Vom Unort zum Ort
Wie öffentliche Toiletten mit neuen Qualitäten punkten
Eine Initiative in Japan lässt von prominenten Architekten öffentliche Toiletten erbauen. Diese sollen nicht nur hygienisch sein, sondern ebenso mit räumlichen Qualitäten punkten. Auch in anderen Teilen des Globus erleben stille Örtchen ein stilistisches Erwachen.
Aus den Augen, aus dem Sinn? Von wegen: Toiletten waren in der Antike gesellschaftliche Orte. Im alten Rom gab es prunkvolle Latrinen, die mit Mosaiken, Säulen und sogar Fußbodenheizungen aufwarteten und Platz für 50 Personen boten. Diese verrichteten keineswegs still und heimlich ihr Geschäft, sondern unterhielten sich lautstark über die Neuigkeiten des Tages. Trennwände für Privatsphäre gab es schließlich nicht. Mit dem Anbruch des Mittelalters versank die Toilettenkultur. Ganz gleich, ob einfaches Volk oder Hochadel: Man erleichterte sich im Freien oder nutzte einen Nachttopf, dessen Inhalt auf die Straße gekippt wurde. Für stille Örtchen war kein Platz, weil man sich ihrer schämte – eine Haltung, die sich in gewisser Weise bis heute fortsetzt. Die Toilette ist zwar längst in den privaten Wohnbau eingezogen. Jedoch wird ihr meist eine enge Zelle zugewiesen, die häufig sogar ohne Fenster auskommen muss. Den Tiefpunkt markieren öffentliche Toiletten, die so abstoßend anmuten, dass niemand freiwillig einen Fuß in sie setzt. Doch warum ist das eigentlich so? Warum stehen wir mit diesem Ritual auf Kriegsfuß?
Intimes Wellness-Erlebnis
Einen Anstoß zum Umdenken gibt das Projekt The Tokyo Toilet, das von der gemeinnützigen Nippon Foundation, der Verwaltung des Stadtteils Shibuya (der mit der berühmten, meist frequentierten Straßenkreuzung der Welt) und dem örtlichen Tourismusverband aus der Taufe gehoben wurde. „Toiletten sind ein Symbol von Japans Kultur der Gastlichkeit“, erklären die Initiatoren. Reisende ins Land der aufgehenden Sonne können das bestätigen. Die stillen Örtchen haben sich dort zu wahren Wellness-Oasen für den Intimbereich entwickelt. Sie warten mit beheizten Brillen, unzähligen Duschprogrammen, Raumparfüms und beruhigender Musik auf. Was in privaten Wohnräumen und Hotelzimmern längst ein Standard ist, gilt nicht immer für den öffentlichen Raum. Genau hier setzt The Tokyo Toilet an. An 17 Standorten im Shibuya sind öffentliche Toilettenhäuschen geplant, die von 16 verschiedenen Gestaltern entworfen werden. Sie sollen das Grundbedürfnis in ein räumliches Erlebnis verwandeln: Orte, vor denen man sich nicht ekelt, sondern die man gerne benutzt.
Diskrete Indiskretion
Die ersten fünf Toiletten sind nun eröffnet worden. Gleich zwei stammen aus der Feder von Shigeru Ban, der die Nutzer vor eine knifflige Aufgabe stellt. Die Toiletten im Yoyogi Fukamachi Mini Park sowie im Haru-No-Ogawa Community Park werden von transparenten Glaswänden eingefasst, die ihnen den Anschein überdimensional vergrößerter Aquarien verleihen. In ihrem Inneren sind allerdings keine Fische oder andere Unterwasserlebewesen, sondern sanitäre Anlagen zu bewundern. Der Toilettengang soll in aller Öffentlichkeit geschehen?
Keine Angst: Shigeru Ban nutzt hier einen Effekt, den Rem Koolhaas bereits bei seinem New Yorker Prada-Flagship-Store 2001 angewendet hat: Das in atmosphärische Farben getauchte Glas schaltet vom Transparent- in den Opakmodus, sobald eine Person die Kabine betreten hat. Die technische Spielerei macht hier tatsächlich Sinn: Denn die Kabine signalisiert bereits von außen, dass sie alles andere als beengt, düster oder schmuddelig ist. Zudem wirken die Toiletten in den Abend- und Nachtstunden wie Laternen, die einen farbigen Schimmer über die Gehwege und Pflanzen legen und den Park in einen geheimnisvollen Märchenwald verwandeln.
Neue Leichtigkeit
Der Ebisu East Park trägt den Spitznamen „Kraken Park“ – in Anlehnung an eine Kinderrutsche in Form des tintensprühenden Weichtieres. „Er wird von vielen Kindern als Spielplatz genutzt und ist mit üppigem Grün bestückt. Wir wollten, dass diese öffentliche Toilette ebenso als öffentlicher Raum dient, in Form eines Pavillons mit Aufenthaltsbereichen“, erklärt der Architekt Fumihiko Maki. Auffälliges Element ist eine breite, weiße Bank, die bündig aus einer zum Park gerichteten Außenwand herauswächst. Die Blicke können von dort in die umliegende Natur wandern. Halbtransparente Glaswände lassen von draußen erkennen, wo eine Kabine besetzt ist oder sich gerade eine Person bewegt. Sie sorgen ebenso dafür, dass das Interieur vom Tageslicht durchflutet wird und keine dunklen Ecken entstehen. Das geschwungene Dach lässt entfernt an die Kopfbedeckungen französischer Nonnen denken. Aufgrund seiner seitlichen Öffnungen erzeugt es einen stetigen Windzug, der Überhitzung und unangenehmen Düften entgegenwirkt.
Nur wenige Gehminuten weiter im Ebisu Park folgt die Toilette, die Masamichi Katayama vom Büro Wonderwall gestaltet hat. 15 Wände aus Sichtbeton sind so platziert, dass sie von außen an eine Art Labyrinth denken lassen: Sie ziehen die Besucher hinein, ohne den Sinn und Zweck dieses Ortes auf Anhieb preiszugeben. Im Inneren wandelt sich der offene Raumeindruck. Die Toiletten lassen an Höhlen denken, deren Wände durch versteckte Lichtleisten illuminiert werden. Ein interessantes Detail bilden die Betonoberflächen, in denen sich die tiefe Struktur der horizontalen Schalungsbretter abzeichnet. Sie sind eine Referenz an Kawayas: Aus einfachen Stämmen konstruierte Toilettenhäuser, die in Japan bereits vor über 8.000 Jahren oberhalb von Flüssen errichtet wurden.
Diverse Zugänge
Die Toilette an der Straßenbahnhaltestelle Higashi Sanchome bespielt ein schmales, dreieckiges Grundstück. Nao Tamura ließ sich bei ihrem Entwurf von Origata inspirieren, der japanischen Kunst des Geschenkeverpackens. Das knallrote Gebäude ist nicht hermetisch verschlossen. Es verfügt über drei schräggestellte Wände, die von der Straße nach innen führen und wie die Türen eines Paravents die Blicke außen vor halten. Die Zahl der Zugänge ist kein Zufall. „Ich habe mir eine Gesellschaft vorgestellt, die die LGBTQ+-Gemeinschaft als selbstverständlichen Teil mit einbezieht“, begründet die Tokioer Produktdesignerin die Räumlichkeiten für das dritte Geschlecht.
Auch die Uniformen der Reinigungskräfte werden bei The Tokyo Toilet nicht dem Zufall überlassen. Die blauen Overalls wurden vom Modedesigner Nigō entworfen, der mit den Streetwearlabels A Bathing Ape, Billionaire Boys Club und Icecream (die beiden letzteren in Kooperation mit Pharrell Williams) für Aufsehen sorgt. Die Botschaft ist klar: Sorgsamkeit und Sauberkeit werden hier mit Lässigkeit gepaart. Keine Entfremdung, sondern sympathische Erdung steht auf dem Programm. Und das sieht eine rasche Expansion der besonderen Örtchen vor. Weitere Entwürfe von Tadao Ando, Kengo Kuma, Sou Fujimoto oder Marc Newson sollen sukzessive in den kommenden Monaten folgen. Wer hat da noch Angst vorm öffentlichen Klo?