen das teilweise ausgestanzte Fassadenblech, das Wörter wie „Würstel“, „Bosna“ oder „Hot Dog“ bildet, zum anderen der Neonschriftzug „Bitzinger“ auf dem Dach des Würstchenstandes. Die Grafikerin Eleonore Bujatti hat ihn entworfen: Erst legte sie die Schreibschrift-Buchstaben mit Wollfäden auf eine Stoffunterlage, dann wurde diese Vorlage digitalisiert. Eine weitere künstlerische Idee verbirgt sich hinter den zwei kleinen, in die Fassade integrierten Monitoren, die unterschiedlich bespielt werden können.
Wie jeder es liebt, das Würstchen
In Wien werden Würstchen übrigens überall gegessen, sei es im Kaffeehaus, in der Konditorei, im Wirtshaus oder eben an der Würstchenbude. Kaiser Franz I. liebte die Frankfurter Würstchen – die überall sonst auf der Welt Wiener heißen – ganz besonders, ebenso wie Schubert, Grillparzer, Nestroy und Johann Strauß. Von denen hätte bestimmt niemand je gesagt „es sei ihm wurst“, das jetzt auch noch ein Würstchenstand von Schuberth und Schuberth am Wiener Prater aufgestellt wurde.
FOTOGRAFIE Franco Winter
Franco Winter
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