Rare Earth: Totem der Gegenwart
In der aktuellen Ausstellung des Wiener Kunstraums TBA21 beschäftigen sich 17 Künstler mit den Seltenen Erden.
Praseodym, Yttrium, Lanthan, Gadolinium, Dysprosium oder Promethium haben Eingang in die Kunst gefunden. Was hinter den außerirdisch klingenden Begriffen steckt, zeigt die aktuelle Ausstellung Rare Earth im Kunstraum der Thyssen-Bornemisza Art Contemporary im Wiener Augarten. Doch die Gruppenschau bietet wenig Reflexion über die konfliktträchtige Materie der Seltenen Erden. Eine Ausstellungskritik.
An Brisanz ist das Thema sowohl in sozial- wie auch in wirtschafts- oder umweltpolitischer Hinsicht kaum zu überbieten. Die Metalle der Seltenen Erden sind seit einigen Jahren in den Schlagzeilen. Im negativen Sinne. Von der Ausbeutung der Minenarbeiter bis zur Verschmutzung der Umwelt, von gesundheitlichen Risiken für Tier und Mensch bis hin zu unfairem Handel und der Recyclingfrage. Ganz abgesehen davon, dass so manches Element der Seltenen Erden auch im Cyberkrieg eine tragende, oder besser, tragische Rolle spielt.
17 mal 17
Dem Rare Earth Elements-Diskurs widmet sich die vor kurzem eröffnete Ausstellung mit dem direkt darauf verweisenden Titel Rare Earth im Kunstraum der Thyssen-Bornemisza Art Contemporary (TBA21) im Wiener Augarten. Im Vorfeld verlautete, es solle die bislang ambitionierteste thematische Gruppenausstellung der seit über zehn Jahren bestehenden TBA21 werden. Kunstmäzenin und TBA21-Vorsitzende Francesca Habsburg arbeitete für Rare Earth mit den Kuratoren Boris Ondreička (slowakischer Künstler und Musiker) und Nadim Samman (Londoner Philosoph und Künstler) zusammen. 17 internationale Künstlerinnen und Künstler aus zehn Nationen sind dabei, unter anderem auch aus Ländern, die in den Abbau und Handel der Seltenen Erden involviert sind. Freuen kann man sich jedenfalls auf den Beitrag des wohl bekanntesten chinesischen Künstlers, Ai Weiwei. Sein Werk ist in Wien nicht so oft zu sehen.
Vom Yttrium zum Dysprosium
Zur Gruppe der Seltenen Erden gehören 17 unterschiedliche Metalle. Geowissenschaftler unterscheiden zwischen leichten Seltenen Erden (Cer, Lanthan, Neodym, Praseodym und weiteren) und schweren Seltenen Erden (Yttrium, Terbium Dysprosium, Europium). Sie wurden im 18. und 19. Jahrhundert unter anderen von den Forschern Carl Auer von Welsbach und Carl Axel Arrhenius entdeckt, doch erst im Zeitalter der Hochtechnologie avancierten sie zu begehrten Rohstoffen. Kein Hightech-Produkt ohne die Metalle der Seltenen Erden: Sie stecken in Akkus, Halbleitern, Magneten, Polituren, Keramiken oder Katalysatoren. Und somit in Plasmafernsehern, Mobiltelefonen, Tablets, Laptops, LEDs oder DVDs. Sowohl in Waffen, etwa den „smarten“ Bomben, als auch in grünen und medizinischen Technologien, wie Hybridautos, Windrädern, Rußpartikelfiltern, Lasern oder der Kernspintomografie.
Chinesische Erden
Die Metalle der Seltenen Erden kommen meist im selben Gestein in Erz-Lagerstätten weltweit vor, allen voran in China, Indien, den USA, in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion und Australien. China ist der größte Produzent. Im Jahr 2009 wurden laut dem deutschen Öko-Institut 120.000 Tonnen gefördert, was 97 Prozent der weltweiten Menge entspricht, exportiert wurden rund 30.000 Tonnen. Geringe Personal- und Produktionskosten sowie fehlende Umweltauflagen machen dies möglich. Die Volksrepublik hat quasi ein Monopol auf Seltene Erden, zudem trieb ihre Exportbeschränkung die Weltmarktpreise drastisch in die Höhe, ein WTO-Schiedsspruch hat das jedoch vor kurzem unterbunden.
Im Zeitalter der Metalle der Seltenen Erden
Anlässlich der Ausstellung Rare Earth spricht Kurator Boris Ondreička die Probleme an: „Obwohl sie reichlich vorhanden sind, werden die Mineralien als ‚selten‘ bezeichnet, weil sie geografisch weitverbreitet und nur in kleinen Konzentrationen vorzufinden sind. Daher ist es technisch und ökonomisch sehr aufwändig, sie zu extrahieren. So stehen sie oft mit ökologischer Verwüstung und (un)menschlicher Ausbeutung in Verbindung. Metalle der Seltenen Erden werden ausschließlich auf privaten Märkten verkauft, was ihre mysteriöse Aura weiter verstärkt. Seltene Erden sind ein Emblem; ein Totem, aber auch ein Ersatzbegriff der komatösen Idee des ‚Zeitgenössischen‘: ein Zeichen unserer zersplitterten Zeit, des Zeitalters der Metalle der Seltenen Erden.“
Metaphorik statt Fragen
Umso überraschender, dass beinahe alle künstlerischen Arbeiten – zehn der 17 Beiträge sind eigens von TBA21 in Auftrag gegeben und produziert worden – den erwartbaren kritischen Zugang zum Thema ausklammern. Die konkrete Ausbeutung hinter der Technik wird kaum thematisiert. Die Künstlerinnen und Künstler begegnen den Rare Earth Elements in ihren Werken lieber mit philosophischen Denkansätzen und metaphorischen Bildern, die ästhetische Ebene steht im Vordergrund. Es präsentiert sich das Bild einer „Wohlfühkunst“, die die darin verwendeten Metalle der Seltenen Erden bestenfalls recycelt, Räume interessanter und schöner macht, nicht aber nach dem Hintergrund fragt. Es bleiben Fragen offen: In wessen „Auftrag“ operiert hier die Kunst? Welche Interessen übernimmt die Kunst auf einem Feld, auf dem der repräsentative Nutzen einer ästhetisch ansprechenden „Reflexion“ im deutlichen Kontrast zu den mehr als problematischen Fakten der Extrahierung und Verwertung dieser Materialien steht?
Von der Poesie zu den Gefahren
Der Brite Roger Hiorns sorgt am Eingang in den Kunstraum für Poesie, indem er einen nackten, jungen Mann auf einem Motor eines Militärhelikopters in Rodins Denkerpose verweilen lässt. Eine kleine Flamme tut ihr übriges. Eine Allegorie zum Thema Mensch – Maschine. Gegensätzlich dazu im hinteren Bereich der Ausstellung die raumgroße, brüllende und flammenwerfende Installation Réquiem for Harley Warren der Pariser Künstlerin Marguerite Humeau, die sich von H. P. Lovecrafts Sience-Fiction-Geschichte Die Aussage des Randolph Carter aus dem Jahr 1920 inspirieren ließ. Die Installation inszeniert die Stimmen der Erde, unter anderem jene in Turkmenistan am Krater von Derweze, der aufgrund von austretendem Erdgas in Flammen steht und deshalb von den Einheimischen „Tor zur Hölle“ genannt wird.
Recycling für die Kunst
Seltene Erden gehen immer dann verloren, wenn ein Mobiltelefon, eine Computerfestplatte oder ein DVD-Player auf dem Müll landen. Seit längerer Zeit wird vom deutschen Öko-Institut ein Recyclingsystem für die Rohstoffe gefordert. In diesem Kontext steht der Beitrag des in London lebenden Künstlerduos Revital Cohen und Tuur Van Balen – und sie liefern damit endlich einen kritischen Ansatz. Zu sehen sind die von ihnen zerlegten Festplatten und die dabei „abgebauten“ Metalle der Seltenen Erden, die sie zurück in eine mineralische Form verwandelt haben. Die beiden Künstler arbeiten an einem Langzeitprojekt über den Coltan-Abbau in der Demokratischen Republik Kongo und beschäftigen sich mit den handwerklichen Praktiken der Mineralgewinnung für elektronische Geräte. Sie machen also die gleiche Arbeit wie die Tagelöhner in den Konfliktgebieten, setzen aber am anderen Ende der Produktionskette an.
Geschärftes Bewusstsein
Die eingängigste Arbeit kommt von Ai Weiwei: Rare Towels sind weiße Handtücher, die Reinigung, Ruhe und Regeneration suggerieren. Doch der Schein trügt im doppelten Wortsinn: Gestickte Schriftzüge Rare Earth aus fluoreszierenden Fäden mit Europium machen die Handtücher giftig und so zu einer Gefahr im Alltag. Ai Weiwei verdeutlicht damit, welcher Gefahr die Minenarbeiter in China tagtäglich ausgesetzt sind. Und schafft so vielleicht, dass bei den Besucherinnen und Besuchern das Bewusstsein für die Problematik der Seltenen Erden geschärft wird.
Ausstellung Rare Earth
TBA21 Augarten, Wien
Noch bis 31. Mai 2015
Mehr aus unserem Special „Seltene Erden“ lesen Sie hier…
Thyssen-Bornemisza Art Contemporary (TBA21)
www.tba21.orgSeltene Erden
Alle Beiträge aus unserem großen Special, über alles, was aus dem Boden unter unseren Füßen erschaffen wird
www.designlines.deMehr Stories
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