Champagner im Gewerbegebiet
Frisch klingt gut, Paradies auch. Aber dass dies in einem – zugegeben noblen – Supermarkt namens „Frischeparadies“ zu finden sein soll, irritiert dann doch. Oder nicht? Nun gut, in Zeiten eines allumfassenden Brandings, auch durch Architektur und sogenannte „Star“-Architekten, muss man mit allem rechnen. Allerdings hat das manchmal auch sein Gutes. Nämlich dann, wenn die aus wirtschaftlichen Zwängen heraus entstandene Architektur das Auge erfreut und als Gebäude funktioniert. So wie beim Berliner Architekturbüro „Robertneun“, das für die Gestaltung der „Frischeparadiese“ verantwortlich zeichnet.
Architektur als Antwort auf relevante Fragen
Der Auftrag für die Umgestaltung des „Frischeparadieses Goedeken“ in Hamburg gab im Jahr 2000 den Startschuss für die Gründung des Architekturbüros „Robertneun“, das am Berliner Alexanderplatz zuhause ist. Inzwischen haben sich die drei Architekten Thomas Baecker, Nils Buschmann und Tom Friedrich auch mit anderen, oftmals sparsam gestalteten Projekten einen Namen gemacht. So entwarfen sie beispielsweise auf dem Dach des „Haus des Reisens“ am Alexanderplatz eine coole Dachterrasse, die zum minimalistisch gestalteten Club „Week End“ gehört. Die drei Mittdreißiger beschreiben ihre Bauaufgaben mit folgenden Worten: „Die Suche nach einer Antwort auf eine relevante Frage.“
Hinter der glänzenden Fassade
Das „Frischeparadies“ ist laut Eigenwerbung „Deutschlands größter Spezialmarkt und Lieferant für feinste Lebensmittel“ – hier haben wir es also mit einer Art durchgestyltem Supermarkt für Delikatessen für eine dementsprechend solvente Klientel zu tun. Und dagegen regt sich ab und zu auch Protest: Am Vormittag des 28. April vor zwei Jahren beispielsweise haben dreißig als Superhelden verkleidete Aktivisten Präsentkörbe mit Champagner, Hirschkeulen und anderen Delikatessen aus dem Hamburger „Frischeparadies“ an der Großen Elbstraße entwendet. Anschließend verteilten sie die Delikatessen an Praktikanten, Putzfrauen und Ein-Euro-Jobber. Aber das nur am Rande.
Fünf-Sterne-Supermarkt
Die „Frischeparadiese“ – die zur Dr. August Oetker Nahrungsmittel KG gehören – warten mit einer vielfältigen Auswahl für den verwöhnten Gaumen auf: Fisch und Meeresfrüchte, Fleisch, Geflügel und Wild, Obst und Gemüse, Pasta, Wein, Champagner und Pralinen lassen das Herz jedes Gourmets höher schlagen. Neben mehr als 5.000 verschiedenen Produkten und Sonderaktionen wie spezielle Kochkurse gibt man sich auch beim Sortiment auf der Höhe der Zeit: So werden Kreationen des katalanischen Starkochs Ferran Adrià, einem Meister der molekularen Küche, angeboten. Inzwischen gibt es – oder sind zumindest in Planung –„Frischeparadiese“ in verschiedenen Städten: Hamburg, Essen, Köln-Hürth, Berlin, Frankfurt a. M., München, Stuttgart und Wien.
Wenige Mittel, große Wirkung
Bei der Gestaltung der „Frischeparadiese“ geht es nicht darum, eine einheitliche Corporate Architecture nach einer Art Baukasten-System zu entwerfen, sondern stattdessen jeden Einkaufsmarkt für sich zu betrachten und dementsprechend individuell – je nach Standortbedingungen – zu gestalten. So besticht das „Frischeparadies Edelfisch“ in Frankfurt a. M. beispielsweise durch den geradezu verschwenderischen Einsatz von Schichtholz-Platten im Verkaufsraum, während das Stuttgarter „Frischeparadies Moll“ schon von weitem erkennbar ist durch den an die Fassade angebrachten Schriftzug „Frischeparadies“ (in Versalien), unterlegt mit einem kitschigen Sonnenuntergang am Meer. Überhaupt spielt die Typografie bei der Gestaltung der „Frischeparadiese“ neben der Architektur eine wichtige Rolle. So zeigen große farbige Schriftzüge im Verkaufsraum an, welche Produktgruppe man gerade sucht (Antipasti, Obst, Gemüse etc.) und bieten Orientierung im verwirrenden Warenuniversum.
Alle „Frischeparadiese“ zeichnen sich durch eine relativ raue architektonische Atmposphäre aus, die durch die klare Linienführung, die wenigen benutzten Materialien, kurz durch ein klares Konzept hergestellt wird. Außerdem handelt es sich bei den „Frischeparadiesen“ meist um bereits genutzte Gebäude mit einem industriellen Charakter. Das „Frischeparadies De Pastre“ in Essen wurde um einen zweigeschossigen Anbau erweitert, der im Erdgeschoss vollständig verglast ist: Entstanden ist so eine Art Ausstellungshalle für die dort präsentierten Lebensmittel. In Kontrast dazu steht das Obergeschoss des langgestreckten Kubus, das mit einem Kunststoffnetz-Gewebe mit aufgedrucktem Sonnenuntergang verhangen wurde – es grüßen die Siebziger Jahre.
Feiner leben im Norden
Das „Frischeparadies Goedeken“ in der Großen Elbstraße liegt am Hamburger Fischmarkt und war das erste Projekt des Architekten-Trios. 2001 wurde der Fisch-Großhandel in einen erweiterten Kommissionierungsbetrieb und einen Abholmarkt mit Vollsortiment-Angebot umgewandelt. „Robertneun“ erweiterten eine Packhalle aus den 1950er Jahren und bauten diese um. Viel erinnert noch an ein Industriegebäude: freigelegte Rohre, das Lichtkonzept an der Decke sowie die Schiebetore an der Fassade. Während entlang der Längsfassaden die Kühl- und Lagerräume wie eine Enfilade angeordnet sind, befindet sich in der Mitte der Abholermarkt, der einen großen Raum einnimmt. Der Rundgang des Kunden wird durch zwei zentral angeordnete Wareninseln vorgegeben, der auch an einem kleinen Bistro entlang führt. Hier kann man auf Barhockern an einer Theke Platz nehmen und eine kleine, aber feine Mahlzeit oder ein Glas Wein zu sich nehmen. Helle Grautöne bestimmen das Innere des Hamburger Marktes, sowohl an Boden und Wänden als auch an der Decke. Diese reduzierte Farbgebung lässt die kunterbunten Produkte hervortreten und rückt sie in den Mittelpunkt der Präsentation. Denn darum geht es schließlich: ums Einkaufen.