Die perfekte Zelle
Zehn anpassungsfähige Quadratmeter, gestaltet mit Insassen eines umbrischen Gefängnisses.
Lösungen für kleine Räume gibt es viele. Der Weg zum spärlichen Wohnmodul Freedom Room hingegen war einigermaßen ungewöhnlich. Um die optimale funktionale Aufteilung zu finden, konsultierten die Initiatoren des Forschungsprojektes Menschen, die sich mit dem Leben auf wenigen Quadratmetern nur allzu gut auskennen: die Insassen des italienischen Gefängnisses Spoleto.
Design steht im Gefängnis nicht unbedingt auf der Tagesordnung. Das soziale Projekt Comodo aber bringt Produktgestaltung und Grafikdesign in Italien hinter Gitter. Die Kooperative bildet im Hochsicherheitsgefängnis Spoleto in Umbrien Bewohner im Kreativbereich weiter. Gleich nebenan werden in der Schreinerei des Gefängnisses Möbel für die anderen Anstalten Italiens gefertigt. Eine Kombination, die Aldo Cibic, Tommaso Corà und Marco Tortoioli Ricci vom Designforschungszentrum Cibicworkshop auf einen ungewöhnlichen Gedanken brachte: Warum nicht die Macher und gleichzeitig Nutzer der Möbel mit ihrer Gestaltung beauftragen – und mit den Erkenntnissen auch außerhalb der Mauern praktisch-schöne Wohnzellen ausstatten?
Improvisation im Alltag
Seit 2009 arbeiten Comodo und Cibicworkshop zusammen, immer mit dem Bestreben, Einsatz und Wirkung einer Designpraxis hinter Schloss und Riegel zu erforschen. Als sich innerhalb einer Arbeitsgruppe eine Diskussion über das Leben mit geringen Mitteln, multifunktionale Möbel und flexible Räume entspann, war das der Startschuss für Freedom Room. Die Insassen handeln dabei nicht nur als Gestalter, sondern auch als Erforscher ihrer eigenen Gewohnheiten. Im Gefängnis ist Improvisation alltäglich, wenn die beschränkten Mittel uminterpretiert und die bereitgestellte Grundausstattung individualisiert wird.
Kompakte Organisation
Von der Zelle als abgeschlossenem Wohnsystem ausgehend, entwickelte sich die Idee eines Raumes, der Küche, Wohnzimmer, Büro, Spielzimmer, Bad, Fitnessbereich, Bibliothek sein kann. Ein Raum, der den Aktivitäten seines Bewohners dynamisch folgt, in dem vielleicht der Stuhl zum Ofen wird, der Tisch zum Sportgerät oder eine Dose zur Antenne. Auf Basis einer tatsächlichen Gefängniszelle mit den Maßen 4 mal 2,7 Metern haben die Bewohner zusammen mit Cibicworkshop ein Wohnmodul entwickelt, das nicht nur das eigene Leben anspricht, sondern auch als innovativer Vorschlag für jede andere räumlich begrenzte Lebenssituation zu verstehen ist. Das kann eine dauerhafte Nutzung durch ein Hotel, Hostel oder ein Studentenwohnheim sein, aber auch ein temporäres Werkzeug zur Revitalisierung brachgefallener Flächen. Hier könnte das Prinzip des Freedom Room als Modul innerhalb industrieller oder kommerzieller Flächen eine neue Sozialdynamik initiieren und die positive Entwicklung eines Viertels fördern – so die Initiatoren.
Soziale Innovation
Noch ist Freedom Room ein Prototyp im originalgetreuen Maßstab, der als hyperfunktionale Raum-im-Raum-Installation Besuchern seine Möglichkeiten vorstellt. Mit Blick auf den anziehenden Wohnraummarkt oder Flüchtlingslager gibt er eine Idee davon, wie kluge Ansätze auf Krisen antworten können. Für die Insassen von Spoleto, die mit dem Projekt auch ihren eigenen Traum vom Wohnen gestaltet haben, würde die Serienproduktion in den eigenen Werkstätten dann nicht nur bedeuten, dass sie die eigenen Entwürfe bauen, sondern dass sie vielleicht auch darin leben.