Lilli Hollein
Raus aus den Nischen! Die Direktorin der Vienna Design Week im Gespräch.
Experimente müssen sein, sei es bei Gebrauchsgegenständen, in der Architektur oder in der Stadt – diese Auffassung vertritt Lilli Hollein. Als Gründerin und Direktorin der Vienna Design Week will sie für Gestalter und Nutzer daher neue Perspektiven erproben und damit kräftig unsere Köpfe trainieren. Ein Gespräch über Purismus, Smart City und Klebeband-Höhlen.
Frau Hollein, Sie sagen, auf dem kleinen österreichischen Design-Markt gibt es wenig Experimentierfreude?
Lilli Hollein: Ein wichtiger Antrieb für die Gründung der Vienna Design Week war, eine Plattform für Experimente zu schaffen. Und das funktioniert, indem man die Leute auf Augenhöhe zusammenbringt. Die Finanzierung sollte dabei möglichst von auswärts kommen, damit die Beiträge des Festivals nicht diesen starken Auftragscharakter haben. Im Sinne von: Ein Unternehmen holt sich Kreativpotenzial. Wir versuchen immer wieder Projekte ins Leben zu rufen, bei denen sich die Leute anders begegnen können.
Jedes Jahr stellen Sie während der Vienna Design Week im Herbst Objekte in Werkstätten aus, unter dem Titel Passionswege. Damit stellen Sie nicht nur Dinge zur Schau, sondern verweisen auch auf die Räume ihrer Produktion, mitten in der Stadt.
Das ist so eine Smart-City-Geschichte. Wenn Sie hier durch die Markthallen laufen, dann gibt es überall nur große Supermärkte. Aber manchmal sieht man die kleinen Off-Initiativen oder Marktzusammenschlüsse in Industriehallen. Es ist ja an Absurdität nicht zu überbieten, was wir geschafft haben, in den letzten zwanzig Jahren zu eliminieren. Und das Verschwundene kommt jetzt wieder zurück, aber auf einer anderen Ebene. Einmal tauchen diese Nischenstrukturen auf einer ökonomischen Ebene auf, dann aber auch auf einer handwerklichen.
Ist das ein puristischer Ansatz von Ihnen, Sie möchten die eigentlichen Akteure, die Schaffenden und die Nutzenden, wieder zusammenbringen und das Business mal hintanstellen?
Das kann ich voll unterstreichen. Es gibt ein wachsendes Bewusstsein für das Handwerk, und auf der anderen Seite stirbt ganz viel Handwerk aus, weil zu wenig Gebrauch davon gemacht wird. Es geht bei der Vienna Design Week auch darum, ein Bewusstsein dafür zu schaffen und darauf hinzuweisen, dass unten vor der Tür ein Schuster ist, der das Handwerk noch beherrscht.
Haben Sie ein Beispiel?
In einem Jahr waren wir im Stuberviertel, ein Rotlichtviertel in Wien, und kooperierten mit einem Schuster, von dem wir dachten, er sei ein kleiner lokaler Handwerker, der für seine Kunden manchmal ein paar einschlägige Ledergeschirre herstellt. Und dann stellen wir fest, dass er eine 10-C-Schneidemaschine hat und die Schuhe für die jordanische Armee herstellt. Schließlich hat er ein super Projekt gemeinsam mit einer Schweizer Designerin gemacht, das jetzt von Hermès produziert wird. Ein bißchen schade für den Schuster – wer hat schon die Marketingpower von Hermès? – aber: Plötzlich waren ganz viele Leute aus der Umgebung in seiner Werkstatt und haben begriffen, dass man sich nicht immer etwas Neues kaufen muss, sondern sich durch Handwerk auch alte Sachen wieder gut herrichten lassen kann.
Da geht es dann ja nicht nur um Handwerk, sondern auch darum, die eigene Stadt anders wahrzunehmen?
Ja, natürlich. Mit der Zeit setzt sich über die Vienna Design Week eine Art Branchenbuch zusammen. Die Leute in Wien wissen nicht nur plötzlich, dass es diese Werkstätten gibt, sondern auch wo.
Warum bietet sich gerade Wien, und nicht vielleicht Berlin oder Köln als Messestadt, für Ihre Art eines Design-Festivals an?
Es kommt immer auf das Umfeld an, wie eine Designveranstaltung beschaffen sein kann. Nehmen wir Mailand als Beispiel. Das ist die Designstadt schlechthin. Dort muss ich mehr Effekt erzeugen als in Wien, auf der anderen Seite kann ich viel kommerzieller arbeiten. Ich mache ein Festival, keine Messe. Mit dem, was ich da mache, kann man kein Geld verdienen. Wir sind zur Hälfte öffentlich finanziert und zur anderen Hälfte durch Sponsoring, und die Gelder stecken wir in das Festival. Ich will keine Messe verteufeln, aber es kommen dadurch ganz andere Dinge zustande. Zudem: In Österreich könnte man mit einer gewöhnlichen Messe auch nicht punkten. Keine würde nach Wien kommen, um zu sehen, was schon in Mailand zu sehen war. Wien hat keine Messe und keine Geltung als Designstadt. Was wir aber machen können, ist ein Festival mit einem internationalen Partnerumfeld zu entwickeln. Deswegen kommt man, und Wien als Stadt funktioniert gut dafür.
Möchten Sie die Diskussion um Design auch politischer machen?
Gestalter sind in den letzten Jahren ohnehin sehr viel politischer geworden. Sowohl in der Architektur als auch im Design spielen die Gesellschaft, die soziale Verantwortung wieder eine größere Rolle als noch vor zehn Jahren. Nach dem Niedergang der Italianitá – Design ist gleich Alessi und alle sind gelangweilt – gab es ein Vakuum, und jetzt hat Design wieder sehr an Bedeutung gewonnen. Daran sind wesentlich auch die Ausbildungsstätten beteiligt, die auf die Schulung eines Verantwortungsbewusstseins wieder mehr Wert legen.
Sprechen wir über den Raum, und zwar den ephemeren, experimentellen Raum, den Sie immer wieder in Ihren Ausstellungen mit unterschiedlichen Künstlern präsentieren. Zum Beispiel jene begehbare Rauminstallation von Numen / For Use aus durchsichtigem Klebeband, die Sie 2010 anlässlich des DMY im Berliner Flughafen Tempelhof zeigten. Hier verknüpfen sich Design und Architektur im Experiment. Beschreiben Sie doch aus Sicht einer Kuratorin noch einmal die Intention hinter diesem Projekt.
Es ist einfach eine verlockende Idee mit einem Klebeband Raum zu schaffen, einen begehbaren Raum, also Architektur schlechthin. Wenn ich solche Projekte zeige, dann geht es darum, eine temporäre Möglichkeit zu schaffen, ohne dass ein Zweck dahinter stehen muss. Es ist das Verfolgen einer Idee. Als For Use diese Installation erstmals realisiert haben, hatten sie den Gedanken von Spinnweben auf dem Dachboden. Den haben sie weiterentwickelt, und später konnten Hunderte von Leuten durch ihre Arbeit krabbeln. Der Materialresearch ist beeindruckend. Einen Raum mit Klebeband zu schaffen, sollte im Rahmen eines Festivals mal durchexerziert werden. Natürlich geht es auch um den Effekt, darum, ein Publikum zu fesseln. Aber für die Designschaffenden ist es wichtig, mal freier denken zu können. Gerade For Use sind klassische Industrial Designer. Deren Alltag besteht aus klaren Briefings und kleinen Spielräumen. Und gleichzeitig erwartet man von solchen Leuten immer eine totale Innovationskraft. Das muss man auch einfach trainieren. Solche Projekte, wie dieser Klebeband-Raum von For Use, sind für die Denkmuskulatur von Designschaffenden.
Vielen Dank für das Gespräch!
Lilli Hollein ist Direktorin und Mitbegründerin der Vienna Design Week. Als ausgebildete Industriedesignerin hat die Design- und Architekturexpertin seit 1996 in wesentlichen internationalen Fachpublikationen veröffentlicht, sie war als Kuratorin unter anderem für den Beitrag Österreichs bei der 7. Architekturbiennale São Paulo verantwortlich. Die Vienna Design Week, die Hollein 2007 gemeinsam mit Tulga Beyerle und Thomas Geisler gründete, ist Österreichs größte Designveranstaltung mit jährlich mehr als 36.000 Besuchern.