Lederluder zum Anfassen
Endlich einmal eine Ausstellung, in der alle Exponate berührt werden dürfen. Es ist sogar ausdrücklich erwünscht, die Ausstellungsstücke anzufassen: Handelt es sich doch um Türklinken, und die wollen naturgemäß „begriffen“ werden. Der Klinkenhersteller FSB hat unter dem Titel „Begreifbare Baukunst – zur Bedeutung von Türgriffen in der Architektur“ insgesamt 45 Beispiele aus knapp 200 Jahren Architekturgeschichte zusammengetragen. Längst nicht alle stammen aus dem eigenen Sortiment. Die Ausstellung ist im Roten Salon zu sehen, einem wieder aufgebauten Saal der Bauakademie von Karl Friedrich Schinkel in Berlin. Schon der Schauplatz macht klar, was die Ausstellung zeigen soll: Türdrücker sind nicht bloß alltägliche Gebrauchsgegenstände, sondern können das Architekturverständnis ihrer Gestalter widerspiegeln.
Die Ausstellung stellt die Beziehung zwischen Haus und Klinke, zwischen Architektur und Objekt in den Mittelpunkt, und präsentiert jeden der Türdrücker an einer Stele (natürlich in Greifhöhe angebracht) zusammen mit einem Foto eines exemplarischen Gebäudes. Den Anfang macht Karl Friedrich Schinkels Potsdamer Schloss Charlottenhof und der dafür gestaltete, mit feinen klassizistischen Ornamenten verzierte Griff. In diesem Fall mussten die FSB-Lehrlinge in Brakel ran und den Schinkel-Entwurf für die Ausstellung nachbilden – die meisten anderen Exponate sind Originale, die Wolfgang Reul von FSB und die Kuratoren Bettina Rudhof und Falk Horn teilweise vor Ort selbst abgeschraubt haben. Zum Beispiel die bronzene Klinke von Peter Behrens, die er für das Haus Wiegand in Berlin entwarf. Erst im Keller der Architekturikone fand das Team einen Griff, der sich problemlos demontieren ließ. Farbspuren an der Rosette beweisen, dass es sich hier nicht um ein Museumsstück, sondern einen Gebrauchsgegenstand in Benutzung handelt.
Dienst an der Hand
Auch die anderen historischen Drücker zeigen mit ihrer Patina, dass sie bis zum heutigen Tag ihren Dienst an der Hand tun. Der von Eingeweihten nur „Lederluder“ genannte Griff, von Alvar Aalto für das ebenfalls von ihm gestaltete Theater in Essen entwickelt, hat einen speckig abgegriffen Lederbezug. Das Messing von Walter Gropius’ berühmten Bauhaus-Beschlag ist über die Jahrzehnte fleckig angelaufen. Der Wirkung dieses Klassikers der modernistischen Formensprache tut das keinen Abbruch – im Gegenteil, es beweist eher, wie langlebig Qualitätsware sein kann. Ebenfalls für Langlebigkeit – sowohl in Material wie auch Ästhetik – stehen die vier FSB-Klassiker, die das Zentrum der Ausstellung bilden. Da findet sich der „Entenschnabel“, die prototypische Fünfziger-Jahre-Klinke mit dem charakteristischen Schwung von FSB-Hausdesigner Johannes Potente. Daneben steht ein Entwurf von Max Burchatz: Der keilförmige Türdrücker war ein Favorit von Egon Eiermann, der damit seine Gebäude ausstatten ließ. Anonym ist dagegen der Urheber des riegelförmigen Modells 1003 aus den 1930er Jahren.
Vorbild und Neuinterpretation
Die Vierte im Bunde ist eine der wenige, die nicht von einem Architekten, sondern von einem Designer stammt: Jasper Morrisons zeitlos elegante Klinke 1144, übrigens eine Neunziger-Jahre-Interpretation des Entenschnabels. Überhaupt scheint der Dialog über die Zeiten hinweg ein gängiges Motiv beim Entwerfen von Türdrückern zu sein. Was bei Alessandro Mendini oder Christoph Mäckler noch zu erwarten gewesen wäre, hat zum Beispiel auch die Münchner Architekten Hild & K interessiert: Ihr Entwurf ist eine spielerisch wirkende Kreuzung des Entenschnabels mit einem in der Ausstellung ebenfalls vertretenen Modell, dem sogenannten „Reichsreformdrücker“.
Klinken für Architekten
Der historische Teil der Ausstellung mit zahlreichen schönen Stücken wie der Jugendstil-Klinke von Joseph Maria Olbrich für die Mathildenhöhe oder dem neusachlichen Postsparkassen-Beschlag von Otto Wagner und Griffen von Paul Bonatz, Hans Poelzig, Ludwig Wittgenstein, Ludwig Mies van der Rohe, Sep Ruf oder Karl Schwanzer wird ergänzt durch eine Art „Best of FSB“. Der Brakeler Hersteller zeigt eine Auswahl von Modellen, die in Zusammenarbeit mit Architekten entstanden sind. Es gehört zum täglichen Geschäft von FSB, Entwürfe von Architekten umzusetzen, was unter anderem die Popularität der Firma in dieser Zielgruppe erklärt. Wer als Architekt einen Türdrücker-Entwurf vorlegt und dank großer Bauprojekte auch für einen gewissen Absatz des Modells garantieren kann, der wird bei FSB mit offenen Armen empfangen. In jüngerer Zeit profitierten unter anderem David Chipperfield, Mario Bellini oder Christoph Ingenhoven vom Know-How des Herstellers. Gut vertreten sind auch Berliner Büros wie Kollhoff, Kahlfeldt, Vater und Sohn Kleihues, Gesine Weinmiller oder Behles & Jochimsen.
Unfreiwillig komisch
Die Sektion der aktuellen Architektenklinken hat allerdings auch ein paar unfreiwillig komische Exponate zu bieten: Sie zeigen, dass sich die Idee, Haus und Klinke gestalterisch aufeinander abzustimmen, auch gegen den Entwerfer wenden kann. So ließ Santiago Calatrava für sein in sich verdrehtes Hochhaus „Turning Torso“ in Malmö von FSB einen ebenso in sich gedrehten Türdrücker fertigen. Das Ergebnis sieht reichlich überdesignt aus und liegt zudem nicht besonders gut in der Hand – eine Eigenschaft, die bei einem Türdrücker eigentlich selbstverständlich sein sollte. Und die Klinke der Architekturfabrik NPS Tchoban Voss schließlich erscheint vollkommen absurd: Die Architekten verkleinerten den Baukörper ihres Moskauer Hochhausprojektes auf ein handliches Format – fertig war der Drücker. Dass Daumen und Zeigefinger beim Greifen Orientierung suchen und ein angenehmes Volumen in der Hand liegen sollte, wie Otl Aicher das einst in seinen vier Geboten des Greifens postulierte und wie es viele andere Exponate vorführen, das spielt bei dieser Selbstdarstellung der vulgäreren Sorte keine Rolle mehr.
„Begreifbare Baukunst – zur Bedeutung von Türgriffen in der Architektur“
bis 13. Dezember 2009 im Roten Salon der Bauakademie, Schinkelplatz 1, Berlin
Öffnungszeiten: donnerstags bis sonntags von 13 bis 19 Uhr
Links