Olafur Eliasson: Innen Stadt Außen
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Aus dem Martin-Gropius-Bau in Berlin tritt Rauch hervor. Das rote Feuerwehrauto steht bereit und Olafur Eliasson schaut gebannt auf die Fassade mit dem Lüftungsschlitz. Diese überraschende Szenerie bot sich dem Besucher letzten Montag, kurz bevor die Ausstellung „Innen Stadt Außen“ eröffnet wurde. Da wird sich doch nicht etwa ein Unglück ereignet haben? fragte der besorgte Beobachter. Nein, denn zum Glück entpuppte sich der vermeintliche Rauch beim Gang durch die Ausstellung als Nebel, den Eliasson für eine seiner Licht-Installationen braucht.
„Olafur Eliasson: Innen Stadt Außen“ ist die erste große Berliner Schau des dänisch-isländischen Künstlers, der seit 1994 in der Stadt an der Spree lebt und arbeitet. Während im Martin-Gropius-Bau – von dem Eliasson sagt, dass er es als „befreiend [empfindet], einmal in einem Museum ohne ausgeprägten Markencharakter zu arbeiten“ – überwiegend speziell für diesen Ort gefertigte Kunstwerke ausgestellt sind, verteilte Eliasson bereits Monate vor der eigentlichen Ausstellungseröffnung etliche rätselhafte Objekte im Berliner Stadtraum. So waren – ohne jeden Kommentar versehen und damit nicht unbedingt als Kunstwerk zu erkennen – riesige Treibholzstämme auf Verkehrsinseln am Alexanderplatz zu finden und Kreidezeichnungen im Freien zu bestaunen. Verspiegelte Fahrrad-Räder spiegelten den Flaneur im Stadtraum, auf dem Pfefferberg entstand im Berliner Winter ein poetisch anmutender Eispavillon. Ein auf der Pfaueninsel platzierter „Blind pavilion“ ist der Preußenkönigin Luise zu ihrem 200. Geburtstag gewidmet.
Es ist – nach dreijähriger Vorarbeit – eine sehr persönliche Ausstellung geworden, denn laut Eliasson bietet Berlin noch Raum für Experimente, ist offen für die Frage, welchen Wert wir dem Stadtraum beimessen, was für einen Zweck er hat, ob und welche Zweifel wir in ihm zulassen. Dahinter steckt Eliassons Idee vom Stadtbewohner als (Mit-)Gestalter des Kunstwerks. Einem Stadtbewohner, der sich mit dem ihn umgebenden Raum auseinandersetzt, über Ideen diskutiert.
Flüchtiges im Berliner Stadtraum
Die Ausstellung reicht mit den im öffentlichen Raum verstreuten Objekten bis tief in die urbane Struktur hinein, bis auf Straßen, Parks, Plätze und Gehwege. „Ich interessiere mich seit langem für urbane Räume als experimentelle Orte. Dabei lassen sich, abhängig vom jeweiligem Ort, Aspekte wie Gesellschaftlichkeit, Interaktion und individuelle Erfahrung verhandeln“, so der Künstler. Dabei geht es Eliasson um die Flüchtigkeit der im öffentlichem Raum platzierten Objekte, um unvorhergesehene Begegnungen des Stadtbewohners mit diesen Objekten und dem daraus möglicherweise entstehenden Gemeinschaftssinn, um die Emotionalität im Umgang mit den Objekten.
Wenn im Museum die Sonne aufgeht
Licht ist neben Erde, Feuer, Luft und Wasser das Element der Natur, das in Eliassons Œuvre eine entscheidende Rolle spielt – so auch in der Ausstellung „Innen Stadt Außen“. Insgesamt hat er über 146 Arbeiten mit Licht geschaffen, wozu auch die Spiegel-Arbeiten zählen. Überaus beeindruckend war beispielsweise das im Rahmen seiner „Weather projects“ im Jahr 2003 in der ehemaligen Turbinenhalle der Londoner Tate Modern entstandene Werk: Mit 200 Monofrequenz-Leuchten, 3000 Quadratmeter Spiegelfolie und Trockeneisnebel ließ Eliasson im gigantischen Innenraum des Museums die Sonne auf- beziehungsweise untergehen.
Die Faszination der Spiegelung
Das Thema „Innen/ Außen“, das sich bereits im Titel der von Daniel Birnbaum kuratierten Ausstellung andeutet, ist auch im Martin-Gropius-Bau präsent: wenn beispielsweise mit der Installation „Succession“ Raum 9 mittels einer außen, auf derselben Höhe angebrachten Rasenfläche in den Außenraum prolongiert wird. Und auch der Lichthof des Martin-Gropius-Baus, der traditionell bei Ausstellungen mit einem Highlight bespielt wird, nähert sich dem Thema „Innen/ Außen“ auf fast spektakuläre Weise, indem Eliasson direkten Bezug auf die Architektur nimmt und wiederum Spiegel einsetzt: So hat er das lichtdurchlässige, gläserne Satteldach quasi auf vier Wände ausgedehnt mittels riesiger, auf Gerüsten angebrachter Spiegelfolien-Wände, die in einem Winkel von 60 Grad bis an das reale Glasdach heranreichen. Betritt man den so neu entstandenen Raum, fühlt man sich wie in einer unendlichen Spiegelgalerie und nicht wenige Besucher werden sich an Joseph Paxtons berühmten Glaspalast von 1851 erinnert fühlen. Durch eine einfache visuelle Täuschung entsteht eine neue, ganz andere Wahrnehmung des Lichthofs, dessen Atmosphäre sich zudem mit wechselndem Lichteinfall in einem fortlaufenden Transformationsprozess befindet.
Dabei, so Lorraine Daston im Katalog, „besteht die Prämisse von Eliassons Kunst darin, das Staunen des Betrachters nicht auszulöschen, sondern es vielmehr anzufachen, indem ihm genau gezeigt wird, wie der Trick funktioniert – es ist die laborähnliche Anordnung von Ursache und Wirkung in ihrer Gesamtheit, die fasziniert und provoziert. In diesem Fall ist die Auflösung des Rätsels schon vor Betreten des Raums erfolgt: Das Metallgerüst liegt offen dar, die Illusion wird desillusioniert – was der Wirkung des Raums jedoch keinen Abbruch tut.
Von Nebel, Spiegeln, Licht und Schattenbildern
Neben diesem, wieder zum Leben erweckten „Kristallpalast“ ist es sicher Ausstellungsraum 11, der nachhaltig beeindruckt. Die Installation „Your blind movement“ führt den Besucher ins Ungewisse, in einen mit Nebel verhülltem Raum, in dem Farben einem Regenbogen gleich changieren. Je nachdem, in welcher Farbe man gerade wandelt – fühlt man anders, sieht anders, nimmt anders wahr. Hier wird nicht nur die von Eliasson beabsichtigte Partizipation des Museumsbesuchers am Kunstwerk selbst augenscheinlich, sondern auch seine Auseinandersetzung mit optischen Täuschungen beziehungsweise sinnlicher Wahrnehmung: Letztendlich ersetzt die farbliche Orientierung in „Your blind movement“ die geometrische, euklidische Auslegung des Raums, wie Eliasson erklärt.
Das Spiel mit dem Sehen
Dieses Phänomen begleitet den Besucher während des gesamten Ausstellungsrundgangs: Es wird gespielt mit den Gewohnheiten des Sehens. Diese werden gebrochen und durch diese Brechungen sogleich hinterfragt, beispielsweise in Raum 16 mit der Installation „The curious museum“. Schaut man aus dem Fenster des Gropius-Baus, erscheint in unmittelbarer Nähe ein Gebäude. Das jedenfalls suggeriert ein erster flüchtiger Blick, bis man sich selbst entdeckt und zwar genau vor dem vermeintlich gegenüberliegenden Gebäude. Denn Eliasson hat vor den Fenstern im Außenraum auf einem Gerüst hohe Spiegel platziert. Diese spiegeln dem Betrachter die Außenwand des Gebäudes, die er normalerweise von Innen nicht sehen kann. Überhaupt sind Spiegel ein wichtiges Thema in den Kunstwerken der Ausstellung. Eliasson besitzt die Fähigkeit zu verdoppeln, zu erweitern, umzukehren. Und hier kommt es wieder wunderbar zum Ausdruck: Innen – Außen, Außen – Innen – beides steht im ständigen Wechselspiel.
Wo Licht ist, ist auch Schatten
Im Wechselspiel mit dem Besucher stehen auch die Installationen „Your uncertain shadow (black and white)“ (Raum 4), „Your uncertain shadow (growing)“ (Raum 5) und „Your uncertain shadow (colour)“ (Raum 6). Auf dem Boden platzierte Halogenlampen beleuchten den Besucher und werfen dessen Schatten – mal farbig, mal schwarz-weiß – auf die Museumswand. Wer wäre da nicht versucht, sich zu drehen, zu wenden oder gar der Wand entgegen zu winken? Nur, damit ein immer schönerer, bewegter Schatten entsteht: „Die vollkommene Leere des Raums bündelt Aufmerksamkeit mit präziser Intensität wie eine optische Linse“, stellt Lorraine Daston im Katalogtext fest. Oder wie der Künstler sagt: „Wir benutzen das Objekt, um über uns selbst zu reflektieren, etwa wenn wir unseren eigenen Schatten betrachten, um ein Gefühl dafür zu bekommen, dass dieser Schatten eine Folge unseres Körpers ist.“
Kristallwelten aus Wasser
Auch prismatische Brechungen, Kristalle und Kristallines spielen im Werk Eliassons eine wichtige Rolle, wovon in der Ausstellung die Werke „Yellow to purple activity sphere“ (Raum 14) und „New Berlin Sphere“ (Raum 15), beide 2009 entstanden, zeugen. Sie erstrahlen in Regenbogenfarben und werfen farbige Schatten an Wände und Decke. Und auch die Installation „Water Pendulum“ in Raum 18 spielt mit unseren Seh-Gewohnheiten und bricht diese sogleich: Ein an der Decke angebrachter Schlauch verspritzt mittels einer Pumpe unkontrolliert Wasser, das den Boden durchtränkt. Dieser Wasserstrahl wird mittels eines Stroboskoplichts gezielt beleuchtet. Dadurch wirken die Wassertropfen in dem tiefschwarzen Raum plötzlich nicht mehr wie normale Wassertropfen, sondern wie auf den Boden prasselnde, glitzernde Kristalle.
Obwohl es in dieser Ausstellung so vieles zu entdecken, erfahren und bestaunen gibt, gab Eliasson den Besuchern noch eines mit auf den Weg: Sie sollten doch unbedingt die Südküste Islands besuchen, um von dort die erstaunlichen und beeindruckenden Eruptionen des Vulkans Eyjafjallajökull anzusehen. Um den isländischen Tourismus zu fördern.
Weitere Informationen
Die Ausstellung „Olafur Eliasson: Innen Stadt Außen“ findet bis zum 9. August 2010 im Martin-Gropius-Bau in Berlin statt und ist täglich von 10 bis 20 Uhr geöffnet.
Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen:
Daniel Birnbaum (Hrsg.): Olafur Eliasson: Innen Stadt Außen
24 x 30 cm, 424 Seiten, mehr als 212 farbige Abbildungen
Deutsch/ Englisch
Verlag der Buchhandlung Walther König
ISBN 978-3-86560-765-2
Museumsausgabe € 29,–
Buchhandelsausgabe € 48,–
Links
Martin-Gropius-Bau
www.berlinerfestspiele.deInnen Stadt Außen
www.innenstadtaussen.deOlafur Eliasson
www.olafureliasson.netIm Gespräch mit Olafur Eliasson
www.designlines.deLED-Leuchte Starbrick
www.designlines.deMehr Stories
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