Konstantin Grcic
Hört Musik oder tut auch mal nichts: Der Münchner Gestalter über Werkzeuge, Bürokultur und richtig Sitzen.
Partner: Vitra
Konstantin Grcic denkt gerne um die Ecke. Für Aufsehen sorgte der Münchner Gestalter in den letzten Monaten mit neuen Entwürfen für die Arbeitswelt, die entschieden mit Konventionen des Büroalltages brechen. Wir besuchten ihn in seinem Studio in der Ludwigsvorstadt und sprachen mit ihm über Werkzeuge, Tischtennisplatten und Sitzen als das neue Rauchen.
Herr Grcic, inwieweit verändert sich die Arbeitswelt?
Arbeiten ist viel mehr im Fluss und findet nicht mehr nur von neun bis fünf statt. Das bedeutet, dass ich während meiner Zeit im Büro nicht immer nur arbeite, sondern auch Musik höre oder nichts tue. Das ist Teil einer neuen Kultur und bringt ganz andere Bedürfnisse ins Büro und an die Möbel. Der Bürostuhl sieht eher wie ein normaler Sessel aus und auch ein Tisch hat nicht mehr diese strenge Büroästhetik. All das hat längst stattgefunden und wird sich nicht mehr so schnell zurückdrehen. Ein weiterer Punkt ist das Auflösen von Hierarchien. Mark Zuckerberg hat seinen Schreibtisch inmitten der anderen Schreibtische zu stehen und nicht im Eckzimmer im obersten Stockwerk mit der schönsten Aussicht. Er sitzt einfach mittendrin. Diese horizontale Struktur ist längst übergeschwappt nach Europa und Asien.
Stool Tool heißt Ihr neuester Entwurf für Vitra, den Sie auf dem London Design Festival und anschließend auf der Orgatec in Köln vorgestellt haben. Inwieweit passt dieses Möbel zur neuen Arbeitswelt?
Der Stool Tool ist ein einfaches Möbel aus Kunststoff, das leicht stapelbar ist. Die Idee ist, dass man sich ein Exemplar von einem Stapel herunter nimmt und für ein schnelles, kurzes Meeting hinsetzt. Es gibt auch eine erhöhte Fläche, auf der man sich abstützen und mit dem Computer arbeiten kann. Das Möbel bietet eine Menge an Freiheiten, weil man es zusammen mit anderen, doch ebenso auch alleine benutzen kann. Ich beobachte das auch in unserem kleinen Büro. Manche Dinge mache ich an meinem Schreibtisch. Andere hier am Besprechungstisch. Oder ich flüchte manchmal woanders hin, um einen Telefonanruf zu machen. Der Stool Tool dient dazu, einen anderen Gedanken zu fassen.
Man könnte auch sagen, dass der Arbeitsplatz beweglich wird und einfach mitwandert.
Genau. Im Sommer kann ich das Möbel zum Arbeiten nach draußen nehmen und es dort stehen lassen. Es ist ein unkompliziertes Ding, das man nicht erklären muss. Man stellt es hin und die Leute nehmen es in Besitz. Darum haben wir es ganz bewusst aus Kunststoff gemacht, damit es nicht kaputt geht und auch mal dreckig werden kann. Es lässt sich einfach reinigen und wenn ein Kratzer reinkommt, ist es nicht schlimm. All solche Dinge wären bei klassischen Büromöbeln nicht gegangen. Wenn auf einen normalen Arbeitstisch ein Kratzer kommt, bedeutet es, dass er beschädigt ist. Genau davon wollten wir uns hier befreien.
Es geht also um eine Art Gegenmodell zur Repräsentation?
Ich will nicht sagen, dass das eine das andere ablöst. Auch in Start-up-Büros gibt es vielleicht einen schönen Holztisch, mit dem man vielleicht auch vorsichtiger ist. Die Bürowelten sind komplett heterogen. Da gibt es ganz unterschiedliche Angebote, wie man arbeitet und wo man arbeitet. Der Stool Tool besetzt dabei nur eine besondere Nische.
Wie sind Sie auf den Entwurf gekommen?
Entscheidend war eine Reise, die wir vor ein paar Jahren zusammen mit Vitra an die amerikanische Westküste gemacht haben. Wir haben uns dort Büros angesehen, die eine neue Form der Arbeit und des Ambientes, in dem diese Arbeit stattfindet, für sich entwickelt haben. Wenn Start-ups klein anfangen, ist es ihnen egal, wie etwas aussieht. Möbel dürfen anfangs hauptsächlich nichts kosten. Daraus ist aber eine ganze Kultur entstanden. Inzwischen sind manche dieser Firmen sehr groß geworden. Sie bauen sich dann wie Facebook ein neues Gebäude von Frank Gehry, haben aber das Gefühl, dass der ursprüngliche Geist des Improvisierten und Flexiblen abhanden kommt. Also nehmen sie die alten Tischtennisplatten mit, die zuvor schon als Bürotische dienten. Sie wollen weiterhin eine strickte Art von Corporate-Bürokultur vermeiden.
Ein weiterer Entwurf ist das Büromöbelsystem Hack, das Sie ebenfalls mit Vitra entwickelt haben. Auch hier haben Sie bewusst die Gründerszene ins Visier genommen.
Hack war das erste Projekt, das wir gemeinsam mit Vitra im Anschluss an unsere Amerikareise entwickelt haben. Es hat eine viel klassischere Funktion, weil es eher um einen persönlichen Arbeitsplatz geht. Also kein Ort, den ich mir jeden Morgen neu suche, sondern wo ich jeden Tag sitze und persönliche Dinge an die Wände pinne. Es ist die Kiste, die meinen Arbeitsplatz abgrenzt im großen Open Space Office, wo ich eine gewisse Intimität habe und trotzdem über die Kante gucke und ein Teil von allem bin. Ein wichtiger Aspekt ist hier der Wechsel zwischen Sitzen und Stehen. Natürlich gibt es Menschen, die immer sitzen oder immer stehen wollen. Doch gerade der Wechsel ist wichtig geworden. In Großraumbüros entsteht dadurch aber ein völliges Chaos. Wenn einer an einem Stehtisch arbeitet und Sie dem gegenüber sitzen, sehen Sie auf den Kabelsalat unter der Tischplatte und auf seinen Bauchnabel. Ich finde das extrem unangenehm. Mit Hack haben wir versucht, genau das zu lösen. Die Tischplatte verschiebt sich in einer dreiseitigen Kiste, die das Chaos vermeidet und den Arbeitsplatz architektonisch einfasst.
Ein weiterer Aspekt ist die Veränderlichkeit.
Die Höhenverstellung erfolgt per Kurbel, was etwas länger dauert, oder per Schnellauslöser mit einer Art Flaschenzug. Einen Tisch in der Höhe einstellen, das musste früher der Facility Manager machen. Das mache ich jetzt selber. Deswegen geht das auch dreimal am Tag, so wie es mir passt. Weil die Außenwände nur Holzplatten sind, kann ich auch ein Loch hineinbohren, um dort einen Haken anzubringen. Wenn ich den Tisch nicht mehr brauche, kittet der andere das Loch zu oder bekommt die Platte ersetzt. Das ist ein ganz anderes Nachdenken in Bezug auf Ersatzteile und die Möglichkeit, es zu reparieren. Es geht darum, dass ich das Möbel hacken kann, sprich: Ich baue es mir selber um, wie es mir passt. Der Nutzer wird damit in die Gestaltung seines Arbeitsplatzes mit einbezogen.
Inwiefern überträgt sich dieser Ansatz auch auf konservative Branchen wie Banken und Versicherungen?
Das braucht gar keine zehn Jahre oder fünfzehn Jahre mehr. Das passiert jetzt schon. Hack wird auch von ganz normalen, konservativen Unternehmen angefragt. Sicher wird die Sparkasse nicht alle Büros damit bestücken. Aber sie haben ein dynamisches Team in ihrer Verwaltung, das an der eigenen Zukunft arbeitet. Das mögen nur zehn Tische sein. Aber es entsteht eine Zelle, die sich von den übrigen Arbeitsplätzen unterscheidet. Das ist schon längst im Gange.
Warum beschäftigen sich immer mehr Unternehmen mit diesen Fragen und machen dafür auch immer stattlichere Budgets locker?
Es gibt natürlich die Auffassung, dass Arbeit nonterritorial wird und man auch gar nicht mehr ins Büro kommen braucht. Ich arbeite von unterwegs, vom Café oder von zuhause aus. Doch bei Firmen wie Apple oder Facebook gibt es einen regelrechten Krieg um das Talent. Jede Firma will die besten Mitarbeiter haben. Und wie bekomme ich die? Indem ich einen schöneren Arbeitsplatz anbiete, der auch mit Services verbunden ist. An der Westküste haben die Firmen die tollsten Kantinen, in denen Sterneköche kochen. Es gibt Kitas für die Kinder. Man kann morgens das Auto oder das Fahrrad abgeben und während der Arbeitszeit reparieren lassen. Die dreckige Wäsche wird zur Wäscherei gebracht. Der Sportverein ist Teil der Arbeitswelt. Das ist ein verrücktes Rundumpaket, das man auch ein wenig belächeln kann. Doch es steckt auch etwas sehr Wertvolles und Positives dahinter.
Auch Gesundheit spielt eine wichtige Rolle. Sind die neuen Büromöbel ein Gegenmittel für Rückenschmerzen?
Sitzen ist das neue Rauchen (lacht). Aber es stimmt schon: Man sitzt nicht mehr den ganzen Tag in einem Stuhl. Das merke ich auch bei mir. Hier im Büro steht gar keine Sitzmaschine, wo man alles einstellen kann. Am ergonomischsten zu sitzen, heißt, in Bewegung zu bleiben. Das trainiert die Muskeln und hält einen konzentriert und wach. Natürlich gibt es Arbeiten, die Stühle brauchen. Das würde ich niemandem absprechen wollen. Doch am besten haben es die, die sich entscheiden können. Und Entscheidung bedeutet Veränderung. Es gibt nicht mehr nur die eine Lösung.
Vielen Dank für das Gespräch.