Hang zu Beton
Ein Betonmonolith als Schutzhütte, in dessen Mitte sich ein halbes Leergeschoss schneidet.

Es ist ein Imperativ: Dem Hang zum massiven Beton können Architekten in Vorarlberg nur schwer entkommen; bei Marte.Marte Architekten ist dieser Drang besonders ausgeprägt. Bei ihrem aktuellen Projekt, einer Schutzhütte im Laternsertal, mussten sie für ihr Lieblingsmaterial zunächst kämpfen – die Bauherren hatten sich ein Haus aus Naturstein gewünscht. Dabei wird in den Bergen doch immer noch traditionell aus Holz gebaut...
Wenn die Architekten selbst in Beton wohnen, sind alle Argumente gegen minimalen Betonpurismus partout entwaffnet – vor allem, wenn sie eine Schutzhütte in Bergen bauen sollen: eine Kapsel in der alpinen Wildnis, ein Rückzugsort als Schutz vor Wind und Wetter abseits bewohnter Gebiete. Für die Schutzhütte in Laterns stand Beton zunächst gar nicht zur Diskussion. „Das Haus sollte aus Naturstein sein und eine hübsche Sonnenterrasse haben“, erinnert sich der Architekt Stefan Marte – der sich übrigens selbst als „überzeugten Denker in Beton“ bezeichnet – an die Wünsche seiner Bauherren.
Das gebaute Resultat an dem steil abfallenden Hang mit Blick auf Berge und Wald sieht anders aus. Die dicken Mauern der Schutzhütte sind aus gestocktem Beton, in der Mitte schneidet sich ein halbes Leergeschoss diagonal in den Betonmonolithen. Je nach Perspektive erlauben die Einschnitte über Eck einen Blick durch den homogenen Kubus in die verschneite Berglandschaft.
Neben der Schutzhütte von Marte.Marte Architekten stehen alte Berghütten aus Holz. Auch heute noch wird in den Vorarlberger Bergen traditionellerweise in Holz gebaut. „Hier kommt hingegen ein anderer Archetyp zum Einsatz“, erklärt Architektin Marina Hämmerle. „Ein Turm in Beton gegossen, wenige Öffnungen rahmen den Blick aufs Wesentliche, der Hang bleibt unverändert, die schöpferische Geste ist klar und unmissverständlich.“ Für die österreichischen Architekten soll sich das Gebaute vom Naturraum absetzen und einen Kontrapunkt setzen. „Hier manifestiert sich der Mensch und respektiert das, was ihn umgibt.“ Marte.Marte sind radikal regional, eben nur anders, als man denken würde.
Zehn Meter hoch, auf einem Grundriss von fünf mal fünf Metern und sieben quadratische Öffnungen, die sich in den Beton schneiden: Es ist eine strenge Architektur, die Schutzhütte soll allen vorstellbaren Naturgewalten trotzen. Anders als glatter Sichtbeton verleiht der gestockte Beton der Schutzhütte eine raue Hülle und lässt sie noch robuster erscheinen. Zusätzlich wurde die Fassade mit Hilfe von Schremmhämmern nachträglich so bearbeitet, dass sie von weitem betrachtet auch aus Naturstein bestehen könnte.
Wie schon bei anderen Projekten, verbinden Marte.Marte auch hier Innen und Außen durch eigenwillige Kniffe. Auf einer Ebene wird der Betonturm durchstoßen, der introvertierte Bau öffnet sich zur Landschaft. Anders als ein Patio, der sich zum Himmel öffnet, ist dieser Außenraum überdacht und teilweise von Wänden umschlossen – also quasi über zwei Ecken vor Wind geschützt.
Kloster und Burg – Behaglichkeit in Beton
Kann denn Beton ähnlich gemütlich sein, wie eine Bilderbuch-Berghütte aus Holz mit Satteldach, Kamin und Schornstein, wird der Bauherr gedacht haben, als die Architektenbrüder Bernhard (1966) und Stefan (1967) Marte von ihrer Leidenschaft für Beton schwärmten und gegen den gewünschten Naturstein (teurer) argumentierten. Im Inneren haben die Architekten die Schutzhütte so spartanisch wie möglich, so gemütlich wie nötig ausgestattet. Neben der formalen Gestaltung lässt die Kombination von glattem Sichtbeton an den Wänden, warmer Eiche an den Böden, Treppen, Fenster- und Türrahmen das Faible von Marte.Marte für Burgen und Klöster erahnen. Die harten, archaischen Räume werden durch warmweiche Oberflächen zu kontemplativen Orten. Als dritte Komponente ergänzt dieses Duo aus Beton und Holz ein geschliffener Estrich, der in den Bäder und Toiletten zum Einsatz kam.
Als „kein leichtgewandiges Ferienhaus, sondern eine über Generationen wirksame Rückzugsstätte“ beschreiben Marte.Marte ihren Turm am Berg. Der Besitzer dieser Schutzhütte kann froh sein, dass ihn die Architekten zu Beton verführt haben: Aus gutem Grund hat sein Haus in diesem Jahr den German Design Award 2014 gewonnen.
FOTOGRAFIE Marc Lins
Marc Lins
Projektarchitekten
Marte.Marte Architekten
Mehr Projekte
Camden Chic
An- und Umbau eines ehemaligen Künstlerateliers von McLaren.Excell

Aus Werkstatt wird Wohnraum
Umbau im griechischen Ermionida von Naki Atelier

Londoner in der Lombardei
Tuckey Design Studio verwandelt ein Wohnhaus am Comer See

Zwischen Stroh und Stadt
Nachhaltiges Wohn- und Atelierhaus Karper in Brüssel von Hé! Architectuur

Flexibel zoniert
Apartment I in São Paulo von Luiz Solano

Freiraum statt Festung
Familienhaus mit Innenhof in Bangalore von Palinda Kannangara

Kork über Kopf
Umbau eines Penthouse mit Korkdecke von SIGLA Studio in Barcelona

Drei Pavillons für ein Familiendomizil
Australisches Wohnhaus von Pandolfini Architects und Lisa Buxton

Ein Haus der Gegensätze
Kontrastreicher Neubau nahe Barcelona von Ágora

Die Magie der Entgrenzung
Luftiger Neubau Casa Tres Patis von Two Bo in Spanien

Raumsequenzen in der Grotte
Casa Gruta in Mexiko von Salvador Román Hernández und Adela Mortéra Villarreal

Altes Haus im neuen Licht
Familienwohnung von Jan Lefevere in Kortrijk

Mehr Platz fürs Wesentliche
Umbau eines Backstein-Cottage in London von ROAR Architects

Raum-Chamäleon
Flexibel nutzbarer Anbau in Brisbane von Lineburg Wang

Wohnräume mit Tiefgang
Innenausbau einer Villa am Rhein vom Düsseldorfer Studio Konture

Holz und Stein im alpinen Dialog
Apartmenthaus Vera von atelier oï und CAS Architektur in Andermatt

Haus mit zwei Gesichtern
Umbau eines Reihenhauses in Lissabon von Atelier José Andrade Rocha

Umbau am offenen Herzen
Ply Architecture transformierte einen Sechzigerjahre-Bungalow in Australien

Reise in die Vergangenheit
Studio Hagen Hall gestaltet ein Londoner Reihenhaus im Mid-Century-Stil

Downsizing als Designprinzip
Kompaktes Wohnhaus in Portugal von Atelier Local

Der Reiz der Reduktion
Innenarchitekt Ilkka Palinperä gestaltet ein Wohnhaus bei Helsinki

Authentische Askese
Apartment-Rückbau in Paris von Atelier Apara

Umbau im Anbau
Gianni Botsford erweitert Fosters Londoner Frühwerk

Visionen vom Wohnen
Design-Apartments auf der MDW 2025

Mit Ecken und Kurven
Umbau eines Reihenhauses in London von Pensaer

Raw in Rio
Von Säulen geprägter Wohnungsumbau von Estudio Nama

Nostalgie nach Mass
Belgravia Townhouse von Child Studio

Grobe Perfektion
Symbiose aus Beton und Holz in einem Apartment in Tokio von Kenta Hirayama

Appetitliches Apartment
Wohnungsumbau von Iva Hájková Studio in Prag

Raumwunder in Porto
Umbau eines portugiesischen Mini-Häuschens von Spaceworkers
