Hongkongs neue Oberflächlichkeiten
Überbordender Luxus? Nichts da! Ein Hotel mit Understatement in Hongkong.
Überbordender Luxus? Nichts da! In Hongkong hat ein Hotel eröffnet, das ausnahmsweise mal nicht protzt, sondern das Understatement feiert. Das Architektur- und Designbüro Design Systems setzt im Tuve auf die Oberflächenqualitäten von Materialien wie Beton, Messing und Holz, auf eine strenge Linienführung und die atmosphärische Wirkung von Licht.
Das Hotelbusiness in Hongkong ist hart. Zahlreiche Fünf-Sterne-Hotels – darunter Klassiker wie The Pensinsula, Four Seasons ode Ritz-Carlton – buhlen gemeinsam mit kleinen, gestalterisch ambitionierten Boutiquehotels um die Gunst des anspruchsvollen Reisenden. Anders als in Europa sind hier Hotels immer auch beliebte Treffpunkte der einheimischen (High)Society, sei es zum Plausch im Restaurant oder für einen Besuch im elaborierten Spa.
Melancholia
Das Tuve Hotel hebt sich heraus aus dieser illustren Reihe. Auch, weil es etwas abseits vom Geschehen auf Hongkong Island liegt: östlich vom Victoria Park in Tin Hau, einem noch ursprünglich erhaltenen Stadtviertel, das durch eine aufstrebende Gastronomieszene von sich reden macht. Nicht weit entfernt: Causeway Bay mit seinen Einkaufsstraßen, Nachtmärkten und Shopping Malls. In relativer Beschaulichkeit, in einer kleinen Nebenstraße also hat sich das Boutiquehotel eingerichtet. Sein ungewöhnlicher Name hat seinen Ursprung übrigens in Dänemark: Der Hotelbesitzer mag die Arbeiten des zeitgenössischen dänischen Fotografen Kim Høltermand, der neben Architektur vor allem Landschaften des Nordens fotografiert. Stille einsame Seen wie den schwedischen Tuve beispielsweise. Die düster-melancholische, sehr reduzierte Stimmung der Fotos wünschte sich der Bauherr als ästhetischen Leitfaden für sein Hotel – eine interessante Aufgabe für das ebenfalls in Hongkong ansässige Designbüro.
Dreimal schön
Schon von außen wird das ungewöhnliche Architektur- und Designkonzept sichtbar: Nur ein kleines Schild vor einer oxidierten Metallfassade weist darauf hin, dass sich hier der Eingang zu einem Hotel befindet. Durch einen Gang gelangt man in das Innere – geleitet von einer effektvollen Lichtführung, die dem barocken Chiaroscuro ähnelt, einem Spiel mit starken Hell-Dunkel-Kontrasten. Die Choreografie mit einer Sequenz von Räumen soll den Gast neugierig machen und emotional berühren.
Das Hotel ist klein für Hongkonger Verhältnisse: Es verfügt lediglich über 66 Zimmer in drei Kategorien: Comfort, Deluxe, Premier. Die Räume sind zwischen 17 und 30 Quadratmeter groß. Allen gemein ist eine extreme Strenge und Leere, die fast klösterlich wirkt. Kein Wunder, dass die Auswahl der Materialien für die Architekten deshalb extrem wichtig war. Sichtbeton an Wänden und Böden der Gästezimmer wird kombiniert mit Betten aus hellem Holz, allesamt schlicht in Weiß bezogen. Der Clou: eine maßgefertigte Holzbox, die aufgeklappt einen kleinen Arbeitsplatz, Stauraum und eine Minibar bietet.
Hidden Beauty
Zur klösterlichen Strenge der Zimmer gesellen sich ebenso klar gestaltete Badezimmer. Sie sind sehr großzügig gehalten, mit Marmor verkleidet und haben einen luxuriösen Touch. Eine Regendusche wird umfangen von opaken Wänden aus Drahtglas in schwarzem Metallrahmen. An anderer Stelle gibt es ein ebenfalls aus Naturstein gefertigtes Becken mit einer schlichten Edelstahlarmatur. Die Idee hier, wie im gesamten Hotel: das Hervorheben der natürlichen Schönheit der Materialien durch die handwerkliche Bearbeitung, eine spezielle Oberflächenbehandlung und die ausgeklügelte Lichtführung. „Wir finden, dass Luxus inzwischen oft sehr vulgär ist. Wir sprechen deshalb lieber von Verfeinerung, die weit über die Oberfläche hinausgeht“, beschreibt die PR-Managerin des Designbüros, Harriet Li das Konzept.
Zeitgenössische Höhle
Design Systems haben ein sehr sinnliches Hotel entworfen. Sie spielen gekonnt mit den Oberflächen von rau belassenen Materialien wie Beton, oxidiertem Metall, Marmor und Holz – und stellen das haptische Erlebnis in den Mittelpunkt des Interiors. Der sparsame Einsatz von warmen Elementen wie Holzmöbeln und Teppichen sowie ein subtiler Luxus brechen die strengen Linien und die minimalistische Leere. Das Ergebnis: ein höhlenartiges, jedoch ganz und gar kontemporäres Interior.