Ferréol Babin: Der Löffelmann
Der französische Designer über die Mischung aus Konkretem und Spirituellem
Eigentlich kommuniziert der dreißigjährige Produktdesigner nur über soziale Netzwerke und drückt seine Gedanken lieber in handwerklichen Kreationen aus, anstatt sie in Worte zu kleiden. Für uns machte Ferréol Babin eine Ausnahme und erzählte uns, warum er sich mittlerweile als freischaffender Künstler bezeichnet, seinen Lebensunterhalt mit Löffeln verdient und es langweilig findet, die Zukunft zu planen.
Ferréol, ich hätte Sie gerne persönlich getroffen. Aber zum einen wäre es zu Ihrem Atelier an der Atlantikküste ein weiter Weg gewesen und zum anderen scheinen Sie gar nicht so scharf auf Besuch zu sein. (lacht) Da ist etwas Wahres dran. Ich bin tatsächlich lieber alleine. In der Gegenwart von Menschen fühle ich mich schnell unwohl. Deshalb bin ich auch hierhergezogen, wo es kaum Zivilisation, aber dafür ganz viel Natur gibt.
Dabei ist Ihr Lieblingsland Japan, wo es von Menschen doch nur so wimmelt. In Japan ist alles viel ruhiger, die Menschen gehen viel respektvoller miteinander um. Selbst in Tokio gibt es nicht diese Großstadthektik, die mich in Paris oder anderen Metropolen so verrückt macht. Dort habe ich sogar inmitten von Menschenmassen das Gefühl, genügend Privatsphäre zu haben. Ich mag in Japan aber auch die Landschaften und die Gerüche, die Geräusche und die Farben. Ich fühle mich mit dieser Kultur einfach tief verbunden.
In Japan haben Sie auch beschlossen, sich auf Objektdesign zu konzentrieren. Ich habe dort sieben Monate an der Kunst- und Designhochschule von Nagoya studiert. Eigentlich wollte ich Architekt werden und hatte bis dato in Frankreich immer nur gehört: Du bist bloß für die konzeptionellen Arbeiten zuständig, in der Produktion machen sich dann andere für dich die Hände schmutzig. In Japan habe ich jedoch gelernt, dass auch beides geht, und dabei vor allem für den handwerklichen Part eine richtige Leidenschaft entwickelt.
Wie ging es beruflich dann für Sie weiter? 2012 habe ich mein Studium an der École Supérieure d’Art et de Design (ESAD) in Reims abgeschlossen. Da stand für mich schon fest, dass ich allein arbeiten möchte. Selbst eine Stelle bei den Brüdern Bouroullec, die in meinen Augen die allerbesten Designer sind, hätte ich abgelehnt. Denn ich wollte von Anfang an meinen eigenen Weg gehen, ohne jeglichen Einfluss von anderen. Das war als Berufsanfänger natürlich sehr gewagt, aber zum Glück wurde FontanaArte auf meine Leuchte Lunaire aufmerksam, die Teil meiner Diplomarbeit war. Sie entwickelte sich zu einem richtigen Verkaufsschlager und wurde 2014 sogar vom Londoner Design Museum als Objekt des Jahres ausgezeichnet. Das hat mir natürlich viel Selbstvertrauen gegeben und den Einstieg ins Berufsleben sehr erleichtert.
Und wie lautet Ihre heutige Philosophie? Das ist sehr schwierig in Worte zu fassen. Ich drücke sie ja tagtäglich mit meinen Händen aus. Auf jeden Fall spiegelt sich in allen meinen Werken meine extrem komplexe Persönlichkeit wider, vor allem die ständige Gratwanderung zwischen Rationalität und Intuition, Brutalität und Raffinesse. Ich gebe mir auch immer mehr Raum zum Experimentieren und mache nur noch das, was mir Spaß macht. Mittlerweile betrachte ich mich viel mehr als freischaffenden Künstler und immer weniger als Industriedesigner.
Sie arbeiten aber auch erfolgreich mit Galerien und Unternehmen zusammen. Für Pulpo entwarfen Sie beispielsweise 2017 drei Modelle für die Kollektion Fabulously Awesome Tablescape. Das war ein absolut ideales Zusammenspiel, weil die Leute von Pulpo mich von Anfang an und in jeder Hinsicht verstanden haben. Ich musste kein einziges Mal einen Computer benutzen, sondern habe nur mit meinen Händen und ohne jegliche Vorgaben in meinem Atelier Skulpturen entworfen. Nach diesen Schablonen haben die Keramiker von Pulpo dann Stück für Stück die einzelnen Modelle hergestellt. Das hat hervorragend funktioniert, und es wird definitiv bald eine weitere Zusammenarbeit mit Pulpo geben. Mich persönlich hat es zudem in meiner Überzeugung bestärkt, dass gut verkäufliche Objekte nicht zwingend im 3D-Druck und millimetergenau hergestellt werden müssen.
Ihre eigene erfolgreichste Kollektion besteht dagegen ausschließlich aus Löffeln! (lacht) Ja, das hat sich so ergeben. Anfangs habe ich aus Spaß jeden Sonntag ein Stück Holz im Wald gesammelt und daraus einen Löffel geschnitzt. Als ich davon ein paar Fotos auf Instagram und Facebook stellte, wollten plötzlich immer mehr Leute diese Löffel kaufen. Mittlerweile kommt die Hälfte meiner Einnahmen aus diesem Business. Am schönsten finde ich aber, dass viele der Käufer selbst Designer sind. Darunter auch einige, die ich sehr schätze. Wenn beispielsweise Sebastian Herkner einen meiner Löffel kauft, ist das für mich eine unglaublich große Wertschätzung meiner Arbeit.
Was fasziniert Sie denn so an Löffeln? Es gibt sie in jeder Kultur, und sie haben so viel Symbolcharakter: Man kann sie zum Essen verwenden, zum Teilen und zum Mischen. Sie haben auch etwas sehr Ästhetisches: runde Formen, keine Ecken oder scharfen Kanten. Das hat für mich etwas Beruhigendes, fast Mütterliches. Und ich liebe die Tatsache, dass allein die Natur ihre Größe, Form und materielle Beschaffenheit vorgibt. Das macht jeden Löffel zu einem Unikat. Ich kann Stunden damit verbringen, an einem einzigen Stück Holz zu experimentieren, selbst wenn mir danach jedes Mal die Hände und der Rücken höllisch weh tun.
Haben Sie sich auch schon mal überlegt, welches Objekt in fünf Jahren Ihr Markenzeichen sein könnte? Nein. Das wäre doch furchtbar langweilig, wenn ich das heute schon wüsste oder planen würde. Das Interessante an meinem Metier ist ja gerade, dass ich hauptsächlich von meiner Intuition geleitet werde. Sie könnte mich in sehr unterschiedliche Richtungen treiben. Ich interessiere mich beispielsweise sehr für Musik, Gastronomie und Gartenarbeit. Ich brauche nicht zwingend die Atlantikküste als Inspirationsquelle, ich bin auch gerne in Griechenland. Denn dort wird mir jedes Mal wieder bewusst, dass die Natur viel stärker und freier ist als wir Menschen. Manchmal inspiriert mich aber auch eine bloße Momentaufnahme.
Inspiriert Sie dann auch unser momentanes Gespräch? (lacht) Ich merke tatsächlich, dass ich meine Arbeit und meine Persönlichkeit viel besser verstehe, wenn ich darüber rede. Das kommt ja, wie gesagt, recht selten vor, deshalb ist jedes gute Interview eine Art Auto-Psychoanalyse für mich. Als ich Ihnen am Anfang unseres Gesprächs beispielsweise die Bedeutung meines Vornamens erklärte, nach der Sie fragten, ist mir bewusst geworden, dass er wirklich wie maßgeschneidert zu mir passt: Ferréol ist ein extrem seltener Name und eine sinnbildliche Mischung aus Konkretem und Spirituellem, nämlich dem Material Eisen und Aiolos, dem griechischen Gott der Winde.