The Haas Brothers
Die Designer-Brüder aus Los Angeles im Gespräch.

Nikolai und Simon Haas mögen es gerne haarig. Einen Namen haben sie sich als The Haas Brothers mit animalischen und sexuell aufgeladenen Möbeln gemacht. Hocker und Bänke werden von ihnen gerne mit Hörnern, Hufen, Brüsten und Hoden ausgestattet. Andere Entwürfe erinnern an seltsame Fantasiewesen mit gold-schimmernden Oberflächen. Wir trafen die 1984 in Los Angeles geborenen Zwillinge in Miami und sprachen mit ihnen über kulturelle Freiräume, spirituelle Einflüsse und die Suche nach Glück.
Nikolai und Simon, Möbel und Objekte treten bei Euch nicht als schweigsame Gesellen, sondern als selbstbewusste Charaktere in Erscheinung. Warum?
Nikolai: Natürlich ist es wichtig, sich mit funktionalen Dingen zu umgeben. Dagegen haben wir auch gar nichts einzuwenden. Dennoch wollen wir in eine emotionalere Richtung gehen. Unsere Arbeit ist eine anhaltende Therapie-Session, um mehr Freiheiten in der Gestaltung auszuprobieren. Sexualität und Humor spielen daher eine wichtige Rolle für uns. Wir wollen, dass die Leute zu schmunzeln oder zu lachen beginnen, wenn sie unsere Entwürfe sehen. Oder besser noch: Sie sollen sich in sie verlieben. Im Design wird heute die Gefühlsebene vollkommen ausgeblendet. Genau das wollten wir verändern. Wir wollen eine menschlichere Interaktion mit den Dingen des Alltags erreichen.
Simon: Wir sind zunächst nach Kapstadt gefahren, um einige frühere Arbeiten von uns zu zeigen. Vor Ort haben wir dann diese Frauen kennengelernt und uns gemocht. Also haben wir entschieden, zurückzukommen und mit ihnen zu arbeiten. Das Tragische ist, dass ihre wunderbaren Strickarbeiten nicht wirklich gewürdigt werden. Darum wollten wir unseren Haas Sisters eine Plattform geben, auf der sie ihre Stimmen als Künstlerinnen entwickeln können, ohne dass wir ihnen unsere eigenen Prinzipien auferlegen. Wir ließen ihnen nicht nur bei der Auswahl der Farben und Muster freie Hand. Auch die Gestaltung haben wir mit ihnen gemeinsam entwickelt.
Nikolai: Uns ist es wichtig, die Kunst der Xhosa-Frauen aus dem üblichen Kontext der Touristenmärkte herausrücken. Darum hatte dieses Projekt zunächst nichts mit Ästhetik zu tun. Es ging darum, Objekte zu kreieren, die Botschafter für einen kulturellen Austausch sind. Die Grundvoraussetzung war, dass wir den Frauen finanzielle Unterstützung gaben und so die Freiheit des Experiments.
Also Arbeiten ohne kommerziellen Druck anzufertigen...
Simon: Genau. Wir wollten weg von den Dingen, die sie normalerweise für die Märkte anfertigen. Denn diese Sichtweise engt automatisch ein. Ein gutes Beispiel sind die haptischen und dreidimensionalen Oberflächen aus der Afreaks-Kollektion. Wenn die Frauen Souvenirs für zwanzig oder dreißig Dollar verkaufen wollen, haben sie keine Zeit, an solch aufwändigen Texturen zu arbeiten. Darum sind die Arbeiten für die Touristenmärkte sehr flach gestickt. Indem wir den Frauen mehr Spielraum gegeben haben, konnten sie plötzlich all die Dinge ausprobieren, die ihnen durch den Kopf gingen. Dieser Prozess war spannend, weil sie in eine Kreativität vorgedrungen sind, die lange im Verborgenen lag oder bisher nicht ausgelebt werden konnte. Im Grunde haben wir nur den Deckel geöffnet und herausgelassen, was darunter schlummerte.
Inwieweit findet hier eine Verschiebung der Perspektive statt? Schließlich ist die Hintergrundgeschichte mindestens genauso wichtig wie die fertigen Arbeiten.
Simon: Ich würde sagen, dass die Geschichte sogar viel wichtiger ist. Natürlich funktionieren die Dinge auch für sich. Doch erst die Geschichte macht sie wirklich interessant. Wir versuchen daher, möglichst transparent zu sein und zu zeigen, wer genau an welchem Objekt gearbeitet hat. Wir wollen auf diese Weise auch die klassische Auffassung von Urheberschaft hinterfragen. Schließlich hätten wir keinen Entwurf aus dieser Kollektion ohne die Unterstützung der Haas Sisters anfertigen können. Unsere und ihre Arbeit sind untrennbar verbunden.
Worin besteht das Ziel von Euren Arbeiten: Wollt Ihr die Menschen glücklich machen?
Nikolai: Ich denke schon. Als wir unser Studio gegründet haben, diskutierten wir lange darüber, in welche Richtung wir es entwickeln wollen. Ein Argument war, dass wir Erfolg nicht nur an Geld und Größe messen wollen, sondern tatsächlich am Glücklichsein. Das ist alles, was zählt. Um glücklich zu sein, muss man dieses Glück mit anderen teilen. Wir sind mittlerweile an einem Punkt angelangt, an dem wir das tun können. Glück als einziges Ziel zu definieren, ist zugleich sehr befreiend. Denn man kann alles machen und verändern.
Wie funktioniert die Arbeit in Eurem Studio in Los Angeles?
Simon: Unser Team besteht aus elf Leuten, die fest für uns arbeiten. Das Studio ist in einer großen Lagerhalle mit knapp 1.000 Quadratmetern. Jeder hat dort seinen eigenen Raum und kann sich nach Belieben breit machen. Wir setzen uns bei jedem Projekt immer wieder zusammen und sprechen über die nächsten Schritte. Dieser kommunikative Prozess ist uns sehr wichtig. Es geht nicht darum, dass Niki und ich alles bestimmen und alles besser wissen. Es gibt immer Situationen, in denen uns unsere Leute sagen, was sie für falsch halten und welche Lösung sie bevorzugen würden. Und in achtzig Prozent der Fälle stimmen wir ihnen zu. Es ist also keine Diktatur. Wir lassen unsere Mitarbeiter sogar am Wochenende oder nachts an ihren eigenen Entwürfen arbeiten.
Simon: Wir mögen die Idee, dass unser Studio eine Plattform oder eine Art Sprungbrett ist. Wir arbeiten normalerweise nur vier Tage in der Woche. Dennoch ist fast immer jemand da – ganz gleich zu welcher Uhrzeit. Unser älterer Bruder ist Musiker und hat gerade ein analoges Aufnahmestudio bei uns eingebaut. In der Nacht werden also noch mehr Leute dort sein, um Musik zu machen und Platten aufzunehmen. Auch unser Vater arbeitet mit uns. Er ist Bildhauer und hat uns beigebracht, mit Stein zu arbeiten.
Das klingt nach einer großen, glücklichen Gemeinschaft.
Simon: Das ist es auch. Unsere Eltern sind zwar schon in Rente. Doch als wir für unsere Arbeiten Hörner brauchten, meinte unser Vater: „Ich kann das für euch machen!“ Heute fertigt er die Hörner sämtlicher Figuren an. Das ist so lustig, weil er darin völlig aufgeht, obwohl er so etwas noch nie gemacht hat. Wer hätte das vor drei Jahren gedacht? (lacht) Es ist schön, dass er von Zeit zu Zeit ins Studio kommt und an Dingen arbeitet, die ihm gefallen. Das überträgt sich auch auf alle anderen. Wer glücklich ist, steckt andere damit an.
Wie teilt Ihr die Arbeit untereinander auf? Macht jeder alles oder gibt es klare Aufgaben?
Simon: Ich kümmere mich vor allem um Materialrecherchen. Auch sind Oberflächen ein wichtiges Thema für mich. Niki bestimmt die Formen und zeichnet alles. Doch ganz so linear läuft es nie ab. Wir sprechen ständig miteinander und entwickeln alles gemeinsam voran. Die Hälfte unserer Zeit sitzen wir im Studio und machen Witze (lacht).
Wie sehen Eure nächsten Schritte aus?
Simon: Wir denken über unser Studio als eine Art eigenes Ökosystem nach, das von verschiedenen Tier- und Pflanzenarten bevölkert wird. Wir haben nun ein breites Spektrum an Arbeiten und können überlegen, ob wir ein älteres Projekt aufgreifen und weiterentwickeln oder etwas vollkommen Neues machen. Entscheidend ist, dass sich die nächsten Schritte natürlich anfühlen.
Nikolai: Wir bereiten gerade zwei Ausstellungen vor, die sich um die Themen Familie und Animismus drehen werden – also die Vorstellung, dass auch Bäume eine Seele haben. Wir werden sehr viel lichtbasierte Arbeiten machen und eine Dschungelatmosphäre kreieren. Dinge, die wachsen und funkeln, interessieren uns im Moment sehr. Im Februar werden wir die Afreaks-Kollektion in der Cooper Union in New York zeigen. Zur Eröffnung fahren wir zusammen mit fünf Haas Sisters. Da freuen wir uns jetzt schon drauf (lacht).
Vielen Dank für das Gespräch.
The Haas Brothers
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