Stories

„Wie ein Vulkan“ – Enzo Mari in Berlin

Wie der Designer mit seinen Ideen die Porzellanwelt aufmischte: eine neue Berliner Ausstellung.

von Claudia Simone Hoff, 27.05.2014

Drei Jahre reichten Enzo Mari, um die Produktentwicklung bei KPM kräftig durcheinander zu wirbeln. Eine neue Ausstellung in Berlin zeigt, wie es dem italienischen Designer in den Neunzigern gelungen ist, die traditionsreiche Berliner Porzellanmanufaktur mit seinen fulminanten Ideen aus dem Dornröschenschlaf zu wecken.

Die Ausstellung „Who is Mari? Enzo Mari und die Meisterwerkstatt der KPM“ in der Berliner KPM Welt kreist um ein inspirierendes Kapitel in der Geschichte der Berliner Porzellanmanufaktur: die Jahre zwischen 1993 und 1996, als der italienische Designer Enzo Mari dort tätig war. Der künstlerische Beirat der Königlichen Porzellan-Manufaktur (KPM) hatte ihn nach Berlin geholt, um dem angestaubten Betrieb frischen Wind und neue Ideen einzuhauchen. Wie gut das funktioniert hat, lässt sich anhand vieler Objekte nachvollziehen. In der vergangene Woche eröffneten Ausstellung werden nicht nur die fertigen Entwürfe des italienischen Designers und seiner Mitarbeiter präsentiert. Zeichnungen, Werkzeuge und Modelle bilden auch den spannungsvollen Herstellungsprozess ab.


Vor Ideen sprühen
Jeden Monat kam Enzo Mari für eine Woche von Mailand nach Berlin, um Tag und Nacht mit seinen vier Mitarbeitern in einem eigenen Atelier zu diskutieren, auszuprobieren, für gut zu befinden oder zu verwerfen. Der italienische Designer sei ein regelrechter Vulkan gewesen, hätte vor Ideen nur so gesprüht, aber auch viel von seinen Mitarbeitern erwartet, erzählt Robert Suk – Mitglied der von Enzo Mari gegründeten Meisterwerkstatt und heute Leiter des Rosenthal Creative Center. Auch bei gemeinsam zubereiteten Abendessen wurde (mit einer ständig anwesenden Dolmetscherin) über neue Gestaltungsansätze und Herstellungstechniken gesprochen und darüber nachgedacht, wie KPM auf einen erfolgversprechenden Weg gebracht werden könnte – eine nicht ganz einfache Aufgabe, KPM war bis dahin vor allem für klassische Entwürfe bekannt. Und auch die Moderne mit ihren Ikonen von Trude Petri und Marguerite Friedlaender war in den Neunzigern bereits einige Jahrzehnte alt.

Experimentierwerkstatt
Ständiges Hinterfragen, neue Zusammenhänge herstellen, gesellschaftliche Gegebenheiten berücksichtigen – das ist Enzo Maris Idee von Design, und die brachte er mit zur KPM. Er versteht sich übrigens eher als Künstler denn als Designer und will mit seinen Entwürfen „vermeiden, was nutzlos oder falsch ist“, wie er sagt. Die Kombination aus Architekt, Gestalter und Designphilosoph – die sich in der Person Maris bündelt – war es übrigens, die Mari so interessant machte für KPM, sagt Robert Suk. Er sollte herauszufinden, wie eine traditionsreiche Porzellanmanufaktur zeitgemäß auftreten und arbeiten kann.

Kartoffeldruck
Nach einem Jahr intensiver Recherche – auch in den umfangreichen Archiven von KPM – und der Aufnahme des Ist-Zustandes des Unternehmens wurde 1994 das erste Produkt präsentiert: die sich noch Sortiment der KPM befindliche Vasenserie Zeppelin, heute Mari-Vase genannt. Sehr schmal in der Form, ohne Stand und deshalb auf eine rechteckige Metallplatte montiert, ist sie produktionstechnisch höchst anspruchsvoll. Die ursprünglich 32 Dekore zeigen sehr anschaulich Enzo Maris Verständnis von Design. Den Porzellanmalern wurde kurzerhand ihr geliebter feiner Pinsel entrissen und stattdessen ein sehr breiter in die Hand gedrückt. So wurden Blütenblätter plötzlich übergroß und zu abstrakten Mustern. Oder es wurden ganz neue Maltechniken erfunden. Runde Schwämme beispielsweise, die in verschiedene Farben getränkt und aufs Porzellan gesetzt, einen charmant-gekonnten Kartoffeldruck à la Mari ergeben.

Archetypen
Der nächste folgerichtige Schritt in der Zusammenarbeit von KPM mit Enzo Mari war die Entwicklung eines Services. Berlin basiert auf einer Kelchform und die ist, wie KPM-Designchef und ebenfalls ehemaliges Mitglied der Meisterwerkstatt, Thomas Wenzel erklärt, ein Archetyp – übrigens ein wichtiger Begriff bei Enzo Mari. Weniger Archetyp und extrem ungewöhnlich ist der „umgekehrte“ Henkel, der an Kannen, Tassen und Zuckerdosen für einen hohen Wiedererkennungswert sorgt. Trotz seiner extravaganten Form: Der Henkel liegt ausgesprochen gut in der Hand. Denn eines wollte Enzo Mari nie: Gestaltung nur um der Gestaltung willen.
 
Alles auf Anfang
Enzo Mari sollte KPM in wirtschaftlich schwierigen Jahren im internationalen Markt neu positionieren – mit zeitgenössischem, jedoch unmodischen Design. Wie er das tat, ist in der von Klara Nemeckova kuratierten Ausstellung anschaulich und wunderbar detailverliebt nachzuvollziehen.

Zurück zum Konventionellen
Doch von Enzo Maris Ideen und seinem kreativen Geist ist – bis auf die von ihm entworfenen Produkte – nicht viel übrig geblieben bei KPM. Inzwischen arbeitet man hier wieder auf eher konventionelle Weise. Deshalb ist es wenig überraschend, dass die Berliner Porzellanmanufaktur den Anschluss an das zeitgenössische Designgeschehen verloren hat. Lediglich die – zugegeben schönen – KPM-Klassiker Kurland oder Urbino mit neuen Farben und Dekoren zu versehen, reicht nicht aus in einem Markt, der mit sinkenden Absatzzahlen, sich verändernden Essgewohnheiten und Konkurrenz aus Fernost kämpft. Bei KPM wird man sich warm anziehen müssen, denn bei relativ hohen Preisen und einem alternden Kundenkreis ist eine Krise vorprogrammiert.

Wer wagt ...
Andere deutsche Porzellanhersteller und -manufakturen wie beispielsweise Rosenthal oder Nymphenburg sind da schon weiter und haben den Warnschuss gehört. Sie setzen auf ein völlig neues Produktsortiment, preislich günstigere Zweitlinien oder engagieren zeitgenössische Designer und Künstler, um auch attraktiv zu sein für eine jüngere Käuferschicht. Robert Suk ist übrigens – gleich nachdem Enzo Mari die KPM verlassen hatte – zu Rosenthal gewechselt und seither als Designchef verantwortlich für die gestalterische Ausrichtung des Unternehmens. Er holte Designer wie Konstantin Grcic, Patricia Urquiola und Jasper Morrison nach Selb. Und auch wenn neue Produktideen, bekannte Designer- und Künstlernamen längst keine Garant sind für steigende Verkaufszahlen: Sie signalisieren nach außen, dass Bewegung ist im Unternehmen. In diesem Sinne möchte man den Verantwortlichen bei KPM zurufen: Wagt etwas! Das Potenzial ist da.


Die Ausstellung „Who is Mari? Die Meisterwerkstatt der KPM“ ist zum 22. November 2014 in der KPM Welt in Berlin zu sehen.

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Links

Ausstellung

Who is Mari? Enzo Mari und die Meisterwerkstatt der KPM

kpm-berlin.com

Der deutsche Patient

Über den Überlebenskampf der Porzellanindustrie

www.designlines.de

300 Jahre oder La maladie de porcelaine

Die Geschichte des Weißen Goldes

www.designlines.de

Interview mit Enzo Mari

www.designlines.de

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