Projekte

Hippietraum in Nimmerland

von Katja Neumann, 08.12.2009


Die Balearen-Insel Ibiza lebt noch heute vom Mythos des urwüchsigen Hippie-Paradieses, als Ort der Toleranz, der wilden Parties und der freien Liebe fernab gesellschaftlicher Konventionen und Regeln. Selbstredend hat sich jedoch seit den sechziger Jahren auch auf Ibiza Vieles verändert: Die vermeintlich in Höhlen hausenden New Age-Anhänger leben inzwischen in ihren eigenen Fincas und die „Hippiemärkte“ gehören zu den Touristenattraktionen der Insel, wo vielfach Kunsthandwerk, Schmuck und Kitsch aus Massenproduktion angeboten wird. Dennoch haftet Ibiza das Image an, hier seine noch alternative Lebensformen möglich – die kommunenartige Gemeinschaft, der Einklang mit der Natur, die Loslösung von gesellschaftlichen Normen. Diese Gedanken griff 2007 das spanische Architekturbüro um Andres Jaque auf und ließ den ursprünglichen Hippietraum Gestalt annehmen – in Form eines Hauses mit dem klangvollen Namen „Never Never Land“, das im Herbst dieses Jahres fertig gestellt wurde.

Malerisch oberhalb des Calla-Vadella-Tals gelegen, sieht Architekt Andres Jaque das Haus in einer Vermittlerrolle zwischen den Ansprüchen der Menschen an eine moderne Wohnumgebung und der unberührten Natur – Architektur dient hier als Bindeglied zwischen technischem Fortschritt und sozialen Verbindungen.

Erst die Natur, dann die Architektur

Ausgangspunkt für das Projekt war ein rund 1.300 Quadratmeter großes Gelände auf einem abschüssigen Hügel. Über das starke Gefälle fällt der Blick auf eine fast unberührte Landschaft mit durchgehender Vegetation, in der nur wenige Gebäude zu finden sind.
Der eigentliche Entwurf des Gebäudes begann für das Architektenteam damit, jeden Baum und jedes Gebüsch auf dem Grundstück zu katalogisieren und auf einer Karte zu verzeichnen, damit sich die Konstruktion an die Gegebenheiten anpassen kann – und nicht umgekehrt. So nutzt das Gebäude nun bewusst den Platz zwischen den Bäumen, die wiederum in die Architektur integriert sind und durch das Gebäudeinnere „fließen“. Mehr als 80 Prozent der Bausubstanz sind auf Stützen errichtet. Diese Aufteilung ist einer Reihe von konzeptuellen Vorbedingungen geschuldet, die vor dem Baubeginn im vergangenen Jahr vom Architektenteam festgelegt worden waren: Höchste Priorität hatte die Erhaltung der natürlichen Umgebung, die als Basis der Architektur dienen sollte.

Innenräume für die Gemeinschaft


Doch nicht nur die Schonung der natürlichen Umgebung stand im Mittelpunkt des architektonischen Konzepts. Auch die konventionelle Raumaufteilung wurde in Frage gestellt und der Gedanke eines gemeinschaftlichen und freien Zusammenlebens auch in der Zimmeraufteilung umgesetzt. „Wir haben uns entschieden, einen Raum im Haus zu erschaffen, der hochgradig veränderbar ist. Ein Bereich, der im Grunde aus zwei identischen Zimmern besteht, zwischen denen ein offener Lebensraum liegt“, so die Architekten. Die klassische räumliche Organisation aus Wohnraum und Schlafzimmern ist in Never Never Land nicht zu finden. Stattdessen sind die Bewohner angehalten, die Räume frei für ihre Bedürfnisse zu nutzen und die Funktion der Zimmer miteinander kooperativ auszuhandeln. Dieses Aushandeln sehen die Architekten als experimentellen Lösungsprozess, jede vorgefasste Struktur des sozialen Zusammenlebens in Frage zu stellen. So bleibt im doppelten Sinne immer eine Tür offen.
Das Haus soll als freundliche Landschaft betrachtet werden, in der sich jeder Bewohner frei entfalten kann. So sind die Innenräume beispielsweise derart ausgestattet, dass man schlafen kann, wo immer einem die Augen zufallen. Für das gemeinschaftliche Leben dient eine große „Versammlungs-Küche“ und auch eine Mini-Diskothek findet sich in Form eines „Klangraums“. Und wenn einem doch mal alles zu viel wird, so gibt es schließlich noch eine Kammer, die dazu dient, die Welt draußen einfach mal auszuschließen.

Ökosystem erhalten

Beim Bau des Hauses auf Ibiza stand von Anfang an außer Frage, dass der natürliche Baumbestand in seinem ursprünglichen Zustand erhalten bleiben soll, da dieser vielen Tierarten einen Lebensraum bietet. Ein weiterer Aspekt ist auch die Luftqualität, die durch die Bäume erheblich verbessert wird. Außerdem trägt der Baumbestand zur Verstärkung des Unterholzes bei. Das Unterholz dient der Erhaltung der natürlich Kreisläufe: Abgestorbene Pflanzenteile müssen zerfallen können und dienen dadurch den nachwachsenden Pflanzen als Dünger. Den Architekten war daher klar, dass möglichst kaum Büsche und Gehölz entfernt werden dürften. So wird die auf dem Boden lebende Flora und Fauna nicht durch Pflasterung, Saat und zusätzliche Bewässerung gestört oder verändert.

Verwachsen mit dem Erdreich

Die natürliche Wasserdurchlässigkeit des Bodens zu erhalten, war ebenfalls eine der Vorbedingungen. Um zu verhindern, dass das Abwasser des Hauses in den Boden fließt und damit zu viel Feuchtigkeit ins Unterholz eingebracht wird, wurde ein Wassertank gemeinsam mit der Abfallentsorgung in einem kompakten, verstärkten Betonhohlraum in der Erde untergebracht. Die durch das Fundament und den Betonkörper verdrängte Menge an Erdreich wurde an verschiedenen Stellen an der Außenhaut des Gebäudes wieder aufgeschüttet und mit einer wasserspeichernden Substanz behandelt. Diese stellt fast den gleichen Feuchtigkeitsgehalt wieder her, wie er im Originalerdreich in der Tiefe des Bodens vorherrscht. Nach einer Anpassungsphase wird der Boden, der quasi in das Gebäude integriert ist, wieder zu einem Lebensraum für die Pflanzen und Tiere, die in und von dem Erdreich gelebt haben, bevor sie durch die Bauarbeiten am Haus gestört wurden. So wird das Haus im Laufe der Jahre zunehmend mit seiner Umgebung „verwachsen“ und ermöglicht seinen Bewohnern ein komfortables Leben im Einklang mit der Natur.

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Links

Andres Jaque Arquitectos

www.andresjaque.net

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