Antonino Cardillo: Architektur und Wahrheit / Teil 2
Ein Kennenlernen auf Sizilien.
Sein Name ist bekannt. Jedenfalls war er es mal. Manche haben ihn vielleicht schon wieder vergessen.
II
There are no dreams without reality.
Eine Wand, zwei Türen: links oder rechts – für welche Tür entscheidest du dich? Antonino Cardillo grinst und zeigt auf die rechte. Dahinter verbirgt sich ein kleiner, niedriger Raum, die Deckenhöhe: etwa zwei Meter.
Treffpunkt ist die Cattedrale di San Lorenzo in Trapani. Da steht er wirklich, freut sich, uns zu sehen. Und ja, keine fünf Schritte um die Ecke öffnet er in einer schmalen Gasse eine kleine grüne Tür – die Tür zu seinem letzten Projekt: Specus Corallii. Willkommen in der Wirklichkeit von Cardillo!
Die Korallenhöhle Specus Corallii – die vierte Grotte in der Serie des Architekten und ein Rückzugsort, abgekapselt von Welt und Wirklichkeit – verkörpert die gebaute Idee einer geheimnisvollen Architektur. Trotzdem oder gerade deshalb spielen die Räume, die Cardillo schafft, mit bekannten und vertrauten Parametern. Die kleinen Türen, die vom Flur in den Raum führen, sieht der Architekt als eine Referenz an die Welt aus Alice im Wunderland. Verstärkt wird dieses Bild durch den mit einer Höhe von nur 80 Zentimetern niedrig positionierten Türknauf aus rosa Murano-Glas (es sind nur zwei von insgesamt zwölf Griffen, die Cardillo auf einem Antikmarkt erworben hat – er selbst findet sie kitschig und genau deshalb passend). Die vier Türen sind an zwei Wänden positioniert, und so steht man besonders an der schmalen Seite vor der Entscheidung, welche Tür man öffnen soll.
Für dieses behutsam entwickelte Projekt kam Antonino Cardillo vor zwei Jahren von London zurück nach Trapani, in seine Heimatstadt. Parallel arbeitete er noch ein paar Monate an einer Ladengestaltung in der Londoner Dover Street für das britische Label Illuminum Fragrance, deren bekannteste Kundin Kate Middleton ist. Den Raum der Kathedrale in Trapani kannte der Architekt noch aus Kindertagen vom weihnachtlichen Krippenspiel. „Aber der Ort war sehr heruntergekommen und stand jahrelang leer“, erinnert sich Cardillo. „Als ich hörte, dass die Kirche den Raum sanieren wollte, aber keine Idee hatte, entwarf ich Specus Corallii und bot den Entwurf pro bono an.“ Am Anfang stand ein Bild, ein Rendering, mit dem er den Bauherrn, den leitenden Priester der Cattedrale di San Lorenzo, überzeugen konnte. „Es gefiel ihnen, und sie haben mich beauftragt.“ Entstanden ist ein Low-Budget-Projekt, das nicht nach Low Budget aussieht.
Basis dafür sind Cardillos akribische Planung genauso wie die eingesetzten Materialien: Die Steinplatten stammen aus Trapani, ebenso der Sandstein im unteren Wandbereich, während der Putz darüber, wie auch die drei vorigen Grotten in Rom und London, aus Asche vom Vesuv besteht. Weil Pozzolana (deutsch: Puzzolane) so leicht ist, hält der Grobputz auch an der Decke. Erst durch seinen Gehalt an Kieselsäure und Kalkhydrat in Verbindung mit Wasser wird das natürliche Gestein bindefähig – Puzzolane wurden bereits im Altertum für römischen Beton verwendet. Cardillo färbt seinen Pozzolana-Putz nachträglich, so dass eine neue Raumwirkung entsteht. Und weil das Material relativ günstig ist (vier Tonnen kosten nicht einmal 800 Euro), lohnte es sich auch, die puzzolanische Vulkanasche des Vesuvs 2015 von Neapel nach London zu verschiffen. Antonino Cardillo wählt dieses besondere Baumaterial aber nicht nur wegen seiner Leichtigkeit oder aus Kostengründen. Es handelt sich hierbei um ein Material mit einer Struktur, die sich nicht rendern lässt. Doch dazu später mehr.
Mit den zwei Türen spielt der Architekt übrigens subtil auf das System der Kirche an – in diesem Projekt der Bauherr. Es ist die Entscheidung zwischen rechts oder links, gut oder böse: Gott oder Teufel. Und auch der Boden teilt sich in zwei Hälften, eine unsichtbare Mittelachse spiegelt das Muster der Steinplatten. Symmetrie, archetypische Formen und Bögen sind Elemente, die sich in Cardillos Architektur immer wieder finden.
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