Maison & Objet Herbst 2016: Cosy Così
Ganzheitliche, emotionale Wohnwelten: Die Neuheiten der Pariser Einrichtungsmesse.
Hereinspaziert in den Zirkus des Wohndesigns. Auf der Pariser Einrichtungsmesse Maison & Objet werden die Neuheiten des Herbstes vorgestellt: emotionale, ganzheitliche Wohnwelten, die den Bogen von Möbeln über Leuchten bis hin zu umfangreichen Accessoire-Serien spannen. Einige Aussteller lassen sogar Narren, Muskelmänner und weiße Mäuse auf die Besucher los.
Wenn sich der Sommer dem Ende neigt, trifft sich das Designvolk in Paris. Vor den Toren der Stadt öffnet die Einrichtungsmesse Maison & Objet im Parc des Expositions. Parallel dazu lockt die Paris Design Week in die Showrooms und Galerien der Stadt. Wird die Januarausgabe der Maison & Objet von den großen und etablierten Marken bestimmt, zeigt sich die September-Edition weitaus kleinteiliger. Was auffällt, ist die zunehmende Nivellierung der Unterschiede: Während die Hersteller von Kleinmöbeln und Accessoires ihr Sortiment um großformatigere Entwürfe vervollständigen, strecken auch die Großen ihre Fühler mehr und mehr in Richtung Zubehör aus. Ganzheitlichkeit statt Spezialisierung lautet die Lösung, mit der stimmig durchkomponierte Wohnwelten in Szene gesetzt werden.
Verflechtung der Disziplinen
Vitra widmet gleich den ganzen Messestand der rapide wachsenden Accessoire-Kollektion, die um Reeditionen von Alexander Girard sowie die neue Vasenserie Nuage von Ronan & Erwan Bouroullec erweitert wird. Der dänische Hersteller By Lassen vervollständigt sein Sortiment um den Barwagen Anoon sowie den Ohrensessel My Own Chair, die 1943 respektive 1938 von Fleming Lassen entworfen wurden. Ein internes Designteam konzipierte zudem die puristische Geschirrserie Amfie, die sowohl für die nächste Donnerparty als auch für den alltäglichen Gebrauch geeignet ist. Auch der junge, Pariser Hersteller Petite Friture ist auf Expansionskurs und stellt mit Succession die erste Tableware-Kollektion vor, die vom schwedisch-französischen Designerduo Färg & Blanche ersonnen wurde.
Einen prominenten Messestand gleich am Eingang der designaffinen Halle 7 hat sich das Designstudio von Zaha Hadid gesichert. Auch hier geht die Tendenz zur Kleinheit. Statt raumgreifender Lüster und schwergewichtiger Marmortische werden Trinkgläser, Geschirr und Kerzen in dynamischem Kurvenschlag gezeigt. Mit der Schrumpfung der Maßstäbe geht eine neue Erschwinglichkeit einher. Werden die limitierten Editionen der im März verstorbenen Architektin für mehrere hunderttausend Euro gehandelt, sind die nun gezeigten Produkte schon ab zweistelligen Beträgen erhältlich.
Taktilität und Wärme
Das verbindende Thema dieser Messe ist die Emotionalisierung des Designs. Warme, gebrochene Farben treffen auf fließende Formen und taktile Materialien: Eine skandinavisch inspirierte Wohlfühlzone, die um schroffe Ecken und Kanten ebenso einen weiten Bogen macht wie um billige Werkwerfgadjets aus Kunststoff. In den Mittelpunkt des Wohnens rückt immer mehr der große Esstisch. Modelle wie der Board Table von Julien Renault, der Azores Family Table von Gonçalo Campos für Wewood oder der von Pierre Dubourg für Hartô entworfene Tisch Hélène setzen auf sanft abgerundete Kanten, an denen sich niemand verletzen soll. Immer häufiger werden passende Bänke anstelle separater Stühle angeboten: eine betont bodenständige Geste, mit der das Gesamtbild beruhigt und die Materialität des Holzes zusätzlich akzentuiert werden soll.
Die Belebung der Oberfläche
Ein wichtige Rolle spielen Farben, die nie alleine erscheinen, sondern stets in atmosphärischen Verbindungen auftreten. Die Nuance der Stunde heißt übrigens Quarz Rosa oder Nordic Rose: ein unreines, ins mittlere Grau tendierendes Rosa, das für Themogefäße bei Eva Solo ebenso verwendet wird wie für Trinkgläser der venezianischen Glasmanufaktur Carlo Moretti. Eine Belebung der Oberfläche vollzieht Sebastian Herkner mit seinem Beistelltisch Font für Pulpo, der aus recycelten Glasabfällen gefertigt wird und mit einer starken Maserung die Blicke auf sich zieht. Parallel hält der Trend zu Stein und Metall weiter an. So komplettiert Normann Copenhagen die Schalenserie Krenit – ein vom Ingenieur und Materialforscher Herbert Krenchel entworfener Klassiker aus dem Jahr 1953 – um zwei metallene Ausführungen mit einer goldenen oder silbernen Innenseite. Tom Dixon stellt unterdessen den Kerzenhalter Stone vor, der aus dunkelgrünem Marmor mit starker Maserung gefertigt wird.
Seltsame Proportionen
Während die Formensprache der meisten Produkte unverfänglich konventionell bleibt, kommt in die Proportionen durchaus Bewegung. Die Konsole Halo von Julie Garland für Matière Grise ist extrem schmal gehalten und wirkt dadurch enorm in die Höhe gezogen: ein platzsparendes Möbel, das zugleich mit expressiven Qualitäten aufwartet. Die Pendelleuchte Puro ist ein Entwurf von Lucie Koldova für den tschechischen Glashersteller Brokis und lässt mit ihrem ungewöhnlich langen Leuchtkörper an eine im Raum schwebende Zigarre denken. Das freistehende Graphic Shelve der dänischen Designerin Kristina Dam kragt oben aus und wird auf diese Weise fast zu einer skulpturalen Erscheinung, die sich selbstbewusst im Raum verankert.
Illusion von Tiefe
Wie subtil das Spiel mit der Proportion gelingt, zeigt der junge, schwedische Hersteller Maze Interior mit dem von Gustav Rosén entworfenen Regelsystem Pythagoras. Die Ablagen werden mithilfe von Haltungen aus recycelten Drähten an der Wand befestigt, die sich aus gleichschenkligen und spitzen Dreiecken zusammensetzen und – der Name deutet es bereits an – über den Satz des Pythagoras konstruiert wurden. Indem die spitz zulaufende Seite der Haltungen entweder vertikal oder horizontal an die Wand montiert wird, entsteht die optische Illusion von unterschiedlicher Tiefe. Das Regal braucht somit nicht als gleichförmiges Objekt an der Wand zu verharren, sondern kann spielerisch und selbstbewusst Akzente setzen.
Dompteure und Akrobaten
„Manege frei“ heißt es unterdessen bei Alessi. Das italienische Designunternehmen entführt geradewegs in einen Zirkus, der von Marcel Wanders mit den nötigen Requisiten ausgestattet wurde. Weinkühler sehen wie Trommeln aus, Schalen, Teller, Becher und Zangen sind wie Clownskostüme mit bunten Rauten, Kreisen, Streifen und Dreiecken überzogen. Neben 29 Serienmodellen werden fünf Produkte in limitierter Auflage von 999 Exemplaren gefertigt: der Nussknacker The Strongman (Muskelmann), der Korkenzieher The Jester (Narr), die Tischglocke The Ringleader (Zirkusdirektor), der Süßigkeitenspender The Candyman sowie die Spieldose The Ballerina.
Helme und Mäuse
Humorvoll geht es auch bei der jüngsten Kooperation von Diesel und Seletti weiter. Die quietschgelbe Schale Elmet ist einem kopfüber liegenden Bauarbeiterhelm nachempfunden. Die Teller und Schalen aus der Maschine Collection sind mit Zacken aus Keramik besetzt und erinnern an umfunktionierte Sägeblätter. Seletti setzt zudem die Zusammenarbeit mit Marcantonio Raimondi Malerba fort, der im vergangenen Jahr mit seinen Monkey Lamps für Aufsehen sorgte. Für seine neue Mouse Lamp nimmt der italienische Designer nun den Alptraum einer jeden Hausfrau ins Visier: Drei weiße Mäuse in unterschiedlichen Positionen, die jeweils eine Glühbirne in die Höhe strecken.
Umfassende Wohlfühlzone
Das Wohnen wird auf dieser Messe nicht neu erfunden. Doch es wird zusätzlich emotionalisiert. Interessant ist die Tendenz, dass nicht mehr das Marktvolumen über die Aufmachung und Größe der einzelnen Stände unterscheidet. Kleine und große Hersteller reihen sich direkt aneinander. Jeder macht plötzlich alles. Und so manche Aussteller lassen sich freizügig vom Nachbarn inspirieren. Gar nicht so einfach, dabei die Übersicht zu behalten. Für die Verbraucher entsteht dadurch eine einmalige Situation: Sie können aus den Sortimenten vieler unterschiedlicher Hersteller wählen – und dennoch passt alles in dieser wohnlichen Wohlfühlzone bestens zueinander. Das ist gut, doch irgendwie auch ein Stück weit egal. Così Così, würden Italiener dazu sagen.