Stories

Lederluder zum Anfassen

von Jasmin Jouhar, 23.11.2009


Endlich einmal eine Ausstellung, in der alle Exponate berührt werden dürfen. Es ist sogar ausdrücklich erwünscht, die Ausstellungsstücke anzufassen: Handelt es sich doch um Türklinken, und die wollen naturgemäß „begriffen“ werden. Der Klinkenhersteller FSB hat unter dem Titel „Begreifbare Baukunst – zur Bedeutung von Türgriffen in der Architektur“ insgesamt 45 Beispiele aus knapp 200 Jahren Architekturgeschichte zusammengetragen. Längst nicht alle stammen aus dem eigenen Sortiment. Die Ausstellung ist im Roten Salon zu sehen, einem wieder aufgebauten Saal der Bauakademie von Karl Friedrich Schinkel in Berlin. Schon der Schauplatz macht klar, was die Ausstellung zeigen soll: Türdrücker sind nicht bloß alltägliche Gebrauchsgegenstände, sondern können das Architekturverständnis ihrer Gestalter widerspiegeln.



Die Ausstellung stellt die Beziehung zwischen Haus und Klinke, zwischen Architektur und Objekt in den Mittelpunkt, und präsentiert jeden der Türdrücker an einer Stele (natürlich in Greifhöhe angebracht) zusammen mit einem Foto eines exemplarischen Gebäudes. Den Anfang macht Karl Friedrich Schinkels Potsdamer Schloss Charlottenhof und der dafür gestaltete, mit feinen klassizistischen Ornamenten verzierte Griff. In diesem Fall mussten die FSB-Lehrlinge in Brakel ran und den Schinkel-Entwurf für die Ausstellung nachbilden – die meisten anderen Exponate sind Originale, die Wolfgang Reul von FSB und die Kuratoren Bettina Rudhof und Falk Horn teilweise vor Ort selbst abgeschraubt haben. Zum Beispiel die bronzene Klinke von Peter Behrens, die er für das Haus Wiegand in Berlin entwarf. Erst im Keller der Architekturikone fand das Team einen Griff, der sich problemlos demontieren ließ. Farbspuren an der Rosette beweisen, dass es sich hier nicht um ein Museumsstück, sondern einen Gebrauchsgegenstand in Benutzung handelt.

Dienst an der Hand

Auch die anderen historischen Drücker zeigen mit ihrer Patina, dass sie bis zum heutigen Tag ihren Dienst an der Hand tun. Der von Eingeweihten nur „Lederluder“ genannte Griff, von Alvar Aalto für das ebenfalls von ihm gestaltete Theater in Essen entwickelt, hat einen speckig abgegriffen Lederbezug. Das Messing von Walter Gropius’ berühmten Bauhaus-Beschlag ist über die Jahrzehnte fleckig angelaufen. Der Wirkung dieses Klassikers der modernistischen Formensprache tut das keinen Abbruch – im Gegenteil, es beweist eher, wie langlebig Qualitätsware sein kann. Ebenfalls für Langlebigkeit – sowohl in Material wie auch Ästhetik – stehen die vier FSB-Klassiker, die das Zentrum der Ausstellung bilden. Da findet sich der „Entenschnabel“, die prototypische Fünfziger-Jahre-Klinke mit dem charakteristischen Schwung von FSB-Hausdesigner Johannes Potente. Daneben steht ein Entwurf von Max Burchatz: Der keilförmige Türdrücker war ein Favorit von Egon Eiermann, der damit seine Gebäude ausstatten ließ. Anonym ist dagegen der Urheber des riegelförmigen Modells 1003 aus den 1930er Jahren.

Vorbild und Neuinterpretation

Die Vierte im Bunde ist eine der wenige, die nicht von einem Architekten, sondern von einem Designer stammt: Jasper Morrisons zeitlos elegante Klinke 1144, übrigens eine Neunziger-Jahre-Interpretation des Entenschnabels. Überhaupt scheint der Dialog über die Zeiten hinweg ein gängiges Motiv beim Entwerfen von Türdrückern zu sein. Was bei Alessandro Mendini oder Christoph Mäckler noch zu erwarten gewesen wäre, hat zum Beispiel auch die Münchner Architekten Hild & K interessiert: Ihr Entwurf ist eine spielerisch wirkende Kreuzung des Entenschnabels mit einem in der Ausstellung ebenfalls vertretenen Modell, dem sogenannten „Reichsreformdrücker“.

Klinken für Architekten

Der historische Teil der Ausstellung mit zahlreichen schönen Stücken wie der Jugendstil-Klinke von Joseph Maria Olbrich für die Mathildenhöhe oder dem neusachlichen Postsparkassen-Beschlag von Otto Wagner und Griffen von Paul Bonatz, Hans Poelzig, Ludwig Wittgenstein, Ludwig Mies van der Rohe, Sep Ruf oder Karl Schwanzer wird ergänzt durch eine Art „Best of FSB“. Der Brakeler Hersteller zeigt eine Auswahl von Modellen, die in Zusammenarbeit mit Architekten entstanden sind. Es gehört zum täglichen Geschäft von FSB, Entwürfe von Architekten umzusetzen, was unter anderem die Popularität der Firma in dieser Zielgruppe erklärt. Wer als Architekt einen Türdrücker-Entwurf vorlegt und dank großer Bauprojekte auch für einen gewissen Absatz des Modells garantieren kann, der wird bei FSB mit offenen Armen empfangen. In jüngerer Zeit profitierten unter anderem David Chipperfield, Mario Bellini oder Christoph Ingenhoven vom Know-How des Herstellers. Gut vertreten sind auch Berliner Büros wie Kollhoff, Kahlfeldt, Vater und Sohn Kleihues, Gesine Weinmiller oder Behles & Jochimsen.

Unfreiwillig komisch

Die Sektion der aktuellen Architektenklinken hat allerdings auch ein paar unfreiwillig komische Exponate zu bieten: Sie zeigen, dass sich die Idee, Haus und Klinke gestalterisch aufeinander abzustimmen, auch gegen den Entwerfer wenden kann. So ließ Santiago Calatrava für sein in sich verdrehtes Hochhaus „Turning Torso“ in Malmö von FSB einen ebenso in sich gedrehten Türdrücker fertigen. Das Ergebnis sieht reichlich überdesignt aus und liegt zudem nicht besonders gut in der Hand – eine Eigenschaft, die bei einem Türdrücker eigentlich selbstverständlich sein sollte. Und die Klinke der Architekturfabrik NPS Tchoban Voss schließlich erscheint vollkommen absurd: Die Architekten verkleinerten den Baukörper ihres Moskauer Hochhausprojektes auf ein handliches Format – fertig war der Drücker. Dass Daumen und Zeigefinger beim Greifen Orientierung suchen und ein angenehmes Volumen in der Hand liegen sollte, wie Otl Aicher das einst in seinen vier Geboten des Greifens postulierte und wie es viele andere Exponate vorführen, das spielt bei dieser Selbstdarstellung der vulgäreren Sorte keine Rolle mehr.



„Begreifbare Baukunst – zur Bedeutung von Türgriffen in der Architektur“
bis 13. Dezember 2009 im Roten Salon der Bauakademie, Schinkelplatz 1, Berlin
Öffnungszeiten: donnerstags bis sonntags von 13 bis 19 Uhr
Facebook Twitter Pinterest LinkedIn Mail
Links

FSB Franz Schneider Brakel

www.fsb.de

FSB-Produkte bei Designlines

www.designlines.de

Internationale Bauakademie Berlin

www.internationale-bauakademie.com

Raumdeutung Büro für Gestaltung

Ausstellungskuratoren

www.raumdeutung.com

Mehr Stories

Der Konferenzsessel ist weiblich

Gendergerechte Sonderanfertigungen eines Wilkhahn-Möbels

Gendergerechte Sonderanfertigungen eines Wilkhahn-Möbels

Ganzheitliches Designverständnis

Sonderpreise für Formafantasma und Vibia Lighting bei den Iconic Awards 2024

Sonderpreise für Formafantasma und Vibia Lighting bei den Iconic Awards 2024

Keine Kreislaufprobleme

Vollständig recycelbarer Teppich von Object Carpet

Vollständig recycelbarer Teppich von Object Carpet

Formschöne Flexibilität

Brunner stellt Universaldrehstuhl ray work vor

Brunner stellt Universaldrehstuhl ray work vor

Best Workspaces 2024

Erste Preise gehen an INpuls und Kresings Architekten

Erste Preise gehen an INpuls und Kresings Architekten

CO2-Neutral und plastikfrei

Karcher Design setzt Nachhaltigkeit ganzheitlich um

Karcher Design setzt Nachhaltigkeit ganzheitlich um

Perfekte Imperfektion

Sebastian Herkner taucht die Bauhaus-Klassiker von Thonet in neue Farben

Sebastian Herkner taucht die Bauhaus-Klassiker von Thonet in neue Farben

Innovative, zukunftsweisende Designs

Brunner stellt seine Produktneuheiten vor

Brunner stellt seine Produktneuheiten vor

Gimme Shelter

Vielfältige Rückzugsorte für das Büro von VARIO

Vielfältige Rückzugsorte für das Büro von VARIO

Neue Perspektiven

Initiative IDX setzt auf Austausch, Inspiration und Networking

Initiative IDX setzt auf Austausch, Inspiration und Networking

Breite Eleganz

Fischgrätplanken von PROJECT FLOORS in neuen Formaten

Fischgrätplanken von PROJECT FLOORS in neuen Formaten

Für eine nachhaltige Zukunft

Fokusthemen des Brunner-Leitfadens

Fokusthemen des Brunner-Leitfadens

Alles auf eine Bank

Die Möbelkollektion Semiton von García Cumini für Arper

Die Möbelkollektion Semiton von García Cumini für Arper

Zusammen arbeitet man weniger allein

Co-Working-Spaces im Wandel

Co-Working-Spaces im Wandel

Das zukunftsfähige Office

Brunner denkt das Büro neu

Brunner denkt das Büro neu

Mehr Partizipation

Warum Zaha Hadid Architects heute den Mitarbeiter*innen gehört

Warum Zaha Hadid Architects heute den Mitarbeiter*innen gehört

Blick ins Homeoffice

Gestaltende über Lösungen für das Arbeiten zu Hause – Teil 1

Gestaltende über Lösungen für das Arbeiten zu Hause – Teil 1

Komfort-Bausteine

jehs+laub gestalten das Polsterprogramm oval für Brunner

jehs+laub gestalten das Polsterprogramm oval für Brunner

Auf Tuchfühlung

Unterwegs auf dem Münchner Stoff Frühling 2023

Unterwegs auf dem Münchner Stoff Frühling 2023

Neue Räume entfalten

Kooperation zwischen Brunner und atelier oï trägt erste Früchte

Kooperation zwischen Brunner und atelier oï trägt erste Früchte

Best Workspaces 2023

andOFFICE und Gruppe GME Architekten gewinnen ersten Preis

andOFFICE und Gruppe GME Architekten gewinnen ersten Preis

Gestaltungsvielfalt in neuen Tönen

Kollektions-Relaunch bei Project Floors

Kollektions-Relaunch bei Project Floors

Starkes Schweden

Neues von der Stockholm Design Week 2023

Neues von der Stockholm Design Week 2023

Raus aus dem Möbeldepot

Mobile Einrichtungslösung aus alten Abfalleimern setzt auf Upcycling

Mobile Einrichtungslösung aus alten Abfalleimern setzt auf Upcycling

Adaptives Multitalent

Das Gira System 55 wird 25

Das Gira System 55 wird 25

In den Kreislauf gebracht

JUNG erarbeitet sich Cradle to Cradle-Zertifizierung für komplexes Produktsortiment

JUNG erarbeitet sich Cradle to Cradle-Zertifizierung für komplexes Produktsortiment

Best-of Orgatec 2022

Design zum Wohlfühlen von der Kölner Büromöbelmesse

Design zum Wohlfühlen von der Kölner Büromöbelmesse

Atmosphärische Übergänge

Hybrides Arbeiten zwischen Büro und Homeoffice 

Hybrides Arbeiten zwischen Büro und Homeoffice 

Technik-Upgrade für den Wohnraum

News und Trends von der Elektronikmesse IFA

News und Trends von der Elektronikmesse IFA

Meister der Zweitnutzung

Neues Design aus alten Möbeln von Girsberger Remanufacturing

Neues Design aus alten Möbeln von Girsberger Remanufacturing