Mit dem Skalpell gebaut
Schluss mit austauschbaren Lofts: Gemeinschaftsbüro nach Plänen des spanischen Architekturbüros CH+QS.

Transparenz und Offenheit lassen sich nicht nur mit Glas erzeugen. Mitunter wirkt selbst der gute alte Abrisshammer Wunder – vorausgesetzt, er wird auf raffinierte Weise eingesetzt. Wie das gelingt, zeigt das spanische Architekturbüro CH+QS mit dem Umbau einer Fünfzigerjahre-Wohnung in eine kommunikative Bürolandschaft – mit überraschenden Einblicken.
Gemeinschaftliche Arbeitsplätze stehen keineswegs nur in der deutschen Hauptstadt hoch im Kurs. Auch in Madrid hat sich eine lebendige Gründerszene entwickelt, die zeitlich flexible Büroräume benötigt. Nicht ohne Grund platzte der dortige Ableger von Impact Hub bereits nach wenigen Monaten aus allen Nähten. Das 2005 in London gegründete Unternehmen betreibt momentan weltweit 58 Gemeinschaftsbüros, wo Schreibtische in Vollzeit, Teilzeit oder tageweise angemietet werden können. Auch Schulungen und Events spielen für die Vernetzung und Weiterbildung der jungen Unternehmer eine wichtige Rolle. Doch genau darin bestand für die Dependance in Madrid das Dilemma.
Räumliche Erweiterung
Immer häufiger wurde die helle, lichtdurchflutete Halle für Veranstaltungen genutzt, so dass kontinuierliches Arbeiten immer schwieriger wurde. Die Lösung des Platzproblems bestand in einer Erweiterung in die Höhe. Im Obergeschoss des früheren Fabrikgebäudes befanden sich die Wohn- und Verwaltungsräume der einstigen Besitzerfamilie. Der Kontrast zwischen den vergleichsweise kleinen Zimmern, die über einen Mittelgang erschlossen werden, und der Weite des Untergeschosses hätte größer kaum sein können. Dieses Ungleichgewicht am Leben zu erhalten, erwies sich als ein kluger, gestalterischer Ansatz, mit dem das Madrider Architekturbüro CH+QS ins Schwarze traf.
Anstatt das gesamte Obergeschoss zu entkernen und in ein austauschbares Loft zu verwandeln, gingen Josemaria de Churtichaga und Cayetana de la Quadra-Salcedo einen weitaus raffinierteren Weg. Am Rechner zeichneten sie eine Nachbildung der Etage und ließen das Raumraster durch zwei große Kugeln und einen lang gestreckten Kegel durchbohren. Die Schnittmengen aus den virtuellen, geometrischen Körpern und den realen Wänden und Decken wurden anschließend mit dem Abrisshammer und der Säge sorgfältig herausgetrennt. Das Spannende dabei: Nicht nur die Mauern wurden von den Kugeln und dem Kegel durchdrungen, sondern ebenso die Türen. Auch aus ihnen wurden die Schnittmengen mit der Säge entfernt, so dass sich die statischen und beweglichen Elemente der Architektur zu einem untrennbaren Ganzen verbinden.
Interaktion und Intimität
Das Ergebnis dieser Intervention ist ein begehbarer Schaukasten, der die berühmten Gebäude-Cuttings des amerikanischen Künstlers Gordon Matta-Clark in den Alltag übersetzt. Die Büros bilden keinen Open Space, sondern ein rhythmisch gestaffeltes Gefüge aus kleinen, ineinander verschlungenen Raumkapseln. Das Öffnen von Durchblicken und Sichtachsen führt zu einer Vielzahl an Zwischenräumen, die die Kommunikation zwischen den Nutzern verbessern und dennoch genügend Möglichkeiten zum Rückzug bieten. Im Grunde ist CH+QS damit gelungen, was derzeit in der Büroeinrichtungsbranche ohnehin an vorderster Stelle steht: Großraumbüros mithilfe freistehender Inseln in intime Zonen zu untergliedern. Doch statt dem Raum etwas hinzuzufügen, reichte ihnen die Subtraktion durch Muskelkraft, um einen bleibenden Mehrwert zu erzeugen.
Die Einbindung der vorhandenen Bausubstanz erwies sich dabei nicht nur als besonders kosteneffizient. Auch blieb der leicht verstaubte Charme der Fünfzigerjahre-Tapeten und der gekachelten Fußböden erhalten, wodurch die neuen Arbeitsräume eine natürliche Patina besitzen. Die angeschnittenen Ziegel an den Durchbrüchen wirken wie ein brutalistisches Ornament, das die Blicke durch den Raum wandern lässt und so den Kopf wieder frei macht für neue Ideen. Die Botschaft des Ganzen: Es muss nicht immer gleich ein Räumkommando anrücken, um einem in die Jahre gekommenen Kasten frische Energie einzuverleiben. Wenn Architekten wie Chirurgen mit dem Skalpell agieren, können sie mitunter mehr erreichen.
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