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Wenn die Nacht zum Tag wird

von Katja Neumann, 01.02.2008

Haben Sie schon einmal die Milchstraße gesehen? Wenn nicht, dann gehören Sie zu den schätzungsweise 33 Prozent aller Deutschen, die die Milchstraße nur aus Fernsehsendungen kennen. Einen wirklich klaren Sternenhimmel verbindet man inzwischen höchstens mit dem letzten Urlaub auf der Almhütte oder einer lauen Sommernacht im Freien. Der Sternenhimmel inspirierte Menschen seit je her zu Kunst, Philosophie, Wissenschaft und Forschung, doch um ihn zu sehen, muss der moderne Mensch heute schon in entlegene oder höher gelegene Gebiete fahren. Das Problem ist nicht neu und ein jeder, der in einem Ballungsraum oder einer Großstadt lebt, weiß dies aus eigener Erfahrung. Selbst des nachts wird es niemals richtig dunkel. Der Himmel ist stets erhellt von Straßen- und Verkehrsbeleuchtung, von Lichtreklamen und Skybeamern, von Industrie und Wohnhäusern. „Lichtverschmutzung“ nennt sich das Phänomen, das lange Zeit als fixe Idee von Naturfanatikern abgetan wurde, doch in Zeiten, in denen angesichts des Klimawandels besonders der Energieverbrauch und damit auch übermäßige Beleuchtung auf dem Prüfstand stehen, stößt auch die Lichtverschmutzung auf immer größeres Interesse – bei Politikern, Designern, Architekten, Leuchtenherstellern und Normalbürgern gleichermaßen.
Der Begriff Lichtverschmutzung wurde erstmals Mitte des 20. Jahrhunderts von Astronomen eingeführt, die durch den vermehrten Einsatz künstlicher Beleuchtung immer größere Schwierigkeiten hatten, einen ungetrübten Blick auf das Objekt ihrer Forschungen zu erlangen. Schließlich braucht das Licht der Sterne Dunkelheit zum Strahlen, diese jedoch wurde zusehends durch künstliches Licht, welches an Staub- und Luftteilchen in der Atmosphäre gestreut wurde und damit den Himmel aufhellte, erschwert. Dazu wurde in den vergangenen Jahrzehnten immer stärker direkt blendendes Licht, beispielsweise für die öffentliche Außenbeleuchtung, eingesetzt, das vor allem auch für die nächtliche Tierwelt ernsthafte Folgen haben kann. Erste Anzeichen einer ökologischen Veränderung durch zu starke Beleuchtung sind heute schon zu bemerken: Insekten- und Vogelflug haben sich verändert, durch die Blendwirkung der Lichter nehmen Vögel, die sich in der Regel am Mond und den Sternen orientieren, zum Beispiel Hindernisse nicht wahr und kollidieren.
Es wird immer heller
Über europäischen Städten sind laut der „International Dark-Sky Association“, einer Initiative gegen Lichtverschmutzung, nur noch etwa zehn Prozent der Sterne mit dem bloßen Auge zu beobachten, und auch auf dem Land wird der Blick auf den Sternenhimmel durch Straßenbeleuchtung und Lichtbeamer von Diskotheken erschwert.
Die Dark-Sky Association wurde 1988 von der Internationalen Astronomischen Vereinigung gegründet und zählt mittlerweile über 5000 Mitglieder in 70 Ländern, deren Anliegen es ist, über die Folgen der Lichtverschmutzung aufzuklären. Und diese nimmt zu: Der Astronom Andreas Hänel schätzt, dass die Lichtverschmutzung in Deutschland um etwas sechs Prozent pro Jahr zunehme, in Ländern wie Italien oder Japan sei es noch schlimmer, hier sind jährliche Zuwächse von zehn bis zwölf Prozent zu verzeichnen. Dies sind jedoch nur Schätzungen, denn genaue Messungen gibt es bislang nicht. Im Jahr 2001 erstellten italienische Forscher von der Universität Padua erstmals einen Weltatlas der Lichtverschmutzung, der wiederum auf Daten aus den Jahren 1996 und 1997 basiert. Das Ergebnis: Für fast zwei Drittel der Weltbevölkerung sowie für 99 Prozent der Europäer und US-Amerikaner, Hawaii und Alaska ausgenommen, hat der Nachthimmel in Wohngebieten die Schwelle zur Lichtverschmutzung überschritten. Ein Fünftel aller Menschen können die Milchstraße nicht mehr sehen, bei vielen Menschen müssen sich die Augen schon gar nicht mehr auf einen Zustand der Dunkelheit umstellen.
Maßnahmen zur Rückkehr des Nachthimmels
Wie immer ist der erste Schritt zur Lösung, überhaupt ein Bewusstsein für ein Problem zu entwickeln. Nach der Gründung der Dark-Sky Association, ging die UNO im Jahr 1999 einen Schritt weiter und erklärte auf der UNO-Konferenz in Wien den Sternehimmel zum schützenswerten Kulturgut. In Deutschland ist Lichtverschmutzung immerhin als umweltschädlicher Einfluss eingestuft. Ein verbrieftes Recht auf Kulturgenuss gibt es dagegen im Freistaat Bayern. Dort garantiert die Verfassung den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und kulturellen Überlieferung. Als internationaler Vorreiter im Kampf gegen die Lichtverschmutzung erweist sich die Tschechische Republik, in der im Sommer 2002 ein Gesetz gegen Lichtverschmutzung in Kraft trat, das „jegliche Form der künstlichen Beleuchtung, die über den Bereich hinaus reicht, für den sie gedacht ist, insbesondere wenn sie über den Horizont gerichtet ist“ unter Strafe stellt. In Deutschland nimmt die Stadt Augsburg den Platz als Modellstadt für umweltfreundliche Beleuchtung ein. Durch verschiedene Maßnahmen wie unter anderem die Reduzierung der nächtlichen Innenstadtbeleuchtung um fünf Prozent bzw. acht Prozent in den Außenbezirken, den Einbau zentraler Lichtsteuerungsgeräte zur Regelung bestimmter Beleuchtungsgruppen sowie den Austausch aller HQL-Lampen durch Natriumlampen konnte nicht nur der Energieverbrauch gesenkt werden, es förderte auch den bewussten Umgang mit der Ressource Licht.
Beleuchtungslösungen gegen Lichtverschwendung
Neben verschiedener Maßnahmen zur Energie- und Lichteinsparung haben selbstverständlich auch viele der führenden Leuchtenhersteller Lösungen für effizienteres und blendfreies Licht entwickelt. Schließlich gibt es schon heute vereinzelt gesetzliche Richtlinien, die Lichtemissionen nach oben verbieten. Spezielle Sekundärbeleuchtungs-Systeme, wie zum Beispiel von ewo angeboten, können eine Lösung darstellen, bei der eine indirekte Beleuchtung durch Spiegelwerfersysteme erzielt wird, die gleichmäßig selbst große Flächen ausleuchten kann. Bei einem von ewo entwickelten Werfer wurde das Leuchtmittel vertikal eingebaut, statt wie sonst in diesem Bereich üblich, horizontal. Dadurch kann der Reflektor viel präziser berechnet werden und verfügt dementsprechend über eine sehr eng gehaltene Bündelung. ewo ist zurzeit der einzige Hersteller, der das Leuchtmittel auf diese Weise verbaut. Aber auch der Hersteller Erco, nahm beim Ausbau seines Außenraumprogramms ein Konzept von Dark-Sky zur Hilfe und richtetet die Leuchten auf die Vermeidung von Lichtstreuung und Blendung aus.
Es geht also nicht darum, Licht möglichst aus den menschlichen Lebensräumen zu verbannen, sondern darum, es effizient und energiesparend zu verwenden, statt es schlicht durch übermäßigen Einsatz zu verschwenden. Schließlich nimmt man Licht erst durch den Kontrast zur Dunkelheit wahr, wie die Bürger des Städtchens Lüdenscheid durch ein simples Experiment erfahren konnten: Bei der Lüdenscheider Lichtroute im Jahr 2002 reduzierten die Einzelhändler auf der 150 Meter langen, zentralen Einkaufsstraße die Beleuchtung ihrer Schaufenster um ein Vielfaches und waren überrascht, wie viel inszenatorische Kraft die verbliebenen Niedrigvolt-Halogenlampen ausüben konnten.
Licht und Großstadt gehören zweifellos zusammen. Dabei geht es jedoch weniger darum, die Städte durch immer mehr Licht zu erhellen, als vielmehr um einen qualitativen Umgang mit dem Kunstlicht. Denn die beste Bühne für schönes Licht ist immer noch die Dunkelheit.
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Links

International Dark-Sky Association

www.darksky.org

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