Der „Pott“ leuchtet
Beim Gedanken an das Ruhrgebiet erscheinen vor dem geistigen Auge der meisten Menschen zunächst Hochöfen, Zechentürme, schwarze Rauchwolken und eine grau-düstere Szenerie, wie sie aus den Schimanski-Filmen bekannt ist. Inzwischen hat sich das Ruhrgebiet jedoch enorm gewandelt: Die Zechen sind stillgelegt und in Kreativ-Hochburgen oder innovativ gestaltete Feizeitparks umgewandelt, die Luft ist nicht schlechter als anderswo, und sogar im „Pott“ scheint in regelmäßigen Abständen die Sonne. Die Metropolenregion, bestehend aus 53 Städten mit 5,3 Millionen Menschen aus über 170 Nationen, ist europäische Kulturhauptstadt 2010 und präsentiert sich fernab von Kohle und Industrie in diesem Jahr mit über 300 Projekten und über 2500 Veranstaltungen unter dem Motto „Wandel durch Kultur, Kultur durch Wandel“ einem internationalen, kulturinteressierten Publikum.
Am 9. Januar 2010 wurde das Kulturhauptstadtjahr offiziell eröffnet. Unter den 2500 geplanten Veranstaltungen sind selbstredend auch einige Lichtkunst-Highlights, die das Ruhrgebiet in neuem Licht erstrahlen lassen. Nicht erst seit dem Kulturhauptstadtjahr 2010 gilt das Ruhrgebiet als eine der beeindruckendsten Lichtlandschaften Europas. Schon seit 2001 existiert mit dem Zentrum für Internationale Lichtkunst in Unna das weltweit erste Museum für Lichtkunst. Hier sind unter anderem Arbeiten von Olafur Eliasson, James Turrell und Keith Sonnier zu sehen.
Lichtkunst im Ruhrgebiet
Doch auch mit dauerhaften lichtkünstlerischen Arbeiten im öffentlichen Raum geizt das Ruhrgebiet nicht: Die Kohlenwäsche der Zeche Zollverein in Essen besitzt mit ihrer orange-leuchtenden, schräg gestellten Rolltreppenanlage, die von Licht Kunst Licht gestaltet wurde, ein Wahrzeichen mit Wiedererkennungswert, die benachbarte Kokerei Zollverein zeigt mit „Monochromatic red an blue“ spektakuläre Illuminationen der britischen Lichtdesigner von Speirs and Major. Otto Piene entwarf das „Geleucht“ in Moers, einen 30 Meter hohen Turm in Form einer Grubenlampe, der auf einer 80 Meter hohen Halde steht. Die begehbare Grubenlampe wurde mit Beleuchtungskörpern ausgestattet, die den gesamten Turm in orange-rotem Licht erstrahlen lassen. Zusätzlich wird auch der nordöstliche Haldenrücken erleuchtet und ahmt damit den Lichtschein der Lampe nach. Weitere Highlights sind die „Yellow Marker“ in Bönen und Kamp-Lintfort von Mischa Kuball, das „Fraktal“ auf dem Tetraeder in Bottrop oder die Beleuchtung der Hochöfen im Landschaftspark Duisburg-Nord, die 1996 als eine der ersten künstlerischen Lichtgestaltungen des Ruhrgebiets realisiert wurde. Jonathan Park inszenierte die ehemalige Hochofenanlage mit den dazugehörigen Windrädern und Schornsteinen als zentralen Komplex. Weithin sichtbar sind nun grüne, rote und blaue Lichtfarben, die die ehemaligen Industrieanlagen eindrucksvoll illuminieren. Nicht zuletzt wegen der Lichtinszenierung wurde auch die Einwohner des Ruhrgebiets auf die stillgelegte Anlage aufmerksam, die als leuchtendes Vorbild für den gewünschten Strukturwandel im Ruhrgebiet steht: Heute ist der Landschaftspark-Nord eine beliebte Location für Partys, Open-Air-Kino und Veranstaltungen, zwischen den Hochöfen kann man klettern und in einem ehemaligen Wassertank das Tauchen lernen.
Erste Biennale für Internationale Lichtkunst
Bereits seit dem 28. März läuft die erste Biennale für Internationale Lichtkunst. Unter dem Motto „open light in private spaces“ sind im östlichen Ruhrgebiet 60 Lichtinstallationen von 35 internationalen Lichtkünstlern in Wohnungen und Häusern von Privatleuten ausgestellt. So wurden eigens für die Biennale neue Werke geschaffen oder Leihgaben aus Galerien, Privatsammlungen und Museen in einen neuen Kontext gestellt, wie zum Beispiel die 1998 entstandene Gemeinschaftsarbeit „Untitled“ von Olafur Eliasson und Tobias Rehberger, die nun im Wohnzimmer des Ehepaares Grziwotz in Bergkamen zu sehen ist. Sylvie Fleury zeigt Ihr Werk „Medium Chromo Quartz 1“ von 2001 im Zimmer eines achtjährigen Mädchens und im Dachstuhl eines Bestattungsinstitutes erwartet die Besucher die Lichtinstallation „Moon Dust“ von Spencer Finch – ein maßstabsgetreues, dreidimensionales Modell des atomaren Aufbaus des Mondes. Mischa Kuball präsentiert in einem Institut für Stimm- und Sprachtherapie in Unna eine neue Arbeit, Joseph Kosuth zeigt ein Leuchtschriften-Werk im Hauswirtschaftsraum der 82-jährigen Frau Schmidt in Bergkamen und auf einem Bauernhof ist die Neonarbeit „Lamentable Ø 650 cm blanc“ von François Morellet zu sehen.
Die Biennale für Internationale Lichtkunst findet ab diesem Jahr alle zwei Jahre statt. Schwerpunkt ist die Ausstellung zeitgenössischer Kunst, bei der die Verwendung des Mediums Licht im Vordergrund steht. Noch bis zum 27. Mai ist die Biennale täglich von 10 bis 18 Uhr geöffnet. An Tagen mit geradem Datum sind die privaten Räumlichkeiten in Unna, Fröndenberg/ Ruhr und der Gemeinde Bönen geöffnet, an Tagen mit ungeradem Datum die privaten Räumlichkeiten in den Städten Hamm, Lünen und Bergkamen.
Von Kanalglühen bis Ruhrlights
Weitere Licht-Highlights des Kulturhauptstadtjahres im Ruhrgebiet sind unter anderem das Festival „Ruhrlights“, die Schifffahrten „Kanalglühen“ oder das Kunstprojekt von Mischa Kuball „100 Lichter / 100 Gesichter“. Den Anfang machen die „Kanalglühen“-Lichterfahrten entlang des Kanals zwischen Duisburg und Herne. Inszeniert von „Non Stop City“, werden die Landschaften und Gebäude am Ufer des Kanals künstlerisch durch Projektionen von Zeichnungen und Texten in Szene gesetzt. Dabei werden vorhandene Situationen durch Licht und die Projektionen hervorgehoben, ausgeblendet, überzeichnet und kommentiert, sodass neue und ungewohnte Bilder der Stadt entstehen. Im September leuchten die Städte entlang der Ruhr durch ausgesuchte Lichtkunst: Beim internationalen Lichtkunstfestival „Ruhrlights: Twilight zone“ wird die Gegend um Duisburg, Essen, Bochum, Witten oder Dortmund durch Lichtinszenierungen von Künstlern wir Siegrun Appelt oder Yves Netzhammer als besonderer Natur- und Naherholungsraum in Szene gesetzt. Die Stadt Lüdenscheid wird vom 24. September bis 3. Oktober bereits zum fünften Mal zum öffentlichen Forum für Kunst und Design. Im Rahmen der „LichtRouten 2010“ werden Inszenierungen, Installationen und Performances im gesamten Stadtgebiet gezeigt. So zeichnet zum Beispiel der dänische Künstler Armsrock mit Licht an die städtischen Hauswände, die „Raumzeitpiraten“ Tobias Dämgen und Moritz Ellerich realisieren interdisziplinäre Echtzeit-Interventionen und bei den reaktiven Projekten von Olga Kisseleva werden die Betrachter Teil der virtuellen Realität.
Eine durchaus reale, künstlerische Recherchereise macht im Jahr 2010 der aus Düsseldorf stammende Lichtkünstler Mischa Kuball. Für die Aktion „100 Lichter / 100 Gesichter“ besucht Kuball rund 100 Familien aus 100 Nationen zwischen Duisburg und Dortmund und lässt sich ihre Migrations- und Lebensgeschichten erzählen. Dokumentiert wird dies von einem Fotografen und Filmer, der die Begegnungen in dem persönlichen Umfeld festhält. Zentrales Bildmerkmal der Aktion ist eine von Mischa Kuball gestaltete Leuchte, die als „Lichtzeichen“ für die Begegnung und den Austausch steht. Diese Leuchte verbleibt bei den Familien, eine Kopie der Leuchte dient bei der multimedialen Ausstellung, die ab Oktober im Campusmuseum der Ruhr-Universität Bochum zu sehen sein wird, als Träger des jeweiligen Fotos.
Angesichts der Fülle an Veranstaltungen ist es für die licht- und kulturinteressierten Ruhrgebiets-Besucher nicht einfach, den Überblick zu behalten. Daher gibt es mit der Internetplattform „Licht Ruhr.2010“ nun eine Art „Landkarte des Lichts“, auf der dauerhafte Installationen ebenso verzeichnet sind wie zeitlich begrenzte Ereignisse und Lichtinszenierungen. Alle anderen Veranstaltungen sowie weitere Informationen rund im die Kulturhauptstadt Essen für das Ruhrgebiet 2010 sind ausführlich auf der Homepage der Ruhr 2010 zu finden.
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