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Kinzo

Die drei jungen Berliner Architekten über gestalterischen Einheitsbrei dank Euronormen und die Soundcloud-WG.

von Tim Berge, 02.09.2014

Den Namen Kinzo sollte man sich merken: Hinter dieser Firmierung stecken die Berliner Architekten Karim El-Ishmawi, Martin Jacobs und Chris Middleton, die sich in den letzten Jahren einen Namen mit der Entwicklung von innovativen Bürolandschaften und den dazugehörigen Produkten gemacht haben. Wir sprachen mit den dreien über den Mantel der Gestaltung, die Verabschiedung vom eigenen Werk und eine WG namens Soundcloud.

Ihr habt gerade mit der neuen Soundcloud-Zentrale in Berlin ein spannendes Objekt fertig gestellt: Könnt ihr anhand des Projekts euren Ansatz in der Gestaltung zeitgemäßer Arbeitsplätze erklären?

Chris Middleton: Das neue Hauptquartier von Soundcloud repräsentiert tatsächlich auf vielen Ebenen unsere Vorstellung einer modernen Bürowelt: Der Anteil der klassischen Arbeitsplätze wurde auf die Hälfte der Fläche reduziert, und das Büro funktioniert mehr oder weniger papierlos. Neben großen Tischgruppen, die eine bessere Kommunikation innerhalb der Teams ermöglichen, stehen den Mitarbeitern auch diverse Rückzugsmöglichkeiten zur Verfügung. Bei Soundcloud soll auch niemand durch einen Superstuhl, der den Körper maximal entlastet, oder mit Steh-Sitz-Apparaten, die die ganze Zeit hoch und runter fahren, an den Tisch gebunden sein: Das vielseitige Raumangebot, die Möblierung und einige spielerische Momente sorgen dafür, dass sich die Angestellten bewegen!

Auch bei diesem Projekt kamen von euch entworfene Möbel zum Einsatz: Was bedeutet der ganzheitliche Gestaltungsgedanke für euer Arbeiten?
Chris Middleton: Uns geht es hauptsächlich darum, Bezüge herzustellen und eine vielschichtige Identität zu schaffen. Je tiefer wir dabei gehen und je ganzheitlicher wir bei einem Projekt arbeiten dürfen, desto besser und subtiler kann man das dann den Mitarbeitern vermitteln. Wir arbeiten gerne mit dem Verschmelzen unterschiedlicher Funktionen, wodurch oftmals neue und spannende Raumgefüge entstehen, die jedem Ort etwas Maßgeschneidertes geben.

Was zeichnet das gemeinsam mit Planmöbel entwickelte Möbelsystem Unit aus, das bei Soundcloud seine Premiere feierte?
Karim El-Ishmawi: Im Namen Unit steckt auch der englische Begriff „unite“ (verbinden). Das Möbelsystem möchte immer mehrere Teile zu einem Ganzen zusammenführen. Der Tisch, der Schrank, die Wand, alles kann gestalterisch und sogar statisch miteinander gekoppelt werden. Es ergeben sich individuelle Konstellationen mit eigener Identität. Es gibt kein vorne und kein hinten, alle Teile können frei im Raum stehen – optimal für offene Bürolandschaften. Unit hat zudem die Qualität, dass es Flächen besonders gut zur Geltung bringt. Bei Soundcloud präsentiert es perfekt den von uns gewählten Holzbelag und bekommt durch den umlaufenden Metallrahmen und das eingerückte Gestell fast einen Tablett-Charakter.

Martin Jacobs: Trotzdem wirkt das Gestell nicht zurückhaltend und fällt ins Auge.

Woher kommt die dynamische Form, die viele eurer Entwürfe auszeichnet: Entspricht das eurer Vision des modernen Lebens und Arbeitens?
Martin Jacobs: Wir wollen unseren Möbeln und Innenausbauten eine Richtung geben und sie emotional aufladen, trotz aller statischen und funktionalen Ansprüche. Der Benutzer soll das Gefühl bekommen, dass ihn die Objekte vorwärts bringen.

Chris Middleton: Beim Produkt Unit haben fast alle Flächenteile abgerundete Kanten im Radius von 35 Millimetern: Das lässt sie nicht nur weniger sperrig wirken, sie können dadurch besser frei im Raum platziert werden, und selbst große Tischkonstellationen wie bei Soundcloud wirken noch als Einzelmöbel. Außerdem wird ein Anecken vermieden, …wie bei einer Verkehrsinsel! Das sind Gesten, die einerseits das System Unit ausmachen, andererseits aber auch unseren Entwurfsansatz repräsentieren: Wir sind eben keine reinen Produktdesigner, die das Produkt als solches betrachten, es geht uns immer um die Wirkung im Raum.

Was reizt euch, als Architekten, an Produktdesign?
Karim El-Ishmawi: Bei der Innenarchitektur gibt es kaum Überraschungen: Man ist als Gestalter bei dem Entstehungsprozess dabei. Und eines Tages wird der Schlüssel übergeben, alle stürmen rein und benutzen das Geschaffene. Damit verabschiedet man sich gewissermaßen von seinem Werk. In ein Produkt fließen viel mehr technische Hilfsmittel, industrielle Verfahren und Materialien, die künstlich erzeugt werden. Wenn das Objekt dann einmal vom Band läuft, kommt es an ganz unterschiedliche Orte und erzeugt dort eine eigenständige Wirkung. Dem Produkt dann in einem Kontext zu begegnen, den man so nicht erwartet hätte, ist eine der schönsten Erfahrungen, die man mit seinem eigenen Werk haben kann.

Martin Jacobs: Die Zusammenarbeit mit der Möbelindustrie geht wesentlich weiter als die mit dem Bauherren. Als Designer fordert man die Hersteller immer wieder heraus, neue Fertigungstechniken und Materiallösungen zu entwickeln. Doch das dauert natürlich: Und diese Zeit existiert bei Bauvorhaben auch eher selten.

Kommt die Form der Funktion in die Quere?
Chris Middleton: Die Funktion ist für uns oberste Priorität, genau dafür suchen wir die passende Form. Natürlich geht nicht jeder unserer Entwürfe durch! Aber meistens kann man die Grundidee beibehalten und muss sie nur leicht umformulieren. Ein gutes Beispiel dafür ist der Soundcloud-Classroom: Für den Raum hatten wir einen sehr ikongrafischen Entwurf vorgesehen, der dann aber im Laufe des Prozesses eine andere Richtung bekam und nun in etwas abgewandelter Form existiert: Das macht das Endergebnis vielleicht gefälliger, aber nicht weniger gut!

Martin Jacobs: Natürlich spielt die Funktion eine wesentliche Rolle und wir versuchen oftmals, nicht nur eine, sondern mehrere Funktionen in einem Objekt unterzubringen. Diesem dann noch Dynamik und Charakter einzuhauchen, macht uns richtig Spaß.

Karim El-Ishmawi: Unsere Formensprache dient keinem Selbstzweck und kommt auch nicht durch das Bedürfnis einer sichtbaren Handschrift: Wir schreiben eine Geschichte, und die schreiben wir mit unseren Worten. Allerdings folgt diese den funktionalen Anforderungen, die wir für uns im Vorfeld auch manchmal neu definieren. Erst danach entwickeln wir unsere Projekte.

Warum hat sich die Bürolandschaft in den letzten Jahren so sehr angeglichen?
Chris Middleton: Die Einführung von Euronormen für ergonomische Anforderungen hat zu gestalterischem Einheitsbrei bei den Büromöbeln geführt. Und viele Firmen folgen den Megatrends wie mobiles Arbeiten, bessere Kommunikation, flexible Arbeitszeiten oder flachere Hierarchien. Aber für uns als Designer geht es immer um die DNA und Arbeitskultur der Unternehmen, für die wir arbeiten. All das zu kombinieren und dabei eine gebaute Identität zu schaffen, das sehen wir als unsere Aufgabe.

Karim El-Ishmawi: Wenn man sich einmal die Grundrisse von Firmen anschaut, wie sie eigentlich nicht unterschiedlicher sein könnten, bemerkt man schnell, dass die sich sehr stark ähneln. Das gilt vor allem für Neubauten, bei denen Tiefe, Raster und Fensterachsen in den letzten Jahrzehnten optimiert wurden und dem Deutschen Regelwerk für Arbeitsstätten entsprechen müssen.

Chris Middleton: Bei Soundcloud hatten wir das Glück, dass es sich zum Teil um ein Bestandsgebäude handelt, das einen gewissen Charme mitbringt. Bei Neubauten ist dafür umso wichtiger, im dreidimensionalen Raum mittels Materialien, Blickbeziehungen und einer guten Organisation eine passende Identität für den Kunden zu schaffen. Das darf nicht den Mitarbeitern oder einem Funktionsplaner überlassen werden, die sich der räumlichen Konsequenzen nicht bewusst sind.

Ihr arbeitet auch an unterschiedlichen Wohnkonzepten: ein Apartmentturm in Frankfurt und dem überregionalen Smartment-Projekt. Wie würdet ihr die heutige Wohnkultur beschreiben, und was ist der Unterschied zur Büroplanung?
Karim El-Ishmawi: Die Großstädte befinden sich in einem Wandel: Es werden immer mehr Einpersonenhaushalte, und der Bedarf an kleinen Wohnungen kann zurzeit nicht gedeckt werden. Gleichzeitig bleibt die Qualität bei Neubauten oft auf der Strecke. Wir interessieren uns schon lange für das Thema Kompaktes Wohnen und haben unabhängig von dem Auftrag in dem Bereich geforscht und Ideen entwickelt. Wir haben uns vor allem die Frage gestellt, wie sich Funktionen überlagern lassen und dadurch Raumgewinne zu erzielen sind. Das dann mit Wohnqualität zu verknüpfen, war für uns eine Herausforderung und führte fast automatisch auch zu neuen Produktideen.

Chris Middleton: Und in der Planung gibt es verschiedene Schnittstellen mit der Büroarchitektur: Im Prinzip funktioniert Soundcloud wie eine große WG, nur mit ein paar mehr Arbeitszimmern.

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