John Pawson
John Pawson verschwendet keine Zeit mit überflüssigen Dingen. Der Pate minimalistischer Architektur entwirft Boutiquen für Calvin Klein, asketische Landhäuser und sogar ganze Klöster. Zur 55. Kunstbiennale von Venedig ist er mit seiner Installation Perspectives an prominenter Stelle vertreten – unter der Kuppel von Andrea Palladios Basilica di San Giorgio Maggiore. Ein Gespräch über optisches Meditieren, kunstsinnige Mönche und die Nähe zu Gott.
Herr Pawson, zur 55. Kunstbiennale von Venedig zeigen Sie Ihre Arbeit Perspectives: Eine von Swarovski angefertigte Meniskuslinse mit 40 Zentimetern Durchmesser – die größte, die jemals angefertigt worden ist. Erzählen Sie uns, was es mit dem Projekt auf sich hat.
Die Linse ist ein Instrument, mit dem sich Räume auf intensivere Weise erfahren lassen. Es ist mir wichtig, die Arbeit nicht als Kunstwerk zu betrachten. Sie dient lediglich dazu, dass sich das Auge in ihr ausruhen und auf visuellem Wege meditieren kann. Es ist lustig, wie unterschiedlich die Leute die Arbeit wahrnehmen. Einige Besucher haben sie auf ihrer Liste. Wenn sie die Kirche betreten, laufen sie geradewegs zu dem Objekt, gehen einmal um die Ecke und haken es ab. Andere wissen nichts davon und bleiben zunächst verwundert davor stehen.
Zu sehen ist die Linse, die erstmals 2011 in der Londoner St Paul‘s Cathedral gezeigt wurde, unter der Kuppel von Palladios berühmter Basilica di San Giorgio Maggiore. Inwieweit beeinflusst der Ort die Wirkung der Arbeit?
Wir haben hier in Venedig natürlich deutlich mehr Raum, sodass die Linse stärker als Objekt wahrgenommen wird. Sie ruht auf einer verspiegelten Halbkugel, die sich nun auch mit größerem Abstand betrachten lässt. In London war das nicht möglich, weil wir die Arbeit in einem recht engen Treppenhaus gezeigt haben. Ich mag es, dass immer eine Frau neben dem Objekt steht und die Besucher zum Anhalten bringt. Eigentlich geschieht das nur aus Sicherheitsgründen, weil schon ein einziger Fingerabdruck die Wirkung zerstören wurde. Doch es bringt die Leute dazu, auch tatsächlich in die Linse zu schauen.
Und wie haben die Mönche des Benediktinerklosters reagiert, dem die Kirche untersteht?
Für die Mönche ist die Kunstbiennale oft ein großes Problem. Denn Kunst ist eine intellektuelle Angelegenheit, bei der es um starke Ideen und um Provokation geht. Die Leute sollen zum Nachdenken gebracht werden und nicht dazu, sich näher bei Gott zu fühlen – zumindest nicht in der zeitgenössischen Kunst. Kirchenleute mögen Dinge, die sie stärker auf Gott fokussieren lassen wie das Kreuz, Jesus, Madonna und so weiter. Dennoch waren die Mönche sehr glücklich mit der Installation, weil sie die Leichtigkeit und Schönheit von Palladio Bauwerk besser vor Augen führt. Genau darum ging es bei diesem Projekt. Die Leute sollen nicht kommen und sagen: „Das ist aber ein schönes John-Pawson-Ding.“ Sie sollen sagen: „Wow, diese Kirche ist sogar noch schöner, als ich gedacht habe.“
Wie sind Sie überhaupt an diesen Ort gekommen? Jeder Architekt träumt davon, eines Tages in einem Bauwerk von Andrea Palladio auszustellen.
Anfangs dachte ich auch, dass es unmöglich wäre. Doch dann war ich in Vicenza und habe eine Lesung in Palladios Teatro Olimpico gehalten. Wir haben im Anschluss darüber nachgedacht, etwas in der Villa Rotonda zu machen, was aber nicht funktioniert hat. Dann sage plötzlich jemand, dass er die Mönche in der Basilica di San Giorgio Maggiore kennt. Und sie sagten tatsächlich zu. Das war ein sehr glücklicher Zufall.
Zu Ihren bekanntesten Arbeiten gehört der Umbau des Klosters Nový Dvůr (2000-2004) in Tschechien. Dem sakralen Umfeld sind Sie ebenso mit jüngsten Bauprojekt treu geblieben: der Renovierung der im April 2013 wiedereröffneten St.-Moritz-Kirche in Augsburg. Gehen Minimalismus und Glauben Hand in Hand?
Wenn mit Minimalismus ein klarer Blick und Geradlinigkeit in der Planung gemeint sind, bin ich mit dieser Bezeichnung sehr glücklich. Das bedeutet aber nicht, dass es allein um leere Räume geht. Natürlich braucht man in einer Kirche einen Altar, ein Tabernakel und die Jungfrau Maria. Statt etwas Neues hinzuzufügen, ist es besser, sich auf das zu konzentrieren, was bereits vorhanden ist. Oft reichen wenige Eingriffe, um die Wirkung eines Raumes radikal zu verändern. Den Menschen wird damit geholfen, ganz gleich, aus welchem Grund sie in die Kirche kommen. Die einen wollen sich näher zu Gott fühlen, andere suchen Trost oder Ruhe oder wollen lediglich auf andere Gedanken kommen. Wenn ihnen die räumliche Atmosphäre dabei hilft, habe ich mein Ziel erreicht. Die Leute sollen sich in dem Gebäude wohlfühlen.
Die St.-Moritz-Kirche wurde im Zweiten Weltkrieg stark beschädigt und später von Gottfried Böhms Vater Dominikus Böhm wieder aufgebaut. In den siebziger Jahren wurde der Bau durch eine Anhebung des Bodens und zahlreiche weitere Eingriffe verunstaltet. In welchem Umfang haben Sie den Bau verändert?
Wir haben die Kirche wieder zu ihrer ursprünglichen Gestalt zurückgeführt. Die größte Veränderung betrifft vor allem die Helligkeit des Innenraums. Im Vergleich zum vorigen Zustand wirkt das Gebäude beinahe wie neu. Wir haben sämtliche Skulpturen neu positioniert und die Heizung und Akustik verbessert. Auch neue Möbel sowie eine neue Orgel haben wir entworfen. Ein guter Klang ist enorm wichtig für die Atmosphäre. Das wurde bei der Kirchweihe besonders deutlich, als lange auf der Orgel gespielt wurde. Im Anschluss an die Messe haben sie mich gebeten, ein paar Worte von der Kanzel zu sprechen. Das war schon ein seltsamer Moment, weil alle plötzlich geklatscht haben. Normalerweise applaudiert man ja nicht in einer Kirche wie bei einem Konzert oder einem Vortrag. Aber es hat sich einfach spontan ergeben. Das Schöne daran war, dass man sehen konnte, wie glücklich die Menschen über die Kirche waren. Diesen Moment wollte ich am liebsten in eine Flasche stecken und festhalten (lacht).
In den neunziger Jahren haben Sie die Boutiquen von Calvin Klein in New York, Paris, Seoul und Tokio geplant. Mit ihrer spartanischen Kargheit verströmen die Geschäfte ebenfalls die Anmutung von Sakralbauten. Absicht oder Zufall?
Eine Kirche kann im Grunde jeder Raum sein. Als Jesus gelebt hatte, hielt er Messen in den Küchen einfacher Leute ab, bei denen der Küchentisch als Altar diente. Wenn Mönche reisen und nicht in die Kapelle ihres eigenen Klosters gehen können, nutzen sie einfach irgendeinen anderen Raum, um dort ihre Messe abzuhalten – sei es ihr Schlafzimmer oder was auch immer. Aber Sie haben Recht. Bevor ich gefragt wurde, das Kloster Nový Dvůr umzubauen, haben die Mönche Fotos der Calvin-Klein-Boutique in New York gesehen. Sie haben Qualitäten in ihr erkannt, die sie sich gut für ihre Räume vorstellen konnten.
Also werden die Kleidungsstücke im leeren Raum auf ähnliche Weise in Szene gesetzt wie Reliquien auf einem Altar?
Einen Altar würde ich es nicht nennen. Aber sie erhalten natürlich mehr Aufmerksamkeit. Das ist im Grunde nicht viel anders als bei Kunstwerken in einer Galerie, die vor weißen Wände inszeniert werden. Je einfacher der Raum, desto wichtiger ist die Qualität der gezeigten Arbeiten. Glücklicherweise sind die Kleider von Calvin Klein sehr schön. Sie auf diese Weise hervorzuheben, ist also durchaus erlaubt. Nur weil meine Räume so extrem einfach sind, bedeutet das aber nicht automatisch, dass man in ihnen auch beten muss. Sie geben lediglich die Freiheit, es zu tun.
An welchem Ort würden Sie gerne Ihre nächste Installation umsetzen: in der Villa Rotonda?
Nein, ich denke, wir sollten ruhig den Architekten wechseln: Das Pantheon wäre ein fantastischer Ort (lacht).
Vielen Dank für das Gespräch.
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