Der bescheidene Humanist
Highflyer 2000: Alfredo Häberli
Wie kaum ein anderer Schweizer Gestalter prägt Alfredo Häberli das internationale Designgeschehen seit über 30 Jahren. Seine berufliche Laufbahn nahm gleich nach dem Diplom an der Schule für Gestaltung in Zürich ordentlich an Fahrt auf – das war 1991. In den ersten Jahren des neuen Jahrhunderts erreichte Häberlis Karriere mit der Glaskollektion Essence (2001) für Iittala sowie den Stühlen Segesta (2002) und Selinunte (2004) für Alias – um nur ein paar erfolgreiche Produkte dieser Zeit zu nennen – die ersten Höhepunkte.
Es sind nicht nur seine Produktentwürfe, die für Aufsehen sorgen, sondern auch Alfredo Häberlis innenarchitektonische Projekte wie das Restaurant Ginger in Zürich, die Mailänder Showrooms für Kvadrat und diverse Ladengeschäfte für Camper. Alfredo Häberli ist in all den Jahren nie dem Modischen erlegen. Seine Entwürfe prägen Neugierde, Präzision und Leichtigkeit, die er zu einer ganz eigenen Sprache kombiniert – was der Gestaltung eine gewisse Zeitlosigkeit verleiht, ohne dass sie ihre prägnante Eigenständigkeit verliert.
Welche Themen interessierten Sie im Jahr 2000 und in den ersten Jahren des jungen Jahrtausends – und warum?
Damals hatte ich mit meinem eigenen Studio gerade mein erstes Jahrzehnt hinter mir und nach den langen Nachtschichten und den durchgearbeiteten Wochenenden kam eine fruchtbare Phase. Ich konnte endlich mit international tätigen Firmen meine Ideen und Visionen umsetzen. Es wurde ein sehr kreatives Jahrzehnt. Jung Vater geworden zu sein, gab mir außerdem viel Energie – und den wahren Grund des Lebens.
Welche Personen haben Ihre Arbeit beeinflusst?
Meine Eltern und Großeltern waren die Personen, die mich am meisten beeinflusst haben. Beruflich gesehen waren Achille Castiglioni und Enzo Mari sowie Bruno Munari Vorbilder und Referenz. Ich hatte und habe das Glück, immer wieder Personen zu begegnen, die mich weiterbringen und motivieren. Meine ganze Arbeit basiert auf dem Humanen, es geht mir immer um das von Menschen gemachte Menschliche.
Damals im Jahr 2000: Welche Erwartungen hatten Sie an Ihre Karriere gestellt?
In meiner Kindheit in den Siebzigerjahren gab es Bilder in Zeitschriften von Autos und Stadtvisionen, die mich sehr beeindruckten. Die Vorstellung der Zahl „2000“ war magisch. Ein neues Jahrtausend! Viele dieser Bilder haben sich nicht so bewahrheitet. Wir Menschen sind träge und möchten eigentlich nichts verändern. Die Erwartungen, die ich hatte, waren klar: Ich wollte mein Designstudio international etablieren und ich wollte meine Visionen und Vorstellungen in die Realität umsetzen. Ich wich keinen Zentimeter von dieser Vorstellung ab. Blieb dabei aber immer locker und zuversichtlich.
Welche Erinnerungen haben Sie an die damalige Designszene? Was hat sich an den Veranstaltungen und Messen verändert?
Ich konnte die schönste Zeit, nämlich 1985 bis 2000, der Messen erleben. In den Achtzigerjahren wurde das italienische Design so richtig weltberühmt und die Messe in Mailand mit ihren Inszenierungen, den verschiedenen Tendenzen und Designpersönlichkeiten konnte es so richtig krachen lassen. Auch die Modedesigner wurden zu dem, was sie heute sind. Aber die Spirale drehte sich immer schneller und schneller und höher und höher. Die Messen wurden zu Magneten und alle wollten ein Stück des Kuchens. Too much! Und wir damals jungen internationalen Designer waren mittendrin dabei – als einer der ersten Generation nicht-italienischer Designer.
Welches sind die wichtigsten Treiber, die die Designbranche in den letzten 20 Jahren verändert haben?
Es gab in dieser Zeit, die ich angesprochen habe, vielleicht zehn Superfirmen und viele weitere Lieferanten. Heute gibt es hundert Firmen, die aus diesen Subunternehmen gewachsen sind. Es gibt viele Firmen mit guter Qualität, aber es sind nicht mehr die ursprünglichen zehn großen. Die allergrößte Veränderung und Verunsicherung sind sicher das Internet und das Onlineshopping. Der Umsatz hat Priorität bekommen und der Inhalt des Designs ging verloren. Es gibt fast keine Opposition mehr. Dafür ist das Design zugänglicher geworden.
Welche Entwicklungen in der Designindustrie machen Sie zuversichtlich, welche nachdenklich?
Dass die Designindustrie – genauso wie die Mode- oder Autoindustrie – langsam gemerkt hat, dass es nicht nur um den Konsum geht und einfach ein weiteres Produkt auf den Markt gebracht werden kann, sondern um mehr. Doch wir sind noch weit von dem großen Umdenken entfernt. Und wie gesagt: Der Mensch möchte keine Veränderung. Er tut sich schwer damit.
Wenn ein junger Designer Sie um einen Rat bittet: Was sagen Sie ihm?
Es ist ein schöner, wunderbarer Beruf, der das Hobby zum Inhalt macht. Aber es ist auch ein sehr harter Beruf und man braucht physische und psychische Kraft. Aber es ist möglich, davon zu leben. Was das Höchste ist im Leben.
Dieser Artikel ist Teil des Dossiers: 2000-2020: 20 Jahre Interior & Design