Stories

Toelke trifft… #2

Andreas Toelke über Hadid, Schuhe, Organe und Diktaturen.

von Andreas Toelke, 25.11.2013

Sie ist die Grande Dame der Architektur, die einzige Frau auf dem internationalen Parkett, die „es" geschafft hat. Warum hat es so lange gedauert? „Weil ich kein Golf spiele." So erklärt Zaha Hadid ihre Abwesenheit von reinen Männernetzwerken, die in denen auch mal ein Job beim 18ner Loch vergeben wird.

Die Antwort fiel 2005 bei einem Interview anlässlich einer Ausstellung in Berlin. Es war unser erstes Mal, und das tut bekanntlich manchmal weh. Hadid spricht leise, nuschelt und verdreht die Augen, als fiele sie in den nächsten Sekunden ins Wachkoma. Trotz der Widrigkeiten: Es entwickelt sich ein intensives Gespräch. Über Religion. Und Frauen. Zaha Hadid, mit arabischen (irakischen) Wurzeln, würde gerne an etwas glauben. Es gelänge ihr nicht – so sagte sie damals. Eine Verbindung zur Kultur ist auch ohne Religion da. Lesbar in ihrer opulenten Formensprache, die von Schuhen (Nova für United Nude) über Schmuck (Swarovski) zu Möbeln (Established+Sons) einen hohen Wiedererkennungseffekt hat. Und zur These, sie baue weiblich: Was bitte kann einem anderes als eine Vagina in den Sinn kommen, wirft man einen Blick auf eine Luftaufnahme des WM-Stadiums, das La Hadid in Katar errichten (!) wird. Es ist der gelungene Gegenentwurf zum Fosterschen Pimmel, der London überragt (erstaunlich bei aller ausgeprägten Weiblichkeit, die das hadidsche Schaffen prägt, seit fast 20 Jahren Partner im Büro: Patrick Schumacher - kongeniales Gegenstück zu ihr).


Zurück zum Detail. Das Stadium in Katar ist exemplarisch in punkto hadidscher Formensprache. Und reißt eine weitere Baustelle auf. Denn Zaha Hadid realisiert, wo man sie lässt. Egal, ob in einer Monarchie, die Sklaverei als natürliches Recht ansieht (wie eben in Katar), sei es in einem totalitären Staat wie China. Der Fluch der „ungebauten" und „unbaubaren" Architektin, der sie seit den 80ern begleitete, ist gewichen: Phaeno in Wolfsburg (2005 eröffnet),  BMW-Werk in Leipzig (2004), Hungerbahn Innsbruck (2008) – nach der Feuerwache für Vitra in Weil am Rhein (1993) schienen gerade Regionen mit deutscher Zunge von Hadid besessen.

Ein Durchbruch mit internationalen Folgen. „Ich habe rund 950 Projekte in 44 Ländern realisiert", konstatiert sie in Baku bei der Eröffnung des Heydar Aliyev Center. Baku in Aserbaidschan – noch so eine lupenreine Demokratie.
2009 gar Syrien! Drei Jahre später, 2012 in Montpellier bei der Eröffnung des Gemeindezentrums Pierre Vives auf das Engagement im mittlerweile zum Kriegsgebiet verkommenen Staat angesprochen, lenkt Hadid ab: „Da war nichts." Nachgefragt: Ist Architektur politisch? Ihre lapidare Replik: „Es ist nicht an mir, das zu beurteilen."

Festzustellen bleibt: Die Schülerin von Rem Koolhaas baut in China, den Emiraten, Entwürfe für die Staatsbank des Irak warten auf die Realisierung. Aber wer will eine Architektin vorführen, wenn Koolhaas in Moskau und Peking baut, Chipperfield „nur" in China, wenn Speer dort ganze Städte im Omnipotenzrausch realisiert. Die Liste vom Engagement großartiger Architekten in Staaten mit zweifelhaften Regierungsformen lässt sich beliebig ergänzen. Es kann nur die Reduktion auf die Stilfrage bleiben. Und da muss Zaha Hadid einfach zugestanden werden: Sie ist genial. Für Männer und Frauen.

Zaha Hadid: Eine arabische Feministin – so könnte die dekonsturierte Lesart lauten. Und es sind zwei Attribute in einem Satz, die, wenn sie auf einen Menschen bezogen werden, fast Mitleid erregen. Araberin – ok. Feministin – bitte! Auch wenn sich ihr Feminismus „nur" in den Arbeiten manifestiert und das größte persönliche Unglück von Frau Hadid ist, dass sie aufgrund einer Verletzung ihre Manolo-Blahnik High-Heels nur unter Schmerzen tragen kann. Beides zusammen – schwierig.

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