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Autopilot #49: Vive la Berline

Niklas Maak erinnert an das vergessene Genie hinter den französischen Staatskarossen.

von Niklas Maak, 25.04.2017

In Frankreich wird ein neuer Präsident gewählt: Grund genug, an Robert Opron zu erinnern, den Mann, der fast alle französischen Staatskarossen entwarf – und mit seinen Autos einer ganzen Nation den Optimismus gab, den es dringend braucht.

Es gibt ein Bild, das zeigt Emmanuel Macron, der gute Chancen hat, bei der Stichwahl gegen die rechtsradikale Marine Le Pen nicht nur Frankreichs nächster Präsident, sondern auch der jüngste Präsident aller Zeiten im Elyséepalast zu werden, wie er bei seiner Siegesfeier nach dem ersten Wahlgang, den er gewann, aus einem neuen Renault Espace steigt. Es gibt auch ein Foto, das Jacques Chirac in einem Citroën CX, und ein anderes, das François Mitterrand in einem Renault 25 zeigt, und eines, in dem man Charles de Gaulle in einem Citroën DS sieht. Was die drei verbindet? Sie alle waren französische Präsidenten, und sie alle fuhren Autos, die derselbe Mann entworfen oder redesignt hat: Robert Opron, geboren 1932, Architekt und Designer, entwarf 1974 den Citroën CX und 1984 den Renault 25, die letzten wirklich umwerfenden französischen Luxuslimousinen, er war für das Facelift des von Flamino Bertoni 1955 entworfenen Citroën DS verantwortlich, das mit den schwenkbaren Doppelscheinwerfern diesen erst zu seiner perfekten Form auflaufen ließ – und er war, als Chefdesigner von Renault, auch an der Entwicklung des Espace beteiligt, in dessen Nachfolger Macron herumgefahren wird.

Opron zeichnete Frankreichs schönste, futuristischste Autos, darunter den Citroën SM – aber warum kennt kaum jemand ihn, wo doch Frankreich schon aus politischen Gründen dringend Figuren braucht, die das Land wieder an eine glitzernde Zukunft glauben lassen? Wo Robert Oprons Autos in den Siebziger - und Achtzigerjahren auftauchten, da drehten sich die Leute um nach ihnen, denn das, was Opron machte, sah fast immer so aus, als sei es direkt aus der Zukunft in die Gegenwart geschleudert worden. Die Kinder des Architekten zum Beispiel, die damals immer mit dem von Opron entworfenen Citroën CX zur Schule gefahren wurden – wobei fahren das falsche Wort ist – diese Kinder schwebten hydropneumatisch ein, als habe sie Commander Spock persönlich aus dem Reich der extraterrestrischen Andorianer zum Unterricht einfliegen lassen.

In Oprons Werk spiegeln sich gesellschaftliche Bewegungen so deutlich wie selten sonst: Erst zeichnete er motorisierte Ikonen eines zukunftsfrohen Weltraumzeitalters; er demokratisierte mit dem Citroën GS die extravagante Hydropneumatik zum Preis eines Golf und schuf so das erste futuristische Auto für jedermann; und dann, als das Auto als Statussymbol an Bedeutung verlor, verwandelte er es mit dem Renault Espace in ein rollendes Wohn- und Arbeitszimmer; und lange vor dem Smart erfand er mit dem Kleinstwagen Ligier ein ökologisches Minimalauto. Warum wird er nicht gefeiert wie Giugiaro oder all die anderen Autodesigner, die in Italien wie Nationalhelden verehrt werden?

Opron lebt, mehr oder weniger vergessen, in Verrières-Le-Buisson, einem Ort zwischen Paris und Versailles. Früher war das hier ein ländliches Idyll, jetzt hat sich die Banlieue mit ihren Wohntürmen herangefressen. Oprons Haus liegt in einer Seitenstraße, im Garten nebenan duften gelbe Büsche. Unter den internationalen Ästhetik-Condottieri wie Giugiaro ist er der Asterix – der unbeugsame Gallier, der sein eigenes Ding macht. Das Automobil, hat Roland Barthes einmal über den Citroën DS geschrieben, sei das moderne Äquivalent der Kathedralen, ein magisches Objekt, von Unbekannten erdacht und errichtet, und natürlich stimmt das nicht so ganz – denn es waren Leute wie er, die mit ihren Entwürfen zum Bild einer radikal fortschrittlichen, experimentierfreudigen, futuristisch eleganten Grande Nation beigetragen haben. Oprons Autos waren in den Siebzigerjahren das, was der Hochgeschwindigkeitszug TGV, das Centre Pompidou und die Concorde auch waren – windschnittige Symbole einer beschleunigten, chromglänzenden, plastikglatten Zukunft.

Dabei wollte Opron eigentlich gar nicht Designer, sondern Architekt werden. Der Vater war Soldat, Opron wuchs in Algerien, Mali und Abidjan auf, der damaligen Hauptstadt der Elfenbeinküste; der Vater hatte schon damals ein Auto, einen grünen Oldsmobile, „ich kann mich an den Geruch des Benzins noch erinnern“, sagt Opron. Nach dem Schulabschluss ließ sich Opron einen Schnurrbart wachsen und trug die Haare zu einer irren Mischung aus Tolle und Bürste frisiert, spielte Kontrabass in einer Band, heiratete mit 21 Geneviève Mercier, eine junge Frau, die er bei einer Schneeballschlacht kennengelernt hatte und die noch heute seine Frau ist. Ab 1952 studierte er Architektur an der Schule des Architekten Auguste Perret, der damals in Amiens gerade das größte Hochhaus Europas baute, interessierte sich vor allem für Stahlkonstruktionen, verdingte sich bei der Société Nationale de Constructions Aéronautiques du Nord als Zeichner und entwarf Anleitungen für die Panzerung von Kampfflugzeugen. Dann passierte etwas Erstaunliches: Opron, gerade 25 Jahre alt, durfte für den Autohersteller Simca ein Zukunftsfahrzeug entwerfen, den Fulgur, und er machte das, was naheliegend war, wenn man von einem Luftfahrtunternehmen zu einem Autohersteller wechselte – er entwarf eine fliegende Untertasse mit Atomantrieb, ein Symbolauto des Raketenzeitalters.

Autos waren, als Opron vor genau fünfzig Jahren als Designer zu Simca ging, meistens das, was die Franzosen „Tricorps“ nennen, nämlich drei Kisten auf vier Rädern: Eine Kiste für den Motor, eine Kiste für die Insassen und eine für die Koffer. Opron erfand mit dem Simca 1100 einen „Bicorps“, eine der ersten Schräghecklimousinen, und kurz danach den „Monocorps“, die Großraumlimousine: Der Motor verschwindet unter einer schrägen Haube, die in die Windschutzscheibe übergeht, dahinter ist so viel Platz wie möglich für ein rollendes Wohnzimmer mit sieben drehbaren Sitzen. Aber lange bevor Opron 1984 als Renault-Designchef dieses Auto vorstellen konnte, den Espace, das viele andere Designer ebenfalls für sich reklamieren, wobei es Opron war, der die Idee durchsetzte. Lange davor arbeitete er für Citroën: 1964 wurde er Nachfolger des legendären Designers Flaminio Bertoni, Opron fiel die undankbare Aufgabe zu, dieses zum französischen Nationalheiligtum erklärte Objekt 1974 durch ein neues Modell zu ersetzen. Er könne die DS nicht verbessern, habe er damals zu seinem Chef gesagt, nachdem er ihr neue Augen verpasst hatte; sie sei ein Meisterwerk. Wenn sie ein Meisterwerk wäre, habe ihm sein Chef gesagt, hätte sie Nachahmer, und die habe sie nicht.

Opron entwarf daraufhin den CX, neben dem die DS aussah wie eine immer noch elegante, aber auch altmodische Chromtante. Der CX duckte sich tief auf die Straße, seine Form war so logisch, dass man an ihr nichts vereinfachen oder verbessern konnte, sogar die scheinbar manieriert nach innen gebogene Heckscheibe hatte ihren Sinn– man konnte durch die Senke besser nach hinten schauen. Innen sprachen dagegen sich wölbende, drehende und leuchtende Plastikblasen im Cockpit dafür, dass man sich in einem Raumschiff befand, und leider standen auch die Werkstattmeister vor Oprons Kreationen so ratlos wie vor abgestürzten Ufos – was daran lag, dass die Techniker alles verbaut hatten, was damals noch nicht richtig funktionierte. Das galt auch für das großartige manieristische Sportcoupé SM, das mit einem von drei italienischen Doppel-Vergasern befeuerten Maserati-Motor und hydropneumatischer Federung das Beste und Anfälligste aus zwei Welten zusammenbrachte. Diese Wagen waren, wenn man der alten Citroën-Werbung glaubt, dafür gebaut, nachts gefahren zu werden, von beschlaghosten Romantikern der langen Strecke, die morgens um vier in Paris aufbrachen, um pünktlich zum Austernfrühstück in Arcachon einzuschweben, wie überhaupt Oprons SM ein Auto wie seine Zeit war, eine Skulptur, in der die hedonistische Weltraumästhetik auf den hysterischen Glam-Rock des Discozeitalters traf: wo früher ein Kühlergrill war, findet man beim SM eine plexiglasüberwölbte Lichtorgel aus sechs Scheinwerfern.

Oprons Design ist stark von Kunst und Architektur beeinflusst. Allein über seine Heckklappen könnte man ästhetikgeschichtliche Diplomarbeiten verfassen – meist, bei seinem unterschätzten Renault 25, sind es futuristische Glaskuppeln, die sich über das Gepäck wölben wie Weltraumsiedlungen von Buckminster Fuller und den Wagen etwas Kieselglattes geben. Oder die Stoßstangen: Wie bei einem Mobile von Calder ausbalanciert, hängen sie als optische Gegengewichte an der Karosserie, die hintere Stoßstange des SM könnte auch eine Skulptur von Jorge Oteiza sein.

Oprons Karosserien sind proportionstechnische Wunderwerke aus gespannten Linien und angehängten Gewichten – die manchmal, wie im Fall des CX, von den Banausen der Modellpflegeabteilungen mit großflächigen Plastikanbauteilen ins ästhetische Nirvana hineinverschandelt wurden. Warum Opron immer noch nicht zu den großen Designern des 20. Jahrhunderts gezählt wird, ist erstaunlich. Giugiaro zum Beispiel hatte ein paar frühe Hits – ein paar schöne Alfas, den Volkswagen Golf (der ein rechteckiger Aufguss von Oprons Simca 1100 war), den Fiat Panda. Aber was seitdem seine Formschmiede verließ, sind vor allem ein guter Grund, auf dem Olymp der Formgebung ein bisschen mehr Platz für Opron zu machen.

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Niklas Maak

F.A.Z.-Redakteur

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Autopilot von Niklas Maak

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