Das Automobil in der Vitrine
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Kastenähnliche, schlecht beleuchtete Autohäuser, arrogante und desinteressierte Verkäufer sind passé. Wer heute Autos verkaufen will, muss einiges dafür tun und erst einmal jede Menge Geld investieren. Nachdem andere Automobilhersteller wie Audi, Volkswagen, Mercedes-Benz oder Toyota schon längst eines haben, zieht nun auch der bayerische Autobauer nach. Worum es geht? Die Rede ist von einem Marken-Erlebnis- und Auslieferungszentrum, auch Brandland genannt. Branding bedeutet Markenbildung zur Generierung eines immateriellen Mehrwertes, durch den öffentliche Aufmerksamkeit erzielt werden kann. Und was könnte eine Marke und ihre Aura eindrücklicher versinnbildlichen als Architektur, Kunst oder Design, zumal in Zeiten sich technisch angleichender Produkte? Architektur hat dabei nicht nur einen praktischen Zweck zu erfüllen, ihr wohnt auch eine besondere Bildhaftigkeit und Einprägsamkeit inne – sinnfällig gerade in der auffälligen BMW-Welt-Architektur von CoopHimmelb(l)au mit seiner erstaunlichen Formenkomplexität von Kurven, Winkeln und Linien.
Wie das Automobil immobil wurde
Die Allianz zwischen Automobil und Architektur beginnt spätestens in den 1920er Jahren, als Architekten wie Le Corbusier und Designer oder Raymond Loewy und Norman Bel Geddes begannen, sich für das Automobil zu interessieren. Sie wurden entweder direkt für die Automobilhersteller tätig oder übernahmen Materialien und Fertigungsweisen aus dem Automobilbau. Das Automobil generierte aber auch neue Gebäudetypen wie Parkhäuser, Waschanlagen, Autohäuser oder eben Brandlands. Bei der Errichtung von Bauten für die Automobilindustrie setzen die Unternehmen derzeit überraschend oft auf sogenannte „Star“-Architekten wie Norman Foster oder UN Studio. So auch BMW. Bereits seit den 1970er Jahren spielt die Architektur in der Selbstdarstellung des Unternehmens eine wichtige Rolle. Für den Bau des Zentralgebäudes des neuen Werkes in Leipzig, das 2005 eröffnet wurde, engagierte das Unternehmen Zaha Hadid, der Auftrag für den Bau der BMW Welt ging an das Wiener Architekturbüro CoopHimmelb(l)au.
Die Inszenierung der Fahrzeugübergabe oder Das Auto als Fetisch
CoopHimmelb(l)aus Entwurf für die BMW Welt ist aus einem im Jahr 2001 ausgelobten Architekturwettbewerb hervorgegangen. In einem international offenen Verfahren wurden in einer ersten Auswahlrunde 27 Teilnehmer ausgewählt, Entwürfe anzufertigen. Darunter befanden sich so renommierte Architekten und Architekturbüros wie Zaha Hadid, Morphosis, MVRDV, Sauerbruch Hutton Architekten, Jürgen Mayer H. oder Dominique Perrault. Die Leitworte der Auslobung für die Bauaufgabe lauteten „dynamisch, herausfordernd und kultiviert in Verbindung mit Freude“. Sie sind angelehnt an die Kernbotschaften der Marke BMW, die mit den Schlagworten „Dynamik“, „Technikaffinität“ und „Ästhetik“ zu umschreiben ist, wohingegen der BMW-Marken-Claim „Freude am Fahren“ verspricht. Besonders wichtig war dem Unternehmen der Premium-Charakter der Architektur, der sich aus dem Premium-Charakter der Automobile herleitet. Dabei spielt auch der Standort der BMW Welt eine wichtige Rolle: Die Nähe zum Münchner Stammwerk verspricht Authentizität und will Zeichen setzen im Münchner Stadtbild.
Die BMW Welt soll die Fahrzeugübergabe für bis zu 250 Kunden täglich zu einem unvergesslichen Erlebnis werden lassen. Aber auch der „normale“ Besucher soll sich amüsieren und dabei die "Welt" des Unternehmens kennenlernen mittels (Wechsel-)Ausstellungen, Veranstaltungen, Gastronomie- und Shopping-Möglichkeiten. Das Gebäude liegt auf einem 25.000 qm großen Grundstück und ist als städtebauliche Einheit von BMW Hochhaus und Museum von Karl Schwanzer aus den 1970er Jahren zu verstehen. Die BMW Welt vermischt die Funktionsbereiche Auslieferung, Repräsentation und Unterhaltung – diesem Konzept musste auch die Architektur Rechnung tragen. Dort präsentieren sich sämtliche Produkte und Leistungen der Marke BMW: Automobile, Motorräder, Teile und Zubehör sowie Accessoires. Architektonisch zeichnet sich das Gebäude durch schräg gestellte und in sich verdrehte Baukörper aus – eine gerade Wand ist fast nirgendwo zu finden. Es scheint, als wären Geschwindigkeit und Fahrdynamik der Automobile in Architektur umgesetzt wurden. Denn Architektur für Automobile hat ja gerade das Paradox zu bewältigen, dass Automobile hier – entgegen ihrer eigentlichen Bestimmung – nur immobil, wie in einer Ausstellungsvitrine, präsentiert werden können.
Ein Dach wie eine Wolke
In der BMW Welt spielt die räumliche Offenheit und Flexibilität durch die Umsetzung des „Marktplatz“-Gedankens eine grundlegende Rolle. So besteht die Entwurfsidee des Gebäudes aus einer dynamisch geformten skulpturalen Dachlandschaft von 16.000 qm Größe – einer Wolke ähnlich –, die sich aus einem 30 Meter hohen Doppelkegel entwickelt, der gleichzeitig Hauptauflager des Daches ist. Das Zentrum des Gebäudes stellt die, nur den Käufern zugängliche „Premiere“ genannte Auslieferungszone im ersten Obergeschoss dar. Über dieser Zone sind in den Verformungen des Daches zahlreiche Räume untergebracht, so beispielsweise die Abholerlounge. Der Doppelkegel besteht aus zwei Ebenen, die durch eine sieben Meter hohe, medial bespielbare Wendeltreppe miteinander verbunden werden. Das Konferenzzentrum mit Foyer, Auditorium und Terrassen bildet das Pendant zum Kegel. Für die breite Öffentlichkeit zugänglich sind das Erdgeschoss mit der großen Halle, Geschäften und Bistros sowie die beiden Restaurants in den Obergeschossen. Im Unterschied zur Volkswagen Autostadt und zum Audi Forum, in denen jeder Bereich öffentlich zugänglich ist, verfolgt BMW – ähnlich wie Volkswagen mit der Gläsernen Manufaktur in Dresden – entsprechend der Positionierung der Automobile ein elitäres Architekturkonzept. Ob dieses Konzept auch in der alltäglichen Praxis funktioniert, wird sich erst noch zeigen.
Die BMW Welt wird nach vier Jahren Bauzeit am Wochenende vom 20./21. Oktober 2007 für das Publikum eröffnet. Ab dem 23. Oktober beginnt dort der Regelbetrieb, bei dem die Automobile mittels einer festgelegten Inszenierung an den Kunden ausgeliefert werden.
Im Wiener Museum für Angewandte Kunst (MAK) findet vom 12.12.2007 bis zum 11.05.2008 die Ausstellung "CoopHimmelb(l)au - Beyond the Blue" statt, die sich eingehend mit der BMW Welt beschäftigt.
Links
BMW Welt
www.bmw-welt.comBMW Museum
www.bmw.com/com/de/insights/historyProjektarchitekten
Coop Himmelb(l)au
Interview Wolf D. Prix / CoopHimmelb(l)au
www.designlines.deMehr Projekte
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