Zwischen Himmel und Industriehalle
Ein Apartment in Wien zeigt, wie sich Architektur von Kunst inspirieren lässt.
Was passiert, wenn sich die Architektur eines Apartments an einer bereits existierenden Kunstsammlung orientiert? Der Architekt Alex Graef hat gerade die Beletage eines Wiener Altbaus modernisiert und sie in einen schlichten, aber effektvollen White Cube mit interessanten Überraschungen verwandelt.
Der Name des 7. Wiener Gemeindebezirks ist wahrlich irreführend: Er heißt Neubau, was auf urbane, schmucklose Betonbauten schließen lässt. Doch stehen in dem Innenstadtviertel etliche herrschaftliche Altbauten. So auch in der Neubaugasse, wo Architekt Alex Graef für einen Kunstsammler eine als Absteigequartier genutzte Etage umgebaut und dabei den Charme der alten Böden, Fenster und Decken erhalten hat. Doch verpasste er den Räumen buchstäblich einen neuen Anstrich: Er tauchte sie in Weiß, entschied sich für ein ebenso weißes, minimalistisches Mobiliar und entwarf einen weitläufigen, offenen Grundriss. Dafür legte er zwei aneinandergrenzende Apartments zusammen und nutzte große Flügeltüren, um die einzelnen Bereiche zu verbinden.
Kunst trifft Architektur
So entstehen fließende Übergänge – teilweise durch mehrere Räume hindurch. Am Ende der Fluchten platzierte der Architekt präkolumbianische Kunstwerke aus der Sammlung des Bauherren, alte Objekte aus Naturmaterialien, teils abstrakt, teils figürlich. Bei geöffneten Türen profitiert man so an zahlreichen Orten von den attraktiven Blicken auf die Kunst. Zudem integrierte Graef Aussparungen in der Wand, wo weitere Figuren einen Platz fanden. Die Objekte bestimmten Zwischenwände, Lichtdesign und Raumabfolgen. „Wir stellten sie außerdem so auf, dass Beziehungen zwischen den Miniaturen deutlich werden“, erklärt der in London ansässige Architekt.
Leben im White Cube
Durch die Weitläufigkeit der Räume, die totale Reduktion auf die Farbe Weiß und die glatten Wände treten die Kunstwerke plastisch hervor: die Wohnung als White Cube. Doch nicht nur die Werke an sich, auch die Beleuchtung wird durch die zurückgenommene Architektur kunstvoll in Szene gesetzt: In der Küche schnitt Graef tiefe Furchen in die Decke und kreiert dadurch den Effekt von Dachfenstern. „Mit einer variablen LED-Technik kann das Licht darin in Farbton und Intensität dem natürlichen Licht angepasst werden“, so Graef. Bei den Leuchtkörpern wählte er geometrische Formen. So dient etwa im Esszimmer eine einfache weiße Scheibe als Lampenschirm, die das Licht – ähnlich wie bei einer Sonnenfinsternis – nur an den Rändern hindurch lässt. Ton in Ton mit Decke und Wand, tritt auf subtile Weise die Beleuchtung in den Vordergrund: Das Licht selbst wird zum Kunstobjekt.
Gebrochene Schönheit
Der durchgängig hellen Gestaltung fügte Graef weiße Türen mit gepolsterten Textilbezügen hinzu. Das unterstreicht die sanfte – beinahe etwas entrückte – Atmosphäre. Die Einheitlichkeit der Räume wird jedoch durch harsche Kontraste in den Nebenzimmern gebrochen: In Küche und Nassräumen setzt Graef auf kantige Formen und dunkle, teils knallige Farbtöne. Mit einer Dusche, die an ein Rohr erinnert, Neonbeleuchtung und Industriewasserhähnen erhält das Bad einen funktionalen, industriellen Charakter. Zwar sind diese starken Gegensätze innerhalb des Apartments, der plötzliche Wechsel von hell zu dunkel, weich zu hart, monochrom zu kontrastreich, sehr markant. Doch gelingen dem Architekten mit der kontrastreichen Gestaltung auch interessante ästhetische Brüche. Zudem beweist die Integration der präkolumbianischen Objekte in den Entwurfsprozess, wie bereichernd eine Synthese von Kunst und Architektur sein kann.