SANAA / Kazuyo Sejima & Ryue Nishizawa
Kazuyo Sejima und Ryue Nishizawa sind smarte Modernisten. Nach ihrem Architekturstudium an der Japan Women‘s University gründete Sejima (*1956) ihr eigenes Büro in Tokio, in dem Nishizawa (*1966) 1990 zu arbeiten begann. Der Absolvent der Yokohama National University stieg zum Partner des Büros auf, das 1995 in SANAA umbenannt wurde. Mit Projekten wie dem Rolex Learning Center in Lausanne, dem New Museum in New York oder dem Museum für Kunst des 21. Jahrhunderts in Kanazawa gehören sie zu den wichtigsten Protagonisten zeitgenössischen Bauens. Wir trafen Kazuyo Sejima und Ryue Nishizawa in Weil am Rhein und sprachen mit ihnen über Harmonie, Nachbarschaft und Größe.
Mit dem neuen Logistikzentrum auf dem Vitra-Campus in Weil am Rhein haben Sie Ihren ersten Industriebau realisiert. Erklären Sie uns, was es mit dem Gebäude auf sich hat.
Nishizawa: Unsere Idee war eine runde Form, die keinen präzisen, mathematischen Kreis bildet, sondern eher eine deformierte, organische Gestalt annimmt. Sie drückt Bewegung und Dynamik aus und springt bewusst aus dem Raster der anderen Fabrikgebäude auf den Campus.
Sejima: Der Baugrund ist fast einen Hektar groß. Ein Kubus mit glatten Wänden würde noch viel größer wirken. Auch für die angrenzenden Wohnhäuser wäre ein solcher Koloss keine gute Lösung gewesen. Wir wollten, dass das Gebäude trotz seiner Größe weder aggressiv noch mächtig erscheint. Es sollte sich vielmehr in die Landschaft integrieren.
Welche Erfahrungen haben Sie bei der Umsetzung gemacht? Waren die Bauvorgaben in Deutschland deutlich strenger als in Japan?
Nishizawa: Ich denke, dass die Auflagen in der Schweiz viel strenger sind als Deutschland. Das haben wir bei unserem Rolex Learning Center in Lausanne bemerkt.
Sejima: Das Faszinierende war, dass wir für die Fassade des Vitra-Gebäudes ein Zertifikat benötigten. Wenn man ein neues, oder sagen wir eher: ungebräuchliches Material wie weiße Kunststoffpaneele verwenden will, braucht man eine Freigabe von den Behörden. Darum haben wir erst ein Muster eingereicht und dieses testen lassen. In Japan geht man mit diesen Fragen sehr viel freier um – mit Ausnahme von öffentlichen Gebäuden. Auch bei ihnen gibt es viele Standards, die sich nicht flexibel auslegen lassen. Manchmal gewinnen wir den Kampf, manchmal verlieren wir ihn (lacht).
Nishizawa: Wir verlieren wirklich sehr viele Wettbewerbe. Zu viele.
Warum?
Sejima: Die Richtlinien von Wettbewerben sind sehr streng. Häufig sind unsere Skizzen nicht präzise genug, um die erste Phase zu bestehen. Wenn wir zur zweiten Phase eingeladen werden, geht es viel leichter. Dann können wir dem Kunden unsere Ideen mit Worten beschreiben, wofür es auf all die kleinen Details nicht ankommt. Viel wichtiger ist hierbei die Richtung eines Projektes. Das kommt auch unserer eigenen Arbeitsweise sehr entgegen. Wir versuchen, am Anfang nur die groben Umrisse zu skizzieren. Erst wenn wir den Wettbewerb gewonnen haben, beginnen wir mit der detaillierten Ausarbeitung. Bei vielen Ausschreibungen haben wir das Gefühl, dass man schon ein fertiges Gebäude einreichen muss.
2010 haben Sie, Kazuyo Sejima, die 12. Architekturbiennale von Venedig kuratiert, die unter dem Thema „people meet in architecture“ stand. Welche Rolle spielt der Mensch in Ihrer eigenen Architektur?
Sejima: Jedes Gebäude wird von Menschen benutzt. Und wir wollen, dass die Menschen gerne Zeit in unseren Gebäuden verbringen – ganz gleich, ob es sich um eine Fabrik, ein Wohn- oder Bürogebäude handelt. Natürlich besitzt jedes Gebäude seine Besonderheiten. Doch eine wichtige Aufgabe ist, dass die Architektur ihrer Umgebung dient und nicht für sich alleine steht. Darum ist es wichtig, Gebäude von innen heraus nach außen zu denken und nicht anders herum. Wir versuchen jetzt seit 25 Jahren, unsere Gebäude mit der Umgebung zu verbinden. Doch selbst eine Fassade aus Glas erzeugt noch immer nicht das Maß an Kontinuität, das wir erreichen wollen. An dieser Frage müssen wir immer noch arbeiten. (lacht)
An welchem Punkt in Ihrer Karriere haben Sie gemerkt, dass Sie von Ihrer Profession leben können?
Sejima: Ich kann mich noch gut daran erinnern, als wir 1999 die Wettbewerbe für das Kunstmuseum in Kanazawa und das Kulturzentrum in Almere gewonnen haben. Da dachte ich zum ersten Mal, dass wir die nächsten zwei Jahre überleben können. Dennoch ist die Zukunft immer noch unvorhersehbar. Wir denken immer noch darüber nach, wie wir morgen überleben werden.
Nishizawa: Im Moment haben wir 30 Mitarbeiter in unserem Büro, für die wir ständig neue Projekte brauchen. Vor fünfzehn Jahren waren wir nur zu fünft. Wenn man klein ist, kann man von zwei Aufträgen schon gut leben. Heute würde das nicht im Ansatz ausreichen. Darum nehmen wir jeden Monat an mindestens einem Wettbewerb teil.
Also wäre ein kleineres Team eher von Vorteil?
Sejima: Nicht unbedingt. Mitunter verlangen die Kunden mehr Mitarbeiter, damit man überhaupt zugelassen wird, an größeren Projekten teilzunehmen. Darum versuchen wir, die Größe von vierzig, fünfzig Angestellten immer beizubehalten. Selbst dann müssen wir unsere Kapazitäten genau koordinieren. Ein Großprojekt ist in Ordnung, wenn die anderen etwas kleiner sind. Für drei oder vier Großprojekte sind wir zu klein.
Was macht einen guten Raum für Sie aus?
Sejima: Ich denke, dass sich Räume nie für sich allein beurteilen lassen. Entscheidend ist vielmehr die Wahrnehmung von Kontinuität. Ein Raum kann eine Verbindung nach außen oder zu einem anderen Raum haben. Die Qualität der Beziehungen entscheidet über die Qualitäten des Raumes. Auch die Materialien spielen eine wichtige Rolle, weil es einen großen Unterschied macht, ob eine Wand aus Beton, Holz oder Stahl gefertigt ist. Selbst wenn die Oberflächen in derselben Farbe gestrichen sind und auf den ersten Blick gleich aussehen, kann der menschliche Körper die Unterschiede auf einer unbewussten Ebene fühlen.
Lässt sich die Kontinuität, von der Sie sprechen, auch als Schönheit bezeichnen?
Nishizawa: Schönheit ist für mich sehr visuell besetzt. Aber wir denken an mehr als nur das Visuelle. Wir wollen, dass unsere Räume für jeden offen sind. Natürlich hängt diese Frage von der Funktion des Gebäudes und der Haltung des Bauherrn ab. Ich bin mir aber nicht sicher, ob man das Schönheit nennen kann. Darüber haben wir bislang noch nie diskutiert. Ich denke, dass der Begriff Harmonie besser zutrifft. Wir wollen, dass unsere Gebäude ein harmonisches Verhältnis zwischen Architektur und Natur, Architektur und Mensch herstellen.
Viele japanische Architekturbüros sind in den Wiederaufbau nach den Zerstörungen des Tsunami im Jahr 2011 involviert.
Nishizawa: Wir arbeiten an einem Projekt auf einer kleinen Insel in Norden von Japan. Dort gab es vier Fischerdörfer, von denen drei zerstört wurden. Die Fischer sind mit uns in Kontakt getreten und haben uns gefragt, wie sich die Atmosphäre ihrer Dörfer wieder herstellen lässt. Es geht dabei um mehr als nur Gebäude. Auch den Wiederaufbau der Straßen, Strände und weiteren Infrastruktur sollen wir in unsere Überlegungen mit einbeziehen. Im Moment haben wir noch keine konkreten Entwürfe angefertigt, sondern diskutieren lediglich. Das ist ein sehr langfristiges Projekt, das wahrscheinlich nie ganz enden wird, weil es um eine Gemeinschaft geht. Das ist eine wirklich spannende Aufgabe.
Vielen Dank für das Gespräch.
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