Pretty in Pink
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Kreise über Kreise über Kreise. Noch dazu in grellen Farben wie Orange, Pink, Lila und Gelb. Wände, Böden und Decken, die eins werden und mit grellen Mustern und Formen übersät sind. Die vom dänischen Designer Verner Panton 1969 entworfene Kantine des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ ist ein Traum jedes Sechziger-Jahre-Fans. Über 40 Jahre lang diente sie den 1.100 Mitarbeitern als täglicher Treffpunkt – nun wandert das denkmalgeschützte Interieur mit dem Umzug des Verlags in die Hafencity als Zeitdokument der Sechziger ins Museum.
Verner Pantons Vorliebe für organische Formen, expressive Farben sowie die Verwendung von damals neuartigen Materialien spiegeln sich in diesem extravaganten Objekt. Die Kantine und die angeschlossene kleine Snackbar bilden ein Ensemble: Lampen, Teppiche, Wandbespannungen und -objekte sowie ein Teil der Möbel stammen aus der kreativen Feder des dänischen Gestalters, der einst bei Arne Jacobsen in die Lehre ging. Dabei gestaltete Verner Panton (1926-1998) nicht nur die Kantine und die Snackbar, sondern zeichnete sich auch verantwortlich für das Interieur sämtlicher Büros des 12-stöckigen Hochhauses an der Hamburger Brandstwiete.
Im Hochhaus
Dieses gehört zu einem Ensemble aus zwei Hochhäusern und einem zweigeschossigem Pavillonbau des Hamburger Architekten Werner Kallmorgen. Das sogenannte „Spiegel“-Hochhaus – eine reduzierte, an die Architektur Mies van der Rohes erinnernde Stahlskelett-Konstruktion – verbirgt das ehemals schrille Innere, kontrastiert es geradezu aufs Schärfste. Denn betrat der Besucher damals das Foyer, erwartete ihn eine Orgie aus kreisrunden grellen Deko-Elementen, die wahrscheinlich manch einen an eine weibliche Brust erinnerten. Jedes einzelne Stockwerk des Hochhauses war zudem in einer anderen Farbe gestrichen und mit einem passenden Teppich versehen.
Im Pavillon
Die Kantine des Spiegel-Verlags war im Erdgeschoss des Flachbaus untergebracht, der dem Hochhaus vorgelagert war. Aufgrund der raumhohen Fenster gut von außen einsehbar, konnte der Raum durch orangefarbige Vorhänge verschlossen werden. Der Innenraum selbst strahlte durch die Wahl von Rot- und Orangetönen an Wänden, Böden, Decken und Möbeln eine Geborgenheit aus, die auch Verner Pantons Möbelentwürfen aus Schaumstoff wie dem Sessel Amöbe von Vitra oder den Ende der sechziger Jahre auf der Kölner Möbelmesse imm gezeigten Wohnskulpturen Visiona inne wohnen. Diesem Raumgefühl zuträglich waren auch die kaskadenartig von der Decke herabhängenden Stoff-„Stalaktiten“ sowie die kugelförmigen Flower Pots-Leuchten, die heute vom dänischen Hersteller &Tradition gefertigt werden.
Im Museum
Auch wenn einige Elemente der Kantine mit in das neue Verlagshaus nach Plänen des dänischen Architekturbüros Henning Larsen in die Hafencity gezogen sind und dort in reduzierter Form mit einigen Elementen wie den Kugelleuchten, den Wandelementen aus Kunststoff, dem orangefarbenen Teppich und den Amoebe-Sesseln an die ruhmreiche Vergangenheit erinnert wird, erhält der Großteil der Möbel und Ausstattungselemente museale Weihen: Rund 80 Quadratmeter des Sixties-Interieurs werden ab Sommer nächsten Jahres die Besucher des Hamburger Museums für Kunst und Gewerbe in Staunen versetzen. Denn auch wenn unsere Mütter und Väter in den Sechzigern und Siebzigern selbst psychedelische Muster an die Wände klebten – vorzugsweise in Braun-Orange – so weit wie Panton hat es wohl kaum einer getrieben. Und da sage noch einmal jemand, die Dänen seien still und zurückhaltend, gerade was die Gestaltung betrifft.
Was man in Hamburg sehen konnte, das schrie geradezu: „Seht her, hier bin ich!“. Trotz des Gute-Laune-Faktors hatte die farbenfrohe Extravaganz des Panton-Interieurs jedoch schnell an Glanz und Glamour verloren, so dass immer mehr Räume und Details verlorengingen und das Gesamtkunstwerk langsam demontiert wurde. Stockwerk für Stockwerk wurden grelle Farben zu sterilem Weiß, Plüsch und Plastik durch edlen Granit ersetzt. Über die „Farbe“ Weiß wäre Verner Panton sicherlich weniger erfreut gewesen. So erzählte seine Witwe Marianne in einem Spiegel-Interview, dass er eigentlich alle Farben mochte, nur eben gerade Weiß nicht.
Nun ist also ganz Schluss mit den Gesprächen über Politik und Kultur im psychedelischen Ambiente und man kann von Glück sagen, dass wenigstens die Kantine 1998 unter Denkmalschutz gestellt wurde. Doch wäre bestimmt so manch ein Spiegel-Mitarbeiter gern zum Abschied in den hauseigenen Swimmingpool abgetaucht. Nur leider wurde der vorher schon in ein schnödes Archiv verwandelt.
FOTOGRAFIE Der Spiegel
Der Spiegel
Links
Verner Panton
www.vernerpanton.comMuseum für Kunst und Gewerbe, Hamburg
www.mkg-hamburg.deJazz in der Spiegel-Kantine
www.youtube.comProdukte von Verner Panton bei Designlines
www.designlines.deMehr Projekte
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