Chipperfield im Berliner Hinterhof
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Die Mitarbeiter von David Chipperfield Architects haben es gut. Sie verbringen ihre Mittagspause in einem Beton-Monolithen mit japanischen Möbeln von Jasper Morrison und mundgeblasenen Murano-Leuchten von Michele de Lucchi. In Berlin-Mitte hat das Architekturbüro den Traum eines jeden Design-Aficionados wahrgemacht und als Ergänzung zum eigenen Office eine Kantine gebaut.
Der neu gestaltete Hinterhof, in dem die Kantine in einem von vier Erweiterungsbauten von David Chipperfield Architects untergebracht ist, ist idyllisch. Hier wähnt man sich fernab des Mitte-Trubels der nahen Auguststraße. Eingebettet ist der zweistöckige Betonblock in eine Umgebung aus typischen Berliner Wohnhäusern der Jahrhundertwende und DDR-Plattenbauten.
Annäherung
Im Sommer sitzen Mitarbeiter und Gäste draußen auf der Terrasse, die mit einfachen Bänken und Tischen ausgestattet und mit Bäumen und Büschen begrünt ist. Raumhohe, filigrane Schiebefenster leiten in das Innere der 265 Quadratmeter großen Kantine. Eigentlich kennt man durchdacht gestaltete Kantinen ja eher von Großunternehmen wie Versicherungen, Verlagen oder Bekleidungsherstellern. Das ist erstaunlich, gilt ein angenehmer Aufenthaltsraum und ein gutes Essen doch als außerordentlich gut für das Betriebsklima und die Arbeitsmoral – egal wie groß das Unternehmen ist. Das scheinen sich auch David Chipperfield Architects gedacht zu haben, die sich für einen Neubau entschieden und die alte Remise, in der sich zuvor ein Restaurant namens Kantine befand, abgerissen haben.
Aufteilung
Der eigentliche Kantinenraum liegt im Erdgeschoss des Gebäudes, während sich im Obergeschoss weitere Sitzgelegenheiten befinden. Die Aufteilung ist klar und linear gestaltet. Ein zehn Meter langer Tresen mit weißer Marmorplatte erstreckt sich fast über die gesamte Länge des Raums und teilt diesen in einen Koch- und Gastbereich. Die Köche werkeln direkt am Tresen, so dass eine Interaktion mit dem Gast möglich ist. Die Tableware ist schlicht – weißes Porzellan, Besteck aus Edelstahl, transparentes Glas und Kochtöpfe aus Kupfer – und passt gut zum asketischen Gesamteindruck. Hinterfangen wird die Kochzone durch ein raumhohes Regal aus Edelstahl, das in einem schönen haptischen Kontrast zur Sichtbetonwand steht. Apropos Haptik: David Chipperfield Architects sind Meister im Zusammenspiel von Materialien – wie auch das kürzlich eröffnete Hotel Café Royal in London zeigt. In Berlin trifft Sichtbeton auf Marmor, Edelstahl, Holz und Leder.
Materialkunde
Mit beigefarbigen Leder ist die längsseitige Sitzbank bespannt, vor der einzelne weiße Tische stehen – ebenso wie der Bartresen eigens angefertigte Entwürfe des Architekturbüros. Ergänzt wird das Ensemble um Hocker mit Holzbeinen und weißen Sitzflächen. Dieselben Hocker finden sich als erhöhte Version am Marmortresen wieder. Jasper Morrison hat die zierlichen, grafisch anmutenden Sitzgelegenheiten für den japanischen Hersteller Maruni entworfen. „Wie bei vielen meiner Projekte dreht sich auch beim Lightwood Chair alles um das Thema Struktur, wobei Maruni die Handwerkskunst der Holzkonstruktion unglaublich gut umgesetzt hat“, so der britische Designer. Ebenso fein ausgearbeitet wie die Sitzgelegenheiten sind die über dem Tresen hängenden Leuchten: Aquatinta aus der Kollektion Produzione Privata des italienischen Designers Michele de Lucchi. Die klassischen Hängeleuchten aus Muranoglas – ein Entwurf aus dem Jahr 1996 – sind mundgeblasen. So viel handwerkliche Arbeit hat seinen Preis: Fast 900 Euro kostet das Stück. Doch die Leuchten in der Klarglas-Version erhellen nicht nur den Raum. Sie sind neben Möbeln und Materialien ein weiteres visuelles Highlight und fügen sich nahtlos in das durchdachte Designkonzept ein.
What you see is what you get – so könnte das Motto der Kantine von David Chipperfield Architects lauten. Denn was sich mit der blockartigen Struktur des Gebäudes mit einer Fassade aus Sichtbeton draußen ankündigt, wird im Inneren konsequent fortgeführt. Auch hier dominiert eine grafische Linienführung in Kombination mit dem gekonnten Spiel weniger ausgesuchter Materialien.
FOTOGRAFIE Ute Zscharnt für David Chipperfield Architects
Ute Zscharnt für David Chipperfield Architects
Links
Interview mit David Chipperfield
www.designlines.deProjekte von David Chipperfield Architects bei Designlines
Hotel Café Royal, London
www.designlines.deNine Tree Village, Hangzhou
www.designlines.deMehr Projekte
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