Im Spiegelkabinett von HdM
Allein mit der Kunst: 14 rooms und die lebendigen Skulpturen.
Elf in Manchester, zwölf in Essen, dreizehn in Sydney und jetzt vierzehn Räume, mit denen die Kuratoren Hans Ulrich Obrist und Klaus Biesenbach die Kunstmesse Art Basel in diesem Jahr aufmischten. Die Ausstellung 14 rooms zeigte keine Objekte, keine Gemälde, keine Langeweile, sondern Action, die unter die Haut geht.
Es könnte ein Amt sein, ein breiter Flur im Verwaltungstrakt eines Flughafens oder eben die Büros einer Messegesellschaft. Schnörkellos, pur und billig gebaut – aber konsequent ohne Fenster. Dafür verdecken Spiegelwände die Stirnseiten des hohen Eingangskorridors. Zu diesem öffnen sich 14 verspiegelte Türen, sieben auf jeder Seite. Sind sie allesamt geschlossen, verdoppeln und verdreifachen sich die Spiegeltüren; nur die Holzgriffe geben einen Hinweis darauf, dass es hinter den Spiegeln weitergehen könnte. Weiter in einen kleinen Raum, 5 mal 5 Meter groß, 3,50 Meter hoch: ein Zimmer, in dem Kunst passiert. Vor den Türen warten die Besucher. Man steht in einem Setzkasten für Performancekunst.
Lebendige Skulptur
Darin? Marina Abramovićs einsame Nackte (Luminosity), Damien Hirsts Zwillings-Performance, Yoko Ono lockt in einen Darkroom (Touch Piece), zudem Werke von Bruce Naumann, Ed Atkins oder Tino Seghal. Biesenbach und Obrist haben für ihre 14 rooms Künstler aus aller Welt eingeladen, in je einem Raum das Verhältnis von Raum, Zeit und Körperlichkeit anhand von Werken zu erforschen, deren „Material“ der Mensch ist: Performance-Kunst wird als lebendige Skulptur ausgestellt – 14 rooms zeigt keine Objekte, keine Gemälde, keine Langeweile, sondern Action.
Ausstellungsarchitektur von HdM
Anders als bei den drei vorigen Ausstellungen wurde für den Basler Performance-Marathon das erste Mal eine entsprechende Architektur beauftragt, konzipiert von Jaques Herzog und Pierre de Meuron. Die Schweizer Architekten bauten als Bühne für 14 rooms einen einfachen Trockenbau: ein Spiel aus Monotonie und Wiederholung, schließlich soll die Begegnung mit der Kunst im Vordergrund stehen. Zentrum und Verteiler dieser abstrakten Architektur, einer beinahe „typologischen Skulptur“, wie die Architekten diese selbst bezeichnen, bildet die breite „platzartige Gasse“ mit den Spiegelfronten. Den einzigen Hinweis für eine kontextuelle Verortung gibt ein Blick nach oben, hier ist das temporäre Spiegelkabinett geöffnet und lässt die Konstruktion des Hallendachs frei.
Dialog mit Flachbildschirm
Auch wenn die Räume sich formal ähneln, verbergen sich hinter den Spiegeltüren ganz verschiedene Situationen. Wenn Marina Abramović die Besucher mit einer schönen Nackten, die an der hell beleuchteten Wand auf einem Fahrradsattel hängt, konfrontiert, stellt Santiago Sierra einen uniformierten Kriegsveteran aus dem Kosovo in die Zimmerecke und lässt ihn die Wand anstarren. Eine unheimliche Begegnung, die die Frage nach dem gesellschaftlichen Umgang (womit?) in den Raum stellt. Joan Jonas lässt mit Mirror Check eine Frau ihren nackten Körper mit einem runden Handspiegel erkunden und kommentiert damit das Phänomen Selfie, Laura Lima experimentiert mit dem Raum: Nur 45 Zentimeter hoch ist die Decke, unter der sie eine Darstellerin platziert hat. Die Besucher müssen sich auf den Boden legen, um einen Blick in ihre Arbeit Man=Flesh/Woman=Flesh – Flat zu bekommen. Und Ed Atkins lässt einen als Ed Atkins verkleideten Schauspieler mit seinem Avatar sprechen: ein Dialog mit einem Flachbildschirm.
Konzentration, Ruhe, Entschleunigung
Der in Berlin lebende Tino Sehgal nimmt die Maschine Kunstmarkt aufs Korn. Mit This is competition lässt er zwei Galeristen, die beiden seine begehrten, aber – da Performancekunst – nur schwer verkäuflichen Kunstwerke vertreten, in gemeinsamen Dialogsequenzen seine Arbeiten präsentieren. Wort für Wort sprechen die beiden abwechselnd über ihre Arbeit, den Künstler Tino Sehgal und stellen seine Performances nach, die normalerweise professionelle Tänzer oder Schauspieler präsentieren – dafür hatte der in London geborene Künstler auf der 2004 auf der Art Basel den Baloise Art Prize bekommen; auf der Kunstbiennale 2013 in Venedig wurde er für seine Choreographie Untiteld mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet. Kaum eine Arbeit passt so gut in die 14 rooms wie This is competition: Das Zimmer als kleine konzentrierte Bühne lässt die Besucher in dem spannenden Show-Loop eintauchen, der von den Darstellern authentisch gespielt wird. Performance-Art wird damit zu einer Kunst, die Konzentration, Ruhe und Entschleunigung von den Zuschauern fordert.
Tür auf, Tür zu
Dass die Besucher von 14 rooms nicht nur schauen dürfen, sondern Teil des Ganzen werden, ist geschickt inszeniert. „Stellen Sie sich vor, Sie sind mit Ihren Kollegen zusammen und plötzlich sagt jemand ‚Bitte kommen Sie in mein Büro und schließen die Türe hinter sich’“, erzählt MoMA-PS1-Direktor Klaus Biesenbach. „Die Stimmung der Situation ändert sich völlig.“ Tür auf, Tür zu, drinnen und draußen. Und dann immer wieder die Spiegel beim Ein- und Austreten in die 14 eigentlichen Ausstellungsräume, der prüfende Blick auf die eigene Mimik, die neugierige Beobachtung anderer Besucher, die mal einen unerwünschten Augenkontakt mit Fremden, mal ein Lächeln als Antwort hat.
Das Wesen Ausstellung
Die lebendigen Skulpturen in Kombination mit den geschlossen Türen ändern den Blick auf das Wesen Ausstellung. „Es ist überraschend, aber normalerweise verbringen die Menschen nicht viel Zeit vor den Kunstwerken in Museen“, erzählt Hans Ulrich Obrist. „Der Louvre hat das einmal analysiert. Sogar vor der Mona Lisa verbringen die Besucher im Durchschnitt nur einige Sekunden – das ist ziemlich schockierend.“ Wenn in einer Ausstellung wie 14 rooms Geschichten erzählt werden, bleiben die Besucher auffallend länger – manche sind sogar für lange Zeit hinter den Spiegeltüren verschwunden. Die Entscheidung, wie lange man in den Zimmern verweilt, verrät viel über die Person, die geschlossene Tür verspricht ein Geheimnis. Diesen interessanten Moment inszenierte Dominique Gonzalez-Foerster, vor dessen Tür die Besucher Schlange standen. Lange waren die Einzelnen in Zimmer Nr. 06, lange waren also auch die Wartezeiten. Wer geduldig war, durfte die Tür öffnen und alleine eintreten. Was einen dort erwartete, war nichts und dennoch viel: man selbst.
14 rooms: eine Koproduktion der Art Basel, dem Theater Basel und der Fondation Beyeler
Mit: Marina Abramović, Allora & Calzadilla, Ed Atkins, Dominique Gonzalez-Foerster, Damien Hirst, Joan Jonas, Laura Lima, Bruce Nauman, Otobong Nkanga, Roman Ondák, Yoko Ono, Tino Sehgal, Santiago Sierra und Xu Zhen. Kuratiert von Hans Ulricht Obrist und Klaus Biesenbach. Architektur: Herzog & de Meuron. 14 rooms war während der Art Basel 2014 in der Halle 3 zu sehen. Der gleichnamige Katalog ist bei Hatje Cantz erschienen.
FOTOGRAFIE MCH Messe Schweiz
MCH Messe Schweiz