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Kochen, essen, reden – satt?

von Claudia Simone Hoff, 28.04.2010


Essen ist Kommunikation, auch wenn das Bonmot „Mit vollem Munde spricht man nicht“ genau dies verhindern möchte. Aber Essen hat eben immer auch mit Tischsitten und -manieren zu tun. Von der Taufe bis zum Leichenschmaus – gegessen und sich dabei ausgetauscht wird das ganze Leben lang. In Zeiten von großen Familienfesten, eleganten Dinnerparties, telegenen Starköchen und elitären Kochkursen zeigt sich jedoch auch eine ganz andere Seite des Essens: der Fernseher als Begleiter für die Mahlzeit zuhause, krümelnde Brötchen aus der Tüte vor dem Computer, Convenience Food im Single-Haushalt oder die schnelle Bratwurst auf dem Weg zum nächsten Termin. Diese scheinbar gegensätzlichen Phänomene rund um das Thema Essen und Kommunikation beleuchtet die Ausstellung „Kochen, essen, reden – satt?“, die derzeit im Berliner Museum für Kommunikation gezeigt wird.


Die Kuratoren haben die Ausstellung in fünf Oberthemen unterteilt: „Zuhause essen“, „auswärts essen“, „draußen essen“, „öffentlich essen“ und „richtig essen“. Im zweiten Stock des Museumsgebäudes an der Leipziger Straße kann der Besucher in vier Räumen so allerlei Interessantes, Überraschendes und teils gar Kurioses zum Essen als soziales und kommunikatives Ereignis entdecken. Ehe man die eigentlichen Ausstellungsräume betritt, kann man sich an den aufgeschriebenen „Geschmackserinnerungen“ vieler erfreuen: in Form von Tagebüchern, Briefen oder Postkarten. Manch einer erinnert sich an harte Kriegszeiten, manch anderer an die Geschmacksentdeckungen seiner Kindheit.

Mit der Tüte Chips vor dem Fernseher oder „zuhause essen“

„Zuhause essen“ kann ganz verschiedene Tischgesellschaften hervorbringen, wobei das Essen in der Familie und Feste zuhause wohl die wichtigsten sind. Und immer häufiger bedeutet zuhause essen auch, dass der Fernseher läuft. An ein gesittetes Beieinander ist da nicht mehr zu denken und entsprechend kritisch setzt sich eine Installation mit diesem Thema auseinander. An einem gedeckten Tisch sitzen keine Personen mehr, sondern Fernsehgeräte aus unterschiedlichen Epochen, auf denen jeweils eine Person über den Bildschirm flackert, haben deren Position eingenommen. Räumlich hinterfangen wird die Installation von schwarz-weiß Fotografien aus der Serie „So isst Deutschland“ von Roger V. Mandt. Darauf lichtet er Menschen zuhause bei Tisch ab: mit der Flasche Bier in der Hand auf dem Sofa oder versunken bei der Spielerei mit dem Gameboy. Was waren das noch für schöne Zeiten – das mag sich manch einer denken, der in der Ausstellung vom antiken griechischen Gastmahl, dem Symposium, erfährt: Zwar waren hier nur Männer zugelassen, diese aber nahmen die gemeinsame Mahlzeit auf dem Speisesofa ein, speisten festlich, lauschten musischen Darbietungen und schauten dem Zeremonienmeister bei der Weihung des Weines und Darbietung an die Götter zu.
 
Pommes rot-weiß oder „auswärts essen“

Gleich neben dieser Szenerie behandelt die Ausstellung das Thema „auswärts essen“. Passend zur Stadt, in der die Schau stattfindet (wir sind in Berlin!), wird die Geschichte der Currywurst an einer maßstabsgerechten Currywurst-Bude nachvollzogen – hier isst man schnell und im Stehen, ungeachtet aller sozialen Unterschiede. In der Stadt an der Spree ist es Max Konnopke, der mit seiner Imbissbude „Konnopke’s“ am Prenzlauer Berg Berühmtheit erlangt.

Mit der Mobilität – erst Postkutsche, dann Zug, dann Automobil – wurde das Wirtshaus zum Anlaufpunkt des Reisenden. Aber erst mit der Französischen Revolution entstanden öffentliche Restaurants, wie wir sie heute kennen. Denn die ehemaligen Köche des Adels waren arbeitslos geworden und suchten nach neuen Beschäftigungsmöglichkeiten. Sich zum Essen in ein Restaurant zu begeben, wurde fortan zu einem gezielt gesuchten Erlebnis. Und so entwickelten sich die charakteristischen Gepflogenheiten des Essens im Restaurant: Bestellung nach Karte, Bezahlung ausschließlich des Bestellten, Sitzen an kleinen Tischen sowie Essenszeit nach Wahl. Essen im Restaurant bedeutet auch private Gespräche in der Öffentlichkeit zu führen.

„Auswärts essen“ heißt für Millionen von Menschen Tag für Tag aber auch: Essen in der Kantine – in der Ausstellung schön dargestellt an Porzellanservices und Besteck aus deutschen Großbetrieben. Hier kommt auch die ideenreiche Ausstellungsarchitektur und die Inszenierungsfreude der Gestalter zum Ausdruck: Das Geschirr wird so präsentiert, als wenn man sich in der Kantine ein Tablett mit Esswaren vollladen würde. Dabei hat sich die Kantine längst von einer Einrichtung der Massenabfertigung mit mehr oder minder genießbaren Essen in einen Ort verwandelt, an dem es sich gesund und oft auch ästhetisch ansprechend speisen lässt.
 
Zurück zur Natur à la Rousseau oder „draußen essen“
 
Eine der schönsten Arten sein Essen zu genießen, ist sicherlich das Essen unter freiem Himmel. Ihm ist in der Ausstellung unter dem Titel „draußen essen“ eine eigene Sektion gewidmet. Frei von Tisch und Tischsitten werden hier neue, offenere Kommunikationsformen möglich und das Essen zum besonderen Erlebnis. Neben Goethes Marienbader Picknickkorb – der Dichter und Gelehrte legte in seinem Leben immerhin 40.000 Kilometer auf Reisen zurück – erfährt man weiteres Interessantes: Das Picknick erlebte im 18. Jahrhundert als beliebte Freizeitbeschäftigung des Adels seine Blüte und war Ausdruck von Naturschwärmerei und Sehnsucht nach der idealisierten Einfachheit des Landlebens. Essen in der freien Natur ist aber nicht nur romantisch, sondern kann durchaus auch einen ernsten Hintergrund haben. Dann nämlich, wenn man schlichtweg kein Dach über den Kopf hat.
 
Grillen mit Merkel und Bush oder „öffentlich essen“
 
Eng mit dem Thema „auswärts essen“ hängt der Ausstellungsteil „öffentlich essen“ zusammen. Hier geht es um das öffentliche, meist repräsentative Essen, wie es in adligen oder politischen Kreisen vorkommt. Und wer erinnert sich nicht an die Tafel des G8-Gipfels auf einem veritablen römischen Mosaik im Jahr 1999 oder das öffentliche Spanferkel-Grillen von Angela Merkel und George W. Bush in Heiligendamm? Aber auch Fernsehköche wie Tim Mälzer, Sarah Wiener, Johann Lafer oder Gordon Ramsay kochen öffentlich. Manch einer mag sich vielleicht bei so viel professioneller, medialer Präsenz zurück in alte Zeiten wünschen. Nur eines sollte er dabei nicht vergessen: Als der erste deutsche Fernsehkoch Clemens Wilmenrod – ein gelernter Schauspieler und gar kein Koch! – 1953 auf Sendung ging, offerierte er seinem Publikum doch tatsächlich Dosengemüse, Fertigsaucen und Tomatenketchup …
 
Fit mit Bircher-Müsli oder „richtig essen“
 
Da passt es nicht schlecht, dass der letzte Ausstellungsteil dem Thema richtig essen gewidmet ist. Seit jeher haben Religionen Regeln für die Zusammenstellung von Mahlzeiten vorgegeben. Im Museum für Kommunikation wird dies dargestellt am Beispiel des Klosterlebens der Benediktiner, die aufgrund des Schweigegelübdes eine eigene Zeichensprache mit insgesamt 359 Zeichen – die „signa loquendi“ – erfunden haben. Darunter gibt es auch einige Zeichen für Nahrungsmittel wie Wein und Wasser, aber auch für die entsprechenden Gefäße.

Alternative Ernährungskonzepte werden in der Ausstellung als Gegenbeispiel zur Industrialisierung von Lebensmitteln anhand der Slow-Food-Bewegung und am Bircher-Müsli nachvollzogen. Letzteres geht auf Oskar Bircher-Benner zurück, der 1904 am Zürichberg das Sanatorium „Lebendige Kraft“ gegründet hatte. Das Bircher-Müsli – damals lapidar „Apfeldiätspeise“ genannt – war neben Morgenspaziergängen, Licht-, Luft- und Sonnenbädern, Wasseranwendungen, Massagen und Heilgymnastik zentraler Bestandteil der Behandlung der Patienten und an die traditionelle Kost der Alphirten angelehnt. Es sollte als Alternative zu den gängigen wissenschaftlichen Ernährungslehren dienen und war in ein umfassendes, naturnahes Lebensideal eingebunden – selbst Thomas Mann fand sich in Birchers Sanatorium auf dem Zürichberg ein.
 
Übrigens: Die erste Pizzeria auf deutschem Boden wurde 1952 von Nico und Janina di Camillo in Würzburg eröffnet. Stammgäste des „Capri“ waren amerikanische Soldaten. Aber auch deutsche Gäste ließen es sich in dem als „blaue Grotte“ eingerichteten Gastraum schmecken und ein Blick in die Karte von damals verrät: Pizza mit Sardinen gab’s auch damals schon.


Weitere Informationen
 
Die Ausstellung findet bis zum 29. August 2010 im Museum für Kommunikation in Berlin statt. Begleitend kann man zahlreiche Veranstaltungen wie Vorträge, Workshops und Lesungen besuchen (s. detailliertes Programm auf der Website des Museums).

Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen:
 
Corinna Engel, Helmut Gold und Rosemarie Wesp (Hrsg.):
Satt? Kochen, essen, reden.
Kataloge der Museumsstiftung Post und Telekommunikation, Band 28.
Heidelberg (Edition Braus) 2009.
144 Seiten mit zahlreichen Abb., 9,80 Euro
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Links

Museum für Kommunikation Berlin

www.mfk-berlin.de

Flyer zur Ausstellung

www.mfk-berlin.de

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